Bewaffnete im Parlament von Michigan
Protest gegen Corona-Maßnahmen
Während einer Protestaktion gegen Alltagsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie sind im US-Bundesstaat Michigan bewaffnete Demonstranten ins Parlament in der Hauptstadt Lansing eingedrungen. Mehrere hundert Menschen versammelten sich am Donnerstag im Eingangsbereich des Gebäudes, das auch Amtssitz der Gouverneurin Gretchen Whitmer ist. Zum Teil bewaffnet, maskiert und Plakate und Fahnen schwenkend forderten sie das Ende des Notstandes in dem Bundesstaat.
Abgeordnete waren am Donnerstag zu einer Parlamentssitzung zusammengekommen. „Direkt über mir schreien uns Männer mit Waffen an“, beschrieb die anwesende Senatorin Dayna Polehanki die Situation in einem Tweet. Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus hat Michigan wie andere USBundesstaaten weitreichende Ausgangsbeschränkungen verhängt.
Whitmer gehört zu den aufstrebenden Figuren der demokratischen Partei und wurde so zuletzt zunehmend zum Ziel von Attacken aus den Reihen der Republikaner, auch von US-Präsident Donald Trump. Er sprach den Demonstranten in Michigan seine Unterstützung aus. „Dies sind sehr gute Leute, aber sie sind wütend“, schrieb Trump am Freitag auf Twitter. „Sie wollen ihr Leben zurück, auf sichere Weise.“
Das gibt es, gewiss. Aber kennen Sie die Witwe eines Chefarztes, die Regale im Supermarkt auffüllt oder in einer Gaststätte arbeitet, um unter Menschen zu kommen? Nein, die allermeisten Senioren arbeiten noch, weil sie nur eine kleine Rente haben. Es gab 2019 sogar fast 200000 Menschen, die einen Minijob hatten, obwohl sie 75 Jahre oder älter waren. Über ein Drittel der Menschen, die Lebensmitteltafeln aufsuchen, sind Senioren. Viele Tafeln wurden aber wegen der Pandemie geschlossen, nicht zuletzt deshalb, weil die Helfer aus Altersgründen zur Hochrisikogruppe gehören.
Butterwegge: Ich fordere einen Ernährungszuschlag von 100 Euro monatlich für Menschen, die Hartz IV, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Asylbewerberleistungen beziehen. Schließlich sind gesunde Lebensmittel wichtig zur Stärkung des Immunsystems, aber teurer und zum Teil wegen Hamsterkäufen auch knapper geworden.
Die Bundesregierung hat doch ein Sozialschutzpaket geschnürt, das unter anderem vorsieht, dass Menschen leichter staatliche Hilfe erhalten.
Leider hat dieses Hilfspaket eine verteilungspolitische Schieflage. Es hilft zwar denjenigen, die als Kleinunternehmer oder Soloselbstständige neu in die Bedürftigkeit geraten. Sie bekommen leichter Hartz IV, um ihre Existenz zu sichern, und Wohngeld. Leer gingen hingegen Menschen aus, die teilweise schon viele Jahre lang Hartz IV beziehen und derzeit höhere Kosten haben.
Das sind ja nicht nur alte Menschen, sondern auch Alleinerziehende und Familien mit Kindern.
Gerade viele Alleinerziehende und Familien im Hartz-IVBezug geraten jetzt in finanzielle Not. Nur ein Beispiel: Kinder aus Hartz-IV-Familien erhielten in der Kita oder in der Schule ein kostenloses Mittagessen. Jetzt müssen die Familien ihre Kinder selbst verpflegen, weil Schulen und Kitas geschlossen sind. Man muss es leider so sagen: Für die Menschen, die schon länger bedürftig sind, für Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und Bezieher von Grundsicherung wurde bisher gar nichts getan. Für jene Menschen, die am stärksten von der Krise betroffen sind, gibt es keine staatliche Unterstützung. Damit verletzt der Sozialstaat seine oberste Pflicht. Wer am meisten profitiert, ist die Wirtschaft – ihr wurden praktisch über Nacht mehr als eine Billion Euro zur Verfügung gestellt, wenn man die Summe von Finanzhilfen, Krediten und Bürgschaften bildet.
Nicht wenige fürchten, dass trotz Kurzarbeit viele Unternehmen massiv Stellen streichen werden.
Vermutlich wird es zu Massenentlassungen kommen. Dabei zahlen viele Konzerne wie Daimler weiter üppige Dividenden. Unternehmen sparen die Lohnkosten einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge, die der Staat mit dem Kurzarbeitergeld übernimmt. Die Beschäftigten erleiden anfangs große Einkommensverluste, was besonders Geringverdiener hart trifft. Sinnvoll wäre deshalb ein MindestKurzarbeitergeld, wie es die CDUSozialausschüsse fordern. Schließlich tragen am Ende vor allem die Ärmsten die Kosten der Krise.
Wie meinen Sie das?
Nicht nur, dass vor allem Geringverdiener und Leiharbeiter ihre Jobs als Erstes verlieren, vor allem die Sozialausgaben dürften gekürzt werden. Milliardensummen, die Gruppen mit der größten Lobbymacht bekommen, müssen schließlich bezahlt werden. Stimmen aus der Union, die nach einem Verzicht auf die Grundrente rufen oder sie verschieben wollen, werden bereits lauter – das würde im Übrigen viele von denen treffen, die in der Corona-Krise als Helden des Alltags gefeiert werden: Krankenschwestern, Pflegekräfte, Verkäuferinnen und Rettungssanitäter, die schlecht bezahlt werden und später in den Genuss der Grundrente kämen.
Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen?
Auf keinen Fall darf es Steuersenkungen für Wohlhabende und Vermögende geben. Die SPDVorsitzende Esken hat recht, wenn sie eine Vermögensabgabe als Lastenausgleich fordert. Hingegen ist eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages, die Markus Söder, Friedrich Merz und Christian Lindner befürworten, der völlig falsche Weg. Sie würde vor allem Reiche begünstigen. Stattdessen sollte der Solidaritätszuschlag in seiner alten Form erhalten und zu einem Corona-Soli umgewidmet werden. Wenn die Große Koalition so weitermacht, vertieft sich die Kluft zwischen Arm und Reich. Dabei hatten Pandemien wie die mittelalterliche Pest oft eine gegenteilige Wirkung.
Sorgte die Pest für mehr Gleichheit?
Durch den Schwarzen Tod vieler Menschen sanken die Boden-, Immobilien- und Lebensmittelpreise. Weil nach der Pandemie
Ich bin da skeptisch. Läuft bald alles wieder in normalen Bahnen, drohen die Probleme der sozialen Risikogruppen in Vergessenheit zu geraten. Kommt eine zweite Welle wie bei der Spanischen Grippe, der 1918/1919 Millionen Menschen auf der ganzen Welt zum Opfer fielen, ist zu befürchten, dass jeder nur noch für sich und die Seinen kämpft. Nachbarschaftshilfen, Empathie, Gemeinsinn – das sind alles zarte Pflänzchen, die schnell zertreten sein können. Für die Versorgung bedürftiger Gruppen muss der Sozialstaat zuständig bleiben. Er darf diese Aufgabe nicht Ehrenamtlern, Stiftungen und Spendern überlassen.