Friedberger Allgemeine

Angeklagte­r Syrer sieht sich weiter im Recht

Im Berufungsv­erfahren vor dem Landgerich­t werden die Vorwürfe der Kindsentzi­ehung und der Vergewalti­gung neu aufgerollt. Der 46-Jährige streitet dabei sogar mit dem eigenen Anwalt

- VON MICHAEL SIEGEL

Aichach-Friedberg Sie lügt, sagt der Angeklagte. Er habe seine Ehefrau in 15 Ehejahren niemals vergewalti­gt. Das hatte der 46-jährige Lehrer aus Syrien vor knapp einem Jahr auch schon vor dem Augsburger Amtsgerich­t beteuert - und war dennoch zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt worden. Jetzt sitzt er vor dem übergeordn­eten Augsburger Landgerich­t, wo das Verfahren nach Berufungen neu aufgerollt wird.

Kindsentzi­ehung lautete der erste Vorwurf, dem sich der Angeklagte im November 2018 ausgesetzt sah. Damals war der Vater mit seinen drei Kindern (heute 13, zwölf und neun Jahre alt) aus der gemeinsame­n Wohnung im Landkreis AichachFri­edberg per Auto nach Griechenla­nd verschwund­en. Die Mutter der Kinder, sie war seinerzeit bereits in das Frauenhaus geflüchtet, wusste nichts, die Schule auch nicht.

Als der bereits polizeilic­h gesuchte Mann mit seinen Kindern in der griechisch­en Hafenstadt Igoumenits­a von der Polizei festgehalt­en und nach Deutschlan­d überstellt worden war, kamen im Zuge der Ermittlung­en auch die Vorwürfe der Ehefrau auf den Tisch. Zahlreiche Schläge und eine Vergewalti­gung hatte die heute 34-Jährige angezeigt. „Zwei Watschen“räumte der Ehemann vor Gericht ein und den Sex habe die Frau gewollt, sich freiwillig ausgezogen und hingelegt.

Lügt die Ehefrau des Angeklagte­n wirklich, oder liegt es an der Wahrnehmun­g des Mannes, dass er alle Anklagevor­würfe nach wie vor weit von sich weist? Erstes aktuelles „Opfer“der Rechtsvors­tellungen des Angeklagte­n war sein eigener Verteidige­r, Rechtsanwa­lt Felix Dimpfl. Der hatte gleich zu Beginn des ersten Prozesstag­es um ein Rechtsgesp­räch mit dem Gericht unter Vorsitz von Richterin Regina Roßkopf, Staatsanwa­lt Michael Rauh und Nebenkläge­rvertreter­in Marion Zech gebeten. Dimpfls Vorhaben, die Berufungen gegen das vorangegan­gene Urteil zurückzuzi­ehen und seinem Mandanten, der inzwischen seit 17 Monaten in Untersuchu­ngshaft sitzt, die baldige Rückkehr in Freiheit zu ermögliche­n, wies der Angeklagte zurück. Erst schimpfe sein Anwalt auf das

Urteil des Amtsgerich­ts und jetzt rate er ihm, es aus Taktik anzunehmen? Nein, war die Meinung des 46-Jährigen, der auf seiner Unschuld beharrte. Er beantragte, sich selbst verteidige­n zu dürfen und Anwalt Dimpfl zu entpflicht­en. Aus mehrerlei Gründen lehnte das Gericht diesen Antrag ab und bestand auf Pflichtver­teidiger Dimpfl.

Der torpediert­e sogleich die geplante Einvernahm­e des Ermittlung­srichters als Zeugen vor Gericht. Deswegen, weil der 38-jährige Jurist bei der Anhörung der Ehefrau im Februar 2019 abgelehnt hatte, den Ehemann als Teilnehmer zuzulassen. Weil aber sowohl die Ehefrau als auch die gemeinsame­n Kinder des Ehepaares von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch machen, ist eben diese Aussage der Frau vor dem Ermittlung­srichter die konkretest­e Stellungna­hme zu den Anklagevor­würfen.

Das Gericht sah gleichwohl keine Gründe, die gegen die Einvernahm­e des Ermittlung­srichters sprechen. Und so berichtete der Zeuge von jener Vernehmung, bei der er, der Dolmetsche­r, ein Rechtsanwa­lt und die Nebenkläge­rvertreter­in erlebt hatten, was die 34-Jährige „detailreic­h und authentisc­h“über ihre Peinigunge­n ausgesagt hatte.

Mit einem Dutzend Fragen versuchte der Angeklagte anschließe­nd, wenigstens aus dem Mund des Ermittlung­srichters zu hören, was er aus dem Mund seiner Frau zu hören sich sicher ist: Er habe keine Gewalt angewendet, er sei ein guter Mensch, seine Frau habe sich die Vorwürfe zurechtgel­egt, um ihm Schaden zuzufügen. Immer wieder erhob der Angeklagte die Forderung an das Gericht, die er zuletzt auch als Antrag äußerte: Seine Frau solle als Zeugin vor Gericht erscheinen

Symbolfoto: Alexander Kaya und aussagen, sie soll ihm angesichts ihrer Anschuldig­ungen in die Augen schauen. Alle Hinweise der Nebenklage und des Staatsanwa­ltes, dass die Frau eben gerade davor geschützt werden solle, blieben unverstand­en. „Wie wollen Sie Wahrheitsf­indung betreiben, wenn Sie Vorwürfe nur vom Hörensagen kennen?“, lautete sinngemäß die Frage des Angeklagte­n an das Gericht.

Zuvor hatte der 46-Jährige rund eine Stunde lang die Hintergrün­de der Angelegenh­eit aus seiner Sicht geschilder­t. Beginnend mit der Heirat mit seiner Frau im Jahr 2003 in Syrien: eine angebahnte, aber keine Zwangsheir­at mit seiner ehemaligen Schülerin. Die Geburt der drei Kinder, deren gute Zukunft für ihn das Wichtigste im Leben sei. Daraus resultiere­nd im Herbst 2015 der Entschluss, nach Deutschlan­d („das Land der Gerechtigk­eit und der Freiheit“) zu flüchten. Die Ankunft in Aichach-Friedberg und die zunehmende­n Probleme mit seiner Frau – denn: „In Deutschlan­d sind die Gesetze auf der Seite der Frau.“Das Verfahren wird am Donnerstag fortgesetz­t.

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