Corona-Lockerung: Fühlen wir uns schon zu sicher?
Thüringen will Maßnahmen aufheben. Experten warnen vor zweiter Welle
Augsburg Die Meldungen des Robert-Koch-Instituts haben den Deutschen zuletzt oft Angst gemacht. Nun machen sie Mut: Weniger als 10 000 Menschen bundesweit sind aktuell mit dem Coronavirus infiziert. Auch die Zahl der Neuinfektionen sinkt. Viele Einschränkungen werden gelockert. Thüringen will die Maßnahmen als erstes Bundesland aufheben. Auch in Bayern kehrt am Montag ein Stück Normalität zurück. Doch die Ruhe könnte trügerisch sein. Experten warnen vor einer neuen Infektionswelle. Wie schnell sich das Blatt wenden kann, zeigen zwei Fälle.
Nach einem Gottesdienst in Frankfurt infizieren sich 107 Personen mit dem Virus. In Niedersachsen stecken sich bislang 18 Personen in einem wiedereröffneten Restaurant an. Viele Menschen nehmen es mit dem Abstandhalten nicht mehr ganz so genau. In München muss die Polizei zum Beispiel eine Wiese im Englischen Garten räumen. Fühlen wir uns schon wieder zu sicher? Trotz der stabilen Zahlen sieht Max Geraedts von der Universität Marburg jedenfalls keinen Anlass für Entwarnung. Wenn Menschen wieder vielerorts eng zusammenkämen, könnte das ausreichen, um wieder einen starken Anstieg loszutreten, sagt der Experte.
Nach der Öffnung der Biergärten vor einer Woche dürfen Bayerns Gastronomen ihre Gäste ab diesem Montag auch wieder in Innenräumen bewirten. Die Hygieneregeln wie der Mindestabstand von eineinhalb Metern oder die Maskenpflicht, bis man am Tisch sitzt, gelten weiterhin. Wie sich die Infektionszahlen entwickeln, wird auch von der Disziplin der Bevölkerung abhängen. An diese appelliert Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Dass er die Mundschutzpflicht oder Kontaktbeschränkungen abschaffen will, erklärt der Linken-Politiker so: „Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbst verantwortetem Maßhalten.“Bis zum 5. Juni gelten die bundesweiten Maßnahmen, die Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten beschlossen hatte. Danach will Ramelow seinen eigenen Weg gehen – allen Kritikern zum Trotz. „Die Bayerische Staatsregierung ist entsetzt“, sagt Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. Was Thüringen plane, sei ein hoch gefährliches Experiment für alle im Lande. „Mir scheint das ein Gang aufs Minenfeld“,
„Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbst verantwortetem Maßhalten.“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow erklärt seine Strategie
findet auch Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche.
Fakt ist: Noch immer gibt es weder eine verlässlich wirksame Behandlung noch einen Impfstoff gegen das Virus. Hajo Zeeb vom LeibnizInstitut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen warnt deshalb: „Wenn man sich veranschaulicht, dass nur ein sehr geringer Bevölkerungsanteil bisher immun sein dürfte, so ist klar, dass das Virus sich schnell auch wieder ausbreiten kann, wenn die Bedingungen dafür stimmen.“
Der weltweite Kampf gegen die Pandemie ist längst nicht gewonnen. Während China erstmals seit Januar zumindest offiziell keine neuen Infektionen meldete, wird die Lage in Südamerika immer dramatischer. Auch die USA bekommen das Virus nicht in den Griff, wie Sie auf der
Dritten Seite lesen können. Mehr über das verhängnisvolle Treffen in einem Restaurant steht auf Panorama. Im Kommentar geht es darum, wie locker es denn sein darf. Und der Leitartikel beschäftigt sich damit, wie die Politik in dieser Krise mit Familien umgeht.