Friedberger Allgemeine

Corona-Lockerung: Fühlen wir uns schon zu sicher?

Thüringen will Maßnahmen aufheben. Experten warnen vor zweiter Welle

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Die Meldungen des Robert-Koch-Instituts haben den Deutschen zuletzt oft Angst gemacht. Nun machen sie Mut: Weniger als 10 000 Menschen bundesweit sind aktuell mit dem Coronaviru­s infiziert. Auch die Zahl der Neuinfekti­onen sinkt. Viele Einschränk­ungen werden gelockert. Thüringen will die Maßnahmen als erstes Bundesland aufheben. Auch in Bayern kehrt am Montag ein Stück Normalität zurück. Doch die Ruhe könnte trügerisch sein. Experten warnen vor einer neuen Infektions­welle. Wie schnell sich das Blatt wenden kann, zeigen zwei Fälle.

Nach einem Gottesdien­st in Frankfurt infizieren sich 107 Personen mit dem Virus. In Niedersach­sen stecken sich bislang 18 Personen in einem wiedereröf­fneten Restaurant an. Viele Menschen nehmen es mit dem Abstandhal­ten nicht mehr ganz so genau. In München muss die Polizei zum Beispiel eine Wiese im Englischen Garten räumen. Fühlen wir uns schon wieder zu sicher? Trotz der stabilen Zahlen sieht Max Geraedts von der Universitä­t Marburg jedenfalls keinen Anlass für Entwarnung. Wenn Menschen wieder vielerorts eng zusammenkä­men, könnte das ausreichen, um wieder einen starken Anstieg loszutrete­n, sagt der Experte.

Nach der Öffnung der Biergärten vor einer Woche dürfen Bayerns Gastronome­n ihre Gäste ab diesem Montag auch wieder in Innenräume­n bewirten. Die Hygienereg­eln wie der Mindestabs­tand von eineinhalb Metern oder die Maskenpfli­cht, bis man am Tisch sitzt, gelten weiterhin. Wie sich die Infektions­zahlen entwickeln, wird auch von der Disziplin der Bevölkerun­g abhängen. An diese appelliert Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow. Dass er die Mundschutz­pflicht oder Kontaktbes­chränkunge­n abschaffen will, erklärt der Linken-Politiker so: „Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatliche­m Zwang hin zu selbst verantwort­etem Maßhalten.“Bis zum 5. Juni gelten die bundesweit­en Maßnahmen, die Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpr­äsidenten beschlosse­n hatte. Danach will Ramelow seinen eigenen Weg gehen – allen Kritikern zum Trotz. „Die Bayerische Staatsregi­erung ist entsetzt“, sagt Florian Herrmann, Leiter der Bayerische­n Staatskanz­lei. Was Thüringen plane, sei ein hoch gefährlich­es Experiment für alle im Lande. „Mir scheint das ein Gang aufs Minenfeld“,

„Von Ver- zu Geboten, von staatliche­m Zwang hin zu selbst verantwort­etem Maßhalten.“

Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow erklärt seine Strategie

findet auch Jenas Oberbürger­meister Thomas Nitzsche.

Fakt ist: Noch immer gibt es weder eine verlässlic­h wirksame Behandlung noch einen Impfstoff gegen das Virus. Hajo Zeeb vom LeibnizIns­titut für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie in Bremen warnt deshalb: „Wenn man sich veranschau­licht, dass nur ein sehr geringer Bevölkerun­gsanteil bisher immun sein dürfte, so ist klar, dass das Virus sich schnell auch wieder ausbreiten kann, wenn die Bedingunge­n dafür stimmen.“

Der weltweite Kampf gegen die Pandemie ist längst nicht gewonnen. Während China erstmals seit Januar zumindest offiziell keine neuen Infektione­n meldete, wird die Lage in Südamerika immer dramatisch­er. Auch die USA bekommen das Virus nicht in den Griff, wie Sie auf der

Dritten Seite lesen können. Mehr über das verhängnis­volle Treffen in einem Restaurant steht auf Panorama. Im Kommentar geht es darum, wie locker es denn sein darf. Und der Leitartike­l beschäftig­t sich damit, wie die Politik in dieser Krise mit Familien umgeht.

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