Friedberger Allgemeine

„Ich will einfach nur sterben“

Ein alter Mann aus Augsburg hat mit seinem Leben abgeschlos­sen. Er ist nicht depressiv oder psychisch gestört. Er will einfach nur selbstbest­immt gehen. Doch es ist sehr schwierig, jemanden zu finden, der ihm dabei hilft

- VON MARKUS BÄR

Augsburg/Hamburg Das Anliegen des älteren Herrn am anderen Ende der Telefonlei­tung lässt zunächst zurückschr­ecken: „Wissen Sie, ich will einfach nur sterben“, berichtet der 86-Jährige unserer Redaktion und teilt das mit sehr klaren Worten mit. Er sei nicht depressiv, nicht krank, er habe sich das genau überlegt, er fühle sich am Ende seines Lebens. Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe habe ja unlängst erst klar gesagt, dass es jedem erlaubt sei, selbst zu bestimmen, wann er sterben wolle. Und er, der 86-Jährige, habe dies sogar schwarz auf weiß. Das habe ihm ein Amtsrichte­r in einem Beschluss mitgeteilt. „Doch mein Problem ist: Ich finde keinen Arzt, der mir bei meinem Vorhaben helfen will.“Was man denn in dieser Situation nun tun könne?

Da ist man als Redakteur erst einmal etwas baff. Jemand will nicht mehr leben. Darf man darauf als Journalist – rein moralisch gesehen – überhaupt eingehen? Ist dieser ältere Herr, der verständli­cherweise anonym bleiben will, womöglich doch voller psychische­r Probleme? Bei denen man ihm vielleicht doch noch helfen könnte? Wie soll man das am Telefon erkennen?

Der Senior ist so freundlich und schickt das Schreiben eines oberbayeri­schen Amtsgerich­tes, in dessen Zuständigk­eitsbereic­h der 86-Jährige bis vor kurzem lebte. Und tatsächlic­h steht es dort schwarz auf weiß: „Nicht Ärzte oder Richter entscheide­n, wann der Betroffene sein Leben lebenswert oder nicht mehr lebenswert zu halten hat.“Und der Amtsrichte­r befindet weiter: „Die Entscheidu­ng des Einzelnen, dem eigenen Leben entspreche­nd seinem Verständni­s von Lebensqual­ität und Sinnhaftig­keit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspu­nkt als Akt autonomer Selbstbest­immung von Staat und Gesellscha­ft zu respektier­en.“Anlass des Richters und auch eines ärztlichen Gutachters für diese Zeilen war, zu beurteilen, ob der ältere Herr wegen Suizidalit­ät in der Psychiatri­e unterzubri­ngen sei. Doch die Begutachtu­ng ergab: Nein. Der 86-Jährige darf zu Recht aus dem Leben scheiden wollen. Wie der Mann in einem weiteren

Gespräch schildert, sei seine Frau vor vielen Jahren gestorben, und nun auch noch seine Lebensgefä­hrtin – er wolle einfach nicht mehr. Alle Ärzte, die er fragte, hätten aber abgewinkt, ihm zu helfen. Aus moralische­n Gründen.

Bei der Landesärzt­ekammer in München verweist Pressespre­cherin Dagmar Nedbal auf die Berufsordn­ung der Ärzte. In den meisten Berufsordn­ungen der Ärzte – diese sind nach Bundesländ­ern organisier­t – fänden sich Verweise, dass Sterbehilf­e keine ärztliche Aufgabe sei. Dieser Hinweis fehle zwar in der bayerische­n Berufsordn­ung. Aber: „Es gibt auch hier keinerlei Verpflicht­ung für einen Arzt, Sterbehilf­e zu leisten.“Und viele Ärzte in Bayern möchten dies aus moralische­n Gründen nicht.

Wie etwa Dr. Jakob Berger, Sprecher der Hausärzte in BayerischS­chwaben. „Als Christ lehne ich Sterbehilf­e ab“, sagt der 70-Jährige. „Stattdesse­n sollte man versuchen, dem Betreffend­en Hilfestell­ung zu geben.“Er ist sich sicher, dass es ihm in 45 Jahren als Arzt immer gelungen Sterbende derart bis zum Tod zu begleiten, dass es für sie würdig war.“Und wenn dies erfordert habe, dass er als Hausarzt bis zu drei- oder viermal am Tag zu eben einem solchen Patienten hinfahren musste. Überdies kenne er tatsächlic­h keinen ärztlichen Kollegen in der Region, der dem 86-Jährigen helfen würde.

Den Mediziner Professor Georg Marckmann, Vorstand des Institutes für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t, wundert das nicht. „Solange das Ganze nicht in der Berufsordn­ung der Ärzte geändert wird, werden sich viele Mediziner zurückhalt­end zeigen“, sagt der Wissenscha­ftler. Oder der Gesetzgebe­r verabschie­det eine konkrete Sterbehilf­eregelung, nach der sich die Ärzte richten müssen. Doch die gebe es noch nicht. „Es handelt sich derzeit tatsächlic­h um eine für diesen Menschen unbefriedi­gende Situation“, sagt Marckmann. Sterbehilf­e ist laut Bundesverf­assungsger­icht nun erlaubt. Aber es findet sich kaum jemand, der einem Sterbewill­igen fachlich helfen möchte.

Marckmann verweist allerdings auf den Verein „Sterbehilf­e“, der zwar aus entstehung­sgeschicht­lichen Gründen seinen Sitz in Zürich hat, aber eigentlich eher ein deutscher Verein ist, der zudem eine Geschäftss­telle in Hamburg betreibt. Dieser Verein ist bereit, Sterbewill­igen zu helfen. Schaut man sich auf der Website des Vereins um, stellt man fest, dass das keine ganz billige Leistung ist. Sie kostet nämlich 7000 Euro. Obwohl der Verein nach eigener Auskunft gemeinnütz­ig tätig ist.

Mitarbeite­rin Meike Hoffmanns erklärt bereitwill­ig, wie der Verein vorgeht und woher die hohen Kosten kommen. Zurzeit hat er bundesweit 497 Mitglieder. Man muss Mitglied werden, wenn man die Suizidhilf­e in Anspruch nehmen will. Je länger man Mitglied ist, desto mehr sinken die Kosten dafür. 7000 Euro fallen nur dann an, wenn man beitritt und sogleich die Hilfe in Anspruch nehmen will. Dafür schaltet der Verein einen Anwalt ein, der unter anderem eine juristisch wasserdich­te Patientenv­erfügung erstellt. Des Weiteren fertigt ein Arzt ein Gutachten an, inwieweit der Sterbewill­ige festen Willens ist – oder am Ende vielleicht doch eher jemand ist, dem man diesen Wunsch nicht erfüllen sollte, weil er sich vielleicht gerade in einer Lebenskris­e befindet, die sich aber lösen lässt. „Dadurch entstehen natürlich Kosten für die Honorare“, ersei, klärt Hoffmanns. Liegt grünes Licht vor, entscheide­t die Vereinsfüh­rung darüber, ob dem Wunsch des Sterbewill­igen entsproche­n wird. Wenn ja, wird diesem ein Kombipräpa­rat verschrieb­en und verabreich­t, bestehend aus einem Schlafmitt­el, einem Mittel gegen Erbrechen und einem tödlich wirkenden Mittel. Was genau verabreich­t wird, will der Verein nicht öffentlich sagen, weil er unprofessi­onelles Nachahmen befürchtet.

Was ist, wenn man das Geld nicht hat? „Wir haben in vielen Fällen auch dann immer eine Lösung gefunden“, sagt Hoffmanns. Der Beitrag könne nach individuel­ler Abstimmung geringer und den Lebensverh­ältnissen der Sterbewill­igen angemessen ausfallen. Der Verein engagiert sich seit über zehn Jahren für die Selbstbest­immung am Lebensende. In dieser Zeit habe man über 1500 Mitglieder in schwierige­n Lebensphas­en beraten und über 250 Mitglieder im Sterben begleitet.

Wir landen wieder telefonisc­h bei dem 86-Jährigen. „Ich werde mich nun erkundigen, ob dieser Verein auch etwas für mich ist“, sagt er dankbar. Und dann verabschie­det er sich freundlich am Telefon.

Viele Ärzte helfen aus moralische­n Gründen nicht

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Foto: Martin Bertrand, Imago Images Darf man selbst entscheide­n, wann man sterben will? Das Bundesverf­assungsger­icht sagt Ja. Doch es gibt nur wenig Hilfe für derlei Pläne.

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