Warum Trauernde gerade noch mehr leiden
Beerdigungen finden derzeit nur unter besonderen Auflagen statt. Manche müssen sogar verschoben werden. Zwei Hinterbliebene erzählen, warum sie das hart trifft. Auch Hospizhelfer müssen sich umstellen
Bei Anita Ponzio stauen sich die Urnen und es werden immer mehr. An die 15 Behälter mit der Asche Verstorbener stehen mittlerweile bei der Bestattungsunternehmerin in Warteposition. Im Gegensatz zur Stadt Augsburg sind im Landkreis derzeit Urnenbestattungen untersagt und in Zeiten der Corona-Krise müssen sich Bestattungsinstitute an viele neue Regeln halten. Hart trifft es vor allem die Hinterbliebenen. Wie etwa Margarete Müller.
Die Augsburgerin hat Mitte März ihre Mutter verloren. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag war die bereits durch Krankheiten geschwächte Frau an einem Norovirus gestorben. Die Verstorbene wurde auf eigenen Wunsch eingeäschert. Beerdigt ist sie immer noch nicht. Sie soll in Mickhausen die letzte Ruhe finden, doch im Landkreis Augsburg werden derzeit Urnenbestattungen verschoben. Um Zusammenkünfte von Menschen zu vermeiden, sei die Philosophie des Landkreises, „alles zu verschieben, was verschiebbar ist“, heißt es aus dem Landratsamt. Bei Erdbestattungen sei dies freilich nicht möglich. Für die 47-jährige Margarete Müller und ihre Familie ist das Warten auf den offiziellen Abschied zusätzlich belastend.
„Meine Mutter hatte ihren runden Geburtstag nicht mehr erlebt, jetzt bekommt sie nicht einmal eine Beerdigung“, beschreibt die Augsburgerin ihre Emotionen. Zudem bewege sie die Angst um ihren Vater. „Er und meine Mutter waren 56 Jahre ein Paar. Und jetzt kann ich ihn nicht mal in den Arm nehmen und trösten.“Anita Ponzio von Pius Bestattungen beobachtet, dass die aktuellen Corona-Regelungen für die Trauernden einen tiefen Einschnitt bedeuten.
„Die Menschen sind sehr traurig, dass sie ihre Liebsten nicht so verabschieden können, wie es sonst möglich wäre.“Das treffe vor allem die Menschen auf dem Land, wo es mitunter üblich sei, vorab gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Wo Vereinsmitglieder Trauerfeiern mitgestalten und Reden am Grab hielten. Doch nun dürfen nur maximal 15 Menschen aus dem engsten Familienkreis zu Beerdigungen. Die Trauernden müssen dabei den Abstand einhalten (siehe Info). Für Marcella
Reinhardt war dieser Umstand schlimm. Die 51 Jahre alte Vorsitzende der Sinti und Roma in Schwaben hat unlängst ihre Tante verloren. Neun Jahre lang hatte die betagte Dame zuletzt bei Marcella Reinhardt gelebt. Ihre Tante, die 91 Jahre alt wurde, habe so viel im Leben durchmachen müssen, schildert Reinhardt. „Sie verlor in Auschwitz Vater und Bruder, war Zwangsarbeiterin und wurde zwangssterilisiert.“So gerne hätte sie ihr einen besonderen Abschied ermöglicht. Normalerweise, erzählt die Augsburgerin, sei bei einer Sinti-Beerdigung der Friedhof voll.
„Da kommen 200 bis 300 Leute aus ganz Deutschland. Musiker spielen Gitarre, Geige, Akkordeon und manchmal sogar Klavier.“Stattdessen musste Reinhardt vielen Menschen, die um ihre Tante Martha Klimkeit trauerten, absagen. „Wir waren nur 15. Die bestellten
Blumen kamen erst am Tag der Beerdigung. Ich konnte sie gerade noch am Sarg anbringen“, sagt sie traurig. Über Handy und einen kleinen Lautsprecher habe man zwei Lieder für die Verstorbene gespielt. Ihre Kinder und Enkelkinder habe Reinhardt nicht in den Arm nehmen können. „Man fühlt sich in so einem Moment im wahrsten Sinne des Wortes verlassen.“Doch Reinhardt will sich über die aktuellen Umstände nicht beschweren. „Wenn jemand jammert, sage ich, stellt euch vor, was unsere Leute früher mitmachen mussten. Sie waren in Lagern, krank und eingesperrt. Da leben wir im Luxus.“
Renate Flach arbeitet seit 27 Jahren in der Augsburger HospizGruppe Albatros, die Gesprächskreise, Trauergruppen für Kinder und Jugendliche sowie Einzelbegleitungen anbietet. Derzeit können die Leiterin und ihre Mitarbeiterinnen nur telefonisch unterstützen. Die Trauernden sind von den Kontaktbeschränkungen sehr betroffen, weiß Flach. Sie fühlten sich nun oft noch einsamer als zuvor. Ein schwieriges Thema sei vor allem die Sterbebegleitung.
„Menschen leiden unglaublich darunter, dass sie ihren schwerstkranken Angehörigen nicht beistehen und sich von ihnen nicht verabschieden können.“Genau für diese Betroffenen bietet die HospizGruppe nun zusätzlich Begleitung am Telefon an. „Menschen finden Trost, indem sie sich und ihre Trauer ausdrücken können“, sagt Flach. „Diese Möglichkeit wollen wir bieten, damit sich der Schmerz nicht allzutief eingräbt.“Das Telefon ist unter der Woche unter 0821/38544 zwischen 10 und 13 Uhr besetzt. Auf dem Anrufbeantworter kann um einen Rückruf gebeten werden. »Kommentar