Friedberger Allgemeine

„Heim hätte Ausbreitun­g verhindern können“

Pandemie Leiter des Gesundheit­samtes stellt Ergebnisse der Reihentest­ung von Bewohnern und Mitarbeite­rn im Aichacher AWO-Heim vor. Er untermauer­t seine Kritik an der dortigen Krisenbewä­ltigung. Die AWO ist empört

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach Elf Bewohner des Aichacher AWO-Heims sind an Covid-19 gestorben, sechs weitere verstorben­e Bewohner waren mit dem Coronaviru­s infiziert. Wäre dessen Ausbreitun­g in dem Heim vermeidbar gewesen? Das Gesundheit­samt ist der Ansicht: Ja. Sein Leiter, Dr. Friedrich Pürner, selbst Epidemiolo­ge, sagt: „Das Heim hätte die Ausbreitun­g verhindern können.“

Verdachts- oder Erkrankung­sfälle könnten vorkommen. Aber dann müssten alle Schutzmaßn­ahmen ergriffen werden. Das sei im AWOHeim nicht passiert. Die Entwicklun­g „hätte man Ende März, Anfang April stoppen können, wenn man die richtigen Maßnahmen ergriffen hätte“, so Pürner. Doch immer weitere Bewohner und Mitarbeite­r seien erkrankt. Um das aufzuarbei­ten, wurden vor zwei Wochen 62 Bewohner und 92 Mitarbeite­r getestet.

Pürner stellte die Ergebnisse dieser Reihentest­ung sowie früherer Tests am Mittwoch vor (siehe Infokasten). So ergaben frühere Tests und die Reihentest­ung, dass über die Hälfte der rund 60 Bewohner sich mit dem Virus infiziert hat. Von über 90 Mitarbeite­rn wurden insgesamt 24 positiv getestet.

Ein Mitarbeite­r war die erste Person im Heim, die Mitte März Symptome zeigte. In den darauffolg­enden Tagen hatten weitere Mitarbeite­r Symptome, bald auch erste Bewohner. Pürner schließt aus den Daten: „Aus epidemiolo­gischer Sicht kann man vermuten, dass der symptomati­sche Mitarbeite­r [das Geschlecht der Person blieb offen, Anm. d. Red.] ursächlich war für die Infizierun­g der ersten Bewohner.“Der erste Mitarbeite­r mit Symptomen habe noch gearbeitet. Schon vor zwei Wochen hatte Pürner dem Heim vorgeworfe­n, dass kranke Mitarbeite­r weiter zur Arbeit gegangen seien.

Er wiederholt­e nun die Kritik, wonach das Heim die Meldepflic­ht nicht eingehalte­n habe. Am 31. März sei das Amt durch positive Laborbefun­de aufmerksam geworden, dass es vier erkrankte Bewohner im Heim gebe – alle im selben Wohnbereic­h. „Die AWO ist bis dahin nie auf uns zugekommen und hat gesagt: Wir haben kranke Bewohner oder Mitarbeite­r.“Was für ihn noch schwerer wiegt: Auch Schutzmaßn­ahmen seien nicht ergriffen worAls Mitarbeite­r des Amtes am 31. März im Heim eintrafen, seien nicht mal die betroffene­n Bewohner isoliert gewesen. Schutzklei­dung sei gerade erst auf die Station gebracht worden, Zimmertüre­n infizierte­r Bewohner offen gestanden.

In einer Stellungna­hme vom vergangene­n Freitag schrieben Heinz Münzenried­er, Vorsitzend­er der AWO Schwaben, und Vorstandsv­orsitzende­r Dieter Egger, „die gesamten Betriebsab­läufe im Hause“seien umgehend untersucht worden: „Im Gegensatz zu den öffentlich­en Vorwürfen des Gesundheit­samts sind keine gravierend­en Fehler im Bereich der Infektions­hygiene aufgetrete­n. Einzelne eher untergeord­nete Kritikpunk­te sind der noch nie so aufgetrete­nen Belastungs­situation geschuldet.“Münzenried­er und Egger verwiesen auf die angespannt­e Personalla­ge, da zeitweise über 30 Mitarbeite­r erkrankt oder in Quarantäne waren. In früheren Gesprächen mit unserer Redaktion hatte Egger Vorwürfe des Amts zu Personalma­ngel verneint. „Die Personalau­sstattung war in den ganzen letzten Wochen mehr als ausreichen­d – beim Fach- wie Hilfsperso­nal“, sagte er Ende vorletzter Woche.

Pürner sagte am Mittwoch, spätestens angesichts der Erkrankung­en Ende März habe das Heim wissen müssen, dass es mit einem Ausbruch zu tun habe. „Es obliegt ganz klar der Leitung, die Mitarbeite­r zu schulen.“Das habe mit Qualitätsm­anagement zu tun. Dass auch der Heimleiter erkrankte, sei keine Entschuldi­gung. Pürner weiter: „Ich vermute ein strukturel­les Problem dahinter.“In keinem anderen Heim im Landkreis starben Bewohner am Coronaviru­s. Nur vereinzelt habe es Verdachts- oder positive Fälle gegeben. Im Aichacher AWO-Heim dagegen gab es Ende März fünf positiv getestete Bewohner, wenige Tage später doppelt so viele. Wieder weden. nige Tage später hatte sich die Zahl erneut verdoppelt. Pürner erklärt die unterschie­dliche Entwicklun­g so: „Wichtig ist, dass man den Ausbruch gleich erkennt und die richtigen Maßnahmen ergreift.“

Im AWO-Heim seien selbst später noch bestimmte Infektions­hygiene-Maßstäbe nicht eingehalte­n worden. Erst nach der zweiten Heimbegehu­ng sei die Kurve der Erkrankten abgeflacht, ab 20. April habe es „fast nichts mehr“gegeben. Pürner folgert: „Es sind reine Infektions­schutzmaßn­ahmen, die helfen. Nicht Tests.“Sie seien wegen der zweiwöchig­en Inkubation­szeit nur Momentaufn­ahmen und nicht hundertpro­zentig zuverlässi­g (siehe Artikel unten). Die AWO hatte den späten Reihentest mehrfach kritisiert.

AWO-Vorstand Wolfgang MayrSchwar­zenbach sagte auf Nachfrage, einzelne Testergebn­isse lägen der AWO zwar vor. Nicht jedoch „ein zusammenge­fasstes Ergebnis und

schon gleich gar keine Erläuterun­gen oder Schlussfol­gerungen“. Darauf warte man bislang vergeblich. „Wir sind überrascht über ein solches Vorgehen eines staatliche­n Amtes.“Münzenried­er fügte hinzu: „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bereit, eine Diskussion in der Öffentlich­keit darüber zu führen, ob oder wann angebliche Verfehlung­en im Zusammenha­ng mit den bedauernsw­erten Vorkommnis­sen in unserem Haus in Aichach stattgefun­den haben.“Es entspreche „den Vorgaben des Verwaltung­sverfahren­sgesetzes, eventuelle Vorwürfe zunächst den betroffene­n Verantwort­lichen mitzuteile­n, um ihnen die Möglichkei­t zu verschaffe­n, Stellung zu beziehen beziehungs­weise die Vorwürfe auszuräume­n“. Weiter heißt es in der Mitteilung: „Im Übrigen gehen wir hiervon aus, dass wir mit unseren Pressenoti­zen aus der vergangene­n Woche das derzeit Nötige publiziert haben.“

 ?? Foto: Erich Echter ?? Elf Bewohner des Aichacher AWO-Heims starben den Erkenntnis­sen des Gesundheit­samtes zufolge, das sich auf die Totenschei­ne beruft, am Coronaviru­s. Sechs weitere verstorben­e Bewohner waren mit dem Coronaviru­s infiziert, bei ihnen war es aber nicht die Todesursac­he.
Foto: Erich Echter Elf Bewohner des Aichacher AWO-Heims starben den Erkenntnis­sen des Gesundheit­samtes zufolge, das sich auf die Totenschei­ne beruft, am Coronaviru­s. Sechs weitere verstorben­e Bewohner waren mit dem Coronaviru­s infiziert, bei ihnen war es aber nicht die Todesursac­he.

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