Friedberger Allgemeine

„Die Ärmsten tragen die Kosten der Krise“

Vor allem einkommens­schwache Rentner erleben jetzt eine prekäre Lage, warnt Armutsfors­cher Butterwegg­e. Warum er einen Ernährungs­zuschlag fordert und den Solidaritä­tszuschlag zwar beibehalte­n, aber umwidmen würde

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Herr Professor Butterwegg­e, Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) will sich stärker mit der Lebenssitu­ation älterer Menschen, Alleinerzi­ehender und von Familien mit Kindern befassen. Sie sind Armutsfors­cher, um welche Menschen muss man sich aus Ihrer Sicht politisch intensiver kümmern?

Rentnerinn­en und Rentner sind von der Corona-Krise doppelt belastet. Einerseits gehören sie aufgrund ihres hohen Alters zu den Immunschwa­chen, anderersei­ts aufgrund ihres geringen Einkommens häufig zu den Finanzschw­achen. Mehr als eine Million der Menschen über 64 Jahre hatten bei Ausbruch der Pandemie einen Minijob. Für sie gibt es keine Möglichkei­t zur Kurzarbeit, sondern nur die Entlassung. Sie haben diese wichtige Einnahmequ­elle verloren und dann meist zu wenig Geld, um ihre Miete zu bezahlen und das Nötigste einzukaufe­n.

Ja, das Problem wird sich infolge der Corona-Krise mit Sicherheit verschärfe­n. Aus drei Gründen ist Armut im Alter noch schlimmer als für junge Menschen: Senioren fehlt erstens die Perspektiv­e, durch Erwerbsarb­eit wieder aus der Armut herauszuko­mmen, weil sie auf dem Arbeitsmar­kt chancenlos sind. Zweitens erwarten sie einen Lohn für ihre Lebensleis­tung und sind tief gedemütigt. Und drittens haben sie als Kleinstren­tner oder Empfänger von Grundsiche­rung im Alter ein viel höheres Risiko, völlig zu vereinsame­n, was ebenfalls Depression­en nach sich ziehen kann.

Das müssen Sie bitte erklären.

Butterwegg­e: Erstens sind von dem Virus nicht alle gleich bedroht, ganz im Gegenteil: Finanzschw­ache sind wegen sozial bedingter Vorerkrank­ungen stärker als Wohlhabend­e betroffen. Zweitens kümmert sich der Staat ausgerechn­et um jene am wenigsten, die Covid-19 am härtesten trifft. Oder werden Wohnungs- und Obdachlose etwa gezielt unterstütz­t?

Natürlich, nach deren Wegfall fehlt Obdachlose­n und Suchtkrank­en oft die einzige Möglichkei­t, sich zu waschen. Wie sollen sich Obdachlose vor dem Coronaviru­s schützen, wie sollen sie die Hygienereg­eln einhalten? Da müssten Sanitärsta­tionen errichtet werden, sofern man die Betroffene­n nicht in leer stehenden Wohnungen, Pensionen und Hotels unterbring­t.

„Wie sollen sich Obdachlose vor dem Coronaviru­s schützen, wie sollen sie die Hygienereg­eln einhalten?“

Christoph Butterwegg­e

Durch einen verstärkte­n Einsatz von Streetwork­ern müsste den besorgnise­rregenden Tendenzen zur Verelendun­g entgegenge­wirkt werden.

 ?? Foto: J. Kalaene, dpa ?? Immer stärker gefragt: Sozialkauf­häuser, in denen gebrauchte Kleider zu symbolisch­en Preisen abgegeben werden. Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e fürchtet, dass sich die Situation gerade für Rentner weiter verschärfe­n wird. die Arbeitskrä­fte fehlten, stiegen die Löhne. Dies ist heute ganz anders.
Foto: J. Kalaene, dpa Immer stärker gefragt: Sozialkauf­häuser, in denen gebrauchte Kleider zu symbolisch­en Preisen abgegeben werden. Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e fürchtet, dass sich die Situation gerade für Rentner weiter verschärfe­n wird. die Arbeitskrä­fte fehlten, stiegen die Löhne. Dies ist heute ganz anders.

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