Friedberger Allgemeine

Und schon wieder eine Katastroph­e

Familie Schlecht aus Gebenhofen erwischt der Tornado besonders schwer. Der Wirbelstur­m nimmt das Dach samt Dachstuhl mit. Ihr Haus ist nahezu unbewohnba­r. Heute haben die Schlechts ihren Frieden damit gemacht. Doch es ereilt sie ein neuer Schicksals­schlag

- VON CARMEN JUNG

Der Tornado hat übers Lechfeld noch mehr Fahrt aufgenomme­n. Er fegt über Anwalting und den Salzberg. Dann erwischt er das Haus von Familie Schlecht, das ungeschütz­t am westlichen Ortsrand von Gebenhofen steht. Der Wirbelstur­m reißt am 13.Mai 2015 das Dach samt Dachstuhl vom Haus und trägt es 150 Meter mit sich. Michael Schlecht sagt später: „Bei uns hätten ein paar tot sein können.“Doch jeder überlebt.

Wie so viele stehen der Vater, die Mutter, die beiden Kinder und die Schwiegere­ltern mit einem Schlag mitten in Chaos und Verwüstung. Trotzdem ist von Anfang an Dankbarkei­t da. Der 45-jährige Michael Schlecht kommt mit einem Venenriss am Ellbogen und einer Platzwunde davon. Dabei ist ihm das Küchenfens­ter gegen den Kopf gefloMutte­r, gen. Seine 19-jährige Tochter erleidet einen Bruch an der Hand. Sie hat in der Unglücksna­cht gerade ihr Zimmer verlassen, als auch hier das Fenster quer durch den Raum gerissen wird.

In der Küche bleibt das Kreuz im Herrgottsw­inkel am kleinen Nagel hängen. Darunter steht die Madonna unversehrt. Für Barbara Schlecht hat das Symbolkraf­t. Ja, die Schlechts haben Glück gehabt damals. Gleichwohl machen sie danach harte Zeiten durch. Die Wohnung der Familie im ersten Stock ist unbewohnba­r. Im ganzen Haus sind nur zwei Fenster heil geblieben. Wenigstens die Senioren im Erdgeschos­s können weiterhin dort schlafen. Ein Neubau kommt nicht infrage. Dafür zahlt die Versicheru­ng auch nicht. Ein Jahr lang wird also aufgeräumt, gerackert, geschuftet und wieder aufgebaut. Die ganze Familie hilft zusammen. Dann haMal ben die Schlechts ein neues, altes Haus. Sie haben es schöner und moderner wieder aufgebaut und dafür in Kauf genommen, dass sie im sechsstell­igen Bereich draufzahle­n müssen.

Knapp ein Jahr nach dem Tornado erzählen die Schlechts bei einem Besuch unserer Redaktion in ihrer nagelneuen Küche, was sie alles erlebt haben. Sie berichten zum Beispiel, dass Michael Schlecht seither extreme Kopfschmer­zen habe. Erst Monate später finden Ärzte die Ursache. Sie trauen ihren Augen nicht, sprechen von einem Phänomen. Bei Schlecht finden sie Polypen aus den Nebenhöhle­n in der Stirnhöhle. Das muss der Unterdruck im Haus, der beim Tornado entstanden ist, angerichte­t haben. Schlecht wird im Sommer 2016 operiert.

Seither habe der Baggerfahr­er keine Schmerzen mehr, sagt seine Frau in diesen Tagen am Telefon.

Im Mai 2016 erzählt Barbara Schlecht aber auch, dass sie all das Neue um sich herum noch gar nicht genießen könne. Dieser Zustand sollte noch lange andauern, wie sie heute weiß.

Bei dem Telefonges­präch mit unserer Redaktion berichtet die 49-Jährige von einer Episode beim Metzger. Als ihr die Verkäuferi­n damals ihr Mitgefühl ausdrückt, sagt eine Kundin zu ihr: „Du brauchst doch nicht jammern, Du hast doch ein neues Haus gekriegt.“Das sitzt. Denn Barbara Schlecht fühlt ganz etwas anderes. „Mir war das alles so fremd. Das war nicht meins“, erinnert sie sich.

Es dauert zweieinhal­b Jahre, bis die Familie feststelle­n kann: „Wir haben’s geschafft. Jetzt ist es gut.“Die Schlechts machen ihren Frieden mit dem Tornado. Irgendwann in dieser Zeit putzt Barbara Schlecht ihre Küche und stellt zum ersten fest: „Eigentlich ist es schön.“Bis heute spazieren die Schlechts zweimal pro Monat auf den Salzberg. Es bewegt sie Dankbarkei­t, „dass alles gut gegangen ist“. Vor Kurzem sind bei Barbara Schlecht trotzdem Zweifel eingekehrt.

Die Familie hat ein neuer Schicksals­schlag getroffen: Corona. Alle waren sie infiziert. Woher, wissen sie nicht. Sechs Wochen lang war die 49-Jährige so richtig krank, während ihr Mann beinahe symptomfre­i blieb. Sohn und Tochter haben Covid-19 ganz gut weggesteck­t. Die Großeltern nicht. Am 4. April stirbt Barbara Schlechts Mutter im Alter von 87 Jahren im Aichacher Krankenhau­s an Covid-19.

Besonders schlimm ist für die Tochter, dass sie die Mutter nicht einmal mehr hat sehen können. Ihr Vater immerhin überlebt „mit Ach und Krach“. Barbara Schlecht erinnert sich gut daran, wie tapfer ihre damals schon Anfang 80, nach dem Tornado mitgeholfe­n hat. Und sie habe sich danach so gefreut. „Jetzt bin ich so alt und hab noch einmal so eine schöne Wohnung bekommen“, habe die Mutter immer gesagt.

Der Tornado – auch in der neuen Krise bleibt er präsent. Er ist einfach da. Ob Barbara Schlecht will oder nicht. Da muss sie nur in ihrem Garten arbeiten. Jedes Mal findet sie wenigstens eine Glasscherb­e. „Da denkt man natürlich gleich wieder ran.“So geht es ihr wie vielen Tornado-Opfern auch, wenn ein Gewitter aufzieht. In diesen Tagen fragt sich die 49-Jährige öfters: „Warum sind immer wir dabei?“Trotzdem haben die Schlechts – jedenfalls beim Tornado – etwas Gutes gefunden im Schlechten: „Der Tornado hat uns noch mehr zusammenge­schweißt. Er hat uns als Familie nicht geschadet.“

 ?? Fotos/Repros: Ulrich Wagner und Erich Echter (Archiv) ?? Das Dach ist weg: von der Garage und vom Haus hat es der Tornado mitgerisse­n. Barbara und Michael Schlecht haben fast das ganze Haus verloren. Ein Jahr danach ist es wieder aufgebaut (Bild Mitte). Das Fotobuch erinnert noch an die fulminante­n Schäden vom 13. Mai 2015. Fünf Jahre später haben die Schlechts ihren Frieden mit der Katastroph­e gemacht. Darüber erzählt Barbara Schlecht am Telefon. Ein Hausbesuch in Corona-Zeiten scheidet aus.
Fotos/Repros: Ulrich Wagner und Erich Echter (Archiv) Das Dach ist weg: von der Garage und vom Haus hat es der Tornado mitgerisse­n. Barbara und Michael Schlecht haben fast das ganze Haus verloren. Ein Jahr danach ist es wieder aufgebaut (Bild Mitte). Das Fotobuch erinnert noch an die fulminante­n Schäden vom 13. Mai 2015. Fünf Jahre später haben die Schlechts ihren Frieden mit der Katastroph­e gemacht. Darüber erzählt Barbara Schlecht am Telefon. Ein Hausbesuch in Corona-Zeiten scheidet aus.
 ??  ?? Der Wirbelstur­m dauerte nur wenige Minuten. Danach war von mehreren Häusern in Affing und im Ortsteil Gebenhofen nur noch wenig übrig (siehe rechts).
Der Wirbelstur­m dauerte nur wenige Minuten. Danach war von mehreren Häusern in Affing und im Ortsteil Gebenhofen nur noch wenig übrig (siehe rechts).
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Foto: Erich Echter
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