Angeklagter Syrer sieht sich weiter im Recht
Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht werden die Vorwürfe der Kindsentziehung und der Vergewaltigung neu aufgerollt. Der 46-Jährige streitet dabei sogar mit dem eigenen Anwalt
Aichach-Friedberg Sie lügt, sagt der Angeklagte. Er habe seine Ehefrau in 15 Ehejahren niemals vergewaltigt. Das hatte der 46-jährige Lehrer aus Syrien vor knapp einem Jahr auch schon vor dem Augsburger Amtsgericht beteuert - und war dennoch zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt worden. Jetzt sitzt er vor dem übergeordneten Augsburger Landgericht, wo das Verfahren nach Berufungen neu aufgerollt wird.
Kindsentziehung lautete der erste Vorwurf, dem sich der Angeklagte im November 2018 ausgesetzt sah. Damals war der Vater mit seinen drei Kindern (heute 13, zwölf und neun Jahre alt) aus der gemeinsamen Wohnung im Landkreis AichachFriedberg per Auto nach Griechenland verschwunden. Die Mutter der Kinder, sie war seinerzeit bereits in das Frauenhaus geflüchtet, wusste nichts, die Schule auch nicht.
Als der bereits polizeilich gesuchte Mann mit seinen Kindern in der griechischen Hafenstadt Igoumenitsa von der Polizei festgehalten und nach Deutschland überstellt worden war, kamen im Zuge der Ermittlungen auch die Vorwürfe der Ehefrau auf den Tisch. Zahlreiche Schläge und eine Vergewaltigung hatte die heute 34-Jährige angezeigt. „Zwei Watschen“räumte der Ehemann vor Gericht ein und den Sex habe die Frau gewollt, sich freiwillig ausgezogen und hingelegt.
Lügt die Ehefrau des Angeklagten wirklich, oder liegt es an der Wahrnehmung des Mannes, dass er alle Anklagevorwürfe nach wie vor weit von sich weist? Erstes aktuelles „Opfer“der Rechtsvorstellungen des Angeklagten war sein eigener Verteidiger, Rechtsanwalt Felix Dimpfl. Der hatte gleich zu Beginn des ersten Prozesstages um ein Rechtsgespräch mit dem Gericht unter Vorsitz von Richterin Regina Roßkopf, Staatsanwalt Michael Rauh und Nebenklägervertreterin Marion Zech gebeten. Dimpfls Vorhaben, die Berufungen gegen das vorangegangene Urteil zurückzuziehen und seinem Mandanten, der inzwischen seit 17 Monaten in Untersuchungshaft sitzt, die baldige Rückkehr in Freiheit zu ermöglichen, wies der Angeklagte zurück. Erst schimpfe sein Anwalt auf das
Urteil des Amtsgerichts und jetzt rate er ihm, es aus Taktik anzunehmen? Nein, war die Meinung des 46-Jährigen, der auf seiner Unschuld beharrte. Er beantragte, sich selbst verteidigen zu dürfen und Anwalt Dimpfl zu entpflichten. Aus mehrerlei Gründen lehnte das Gericht diesen Antrag ab und bestand auf Pflichtverteidiger Dimpfl.
Der torpedierte sogleich die geplante Einvernahme des Ermittlungsrichters als Zeugen vor Gericht. Deswegen, weil der 38-jährige Jurist bei der Anhörung der Ehefrau im Februar 2019 abgelehnt hatte, den Ehemann als Teilnehmer zuzulassen. Weil aber sowohl die Ehefrau als auch die gemeinsamen Kinder des Ehepaares von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, ist eben diese Aussage der Frau vor dem Ermittlungsrichter die konkreteste Stellungnahme zu den Anklagevorwürfen.
Das Gericht sah gleichwohl keine Gründe, die gegen die Einvernahme des Ermittlungsrichters sprechen. Und so berichtete der Zeuge von jener Vernehmung, bei der er, der Dolmetscher, ein Rechtsanwalt und die Nebenklägervertreterin erlebt hatten, was die 34-Jährige „detailreich und authentisch“über ihre Peinigungen ausgesagt hatte.
Mit einem Dutzend Fragen versuchte der Angeklagte anschließend, wenigstens aus dem Mund des Ermittlungsrichters zu hören, was er aus dem Mund seiner Frau zu hören sich sicher ist: Er habe keine Gewalt angewendet, er sei ein guter Mensch, seine Frau habe sich die Vorwürfe zurechtgelegt, um ihm Schaden zuzufügen. Immer wieder erhob der Angeklagte die Forderung an das Gericht, die er zuletzt auch als Antrag äußerte: Seine Frau solle als Zeugin vor Gericht erscheinen
Symbolfoto: Alexander Kaya und aussagen, sie soll ihm angesichts ihrer Anschuldigungen in die Augen schauen. Alle Hinweise der Nebenklage und des Staatsanwaltes, dass die Frau eben gerade davor geschützt werden solle, blieben unverstanden. „Wie wollen Sie Wahrheitsfindung betreiben, wenn Sie Vorwürfe nur vom Hörensagen kennen?“, lautete sinngemäß die Frage des Angeklagten an das Gericht.
Zuvor hatte der 46-Jährige rund eine Stunde lang die Hintergründe der Angelegenheit aus seiner Sicht geschildert. Beginnend mit der Heirat mit seiner Frau im Jahr 2003 in Syrien: eine angebahnte, aber keine Zwangsheirat mit seiner ehemaligen Schülerin. Die Geburt der drei Kinder, deren gute Zukunft für ihn das Wichtigste im Leben sei. Daraus resultierend im Herbst 2015 der Entschluss, nach Deutschland („das Land der Gerechtigkeit und der Freiheit“) zu flüchten. Die Ankunft in Aichach-Friedberg und die zunehmenden Probleme mit seiner Frau – denn: „In Deutschland sind die Gesetze auf der Seite der Frau.“Das Verfahren wird am Donnerstag fortgesetzt.