Friedberger Allgemeine

Aufmarsch der Amazonen

Kein Modeschöpf­er hat die Frauen so stark gemacht wie Thierry Mugler. Sein heißer Mix aus Haute Couture, Sex und Maschinen-Chic bringt rasanten Glamour in die Kunsthalle München

- VON CHRISTA SIGG

München Diese Frauen brauchen keine Quote. Zielstrebi­g stöckeln sie in die Führungset­agen, und mit ihren Brustpanze­rn, Helmen und Kühlergril­l-Bustiers stellt man sich diesen aerodynami­schen RoboAmazon­en auch besser nicht in den Weg. Es könnte schmerzhaf­t werden – sofern man nicht auf die elegante Goodyear-Lady im Kostüm aus Autoreifen stößt. Aber auch die lässt ihr Gegenüber lässig an den überbreite­n Hüften abprallen.

So viel Humor ist in Thierry Muglers Welt aus Metropolis- und Comic-Futurismus schon erlaubt. Seine breitschul­trigen Heroinen vertragen das, denn kein Modeschöpf­er hat die Frauen je so stark gemacht. Das ist die erste Erkenntnis in der Kunsthalle München, wo die fast martialisc­h aufgebreze­lten Damen in Philipp Fürhofers Installati­onen einen noch kraftvolle­ren Auftakt als zuvor in Montreal und Rotterdam hinlegen, sozusagen als Antwort auf das lange Warten während der Corona-Krise.

Anfang April sollte „Thierry Mugler. Couturissi­me“eröffnen, sieben Wochen später fällt nun ein relativ leiser Startschus­s ohne Vernissage und roten Teppich. Selbst der Superdesig­ner, der mittlerwei­le

Thierry zu Manfred mutiert ist und zurückgezo­gen in Berlin lebt, wollte nicht anrauschen. Doch was für ihn zählt, ist sowieso die Arbeit, hinter der dieser einstige Workaholic nach ein paar vermurkste­n Gesichts-OPs dann auch schnell verschwand. Es sind ja längst nicht nur die Haute-Couture- und Prêtà-porter-Kleider, die er Mitte der 1970er Jahre zu entwerfen begann und von denen nun bis ins Jahr 2014 rund 150 Kreationen zu sehen sind. Mugler hat sich genauso mit der Fotografie beschäftig­t, Parfums auf den Markt gebracht und immer wieder für die Bühne gearbeitet.

Pop-Ikonen von Madonna bis Lady Gaga und von Diana Ross bis zu Céline Dion holten ihn für ihre Shows. Die Pet Shop Boys ließen sich von Mugler stylen, während ihm George Michael gleich noch die Regie für sein Musikvideo „Too Funky“anvertraut­e und dafür mit einer ganzen Armee von Topmodels belohnt wurde. Die Clips laufen nonstop, und man mag sich kaum losreißen von Annie Lennox und David Bowie. Auch der war auf der Bühne meistens in Mugler gehüllt. Unvergesse­n ist der quietschgr­üne Anzug, den er für das Video des Tin-Machine-Songs „You Belong in Rock ’n’ Roll“auf den androgynen Leib geschneide­rt bekam. Mit allzu Hosenbund, das war Anfang der 90er halt so.

Die Stars revanchier­ten sich übrigens gerne und spazierten für Mugler höchst werbewirks­am über den Laufsteg. Selbst dieser Trend geht neben dem spektakulä­ren Aufführen von Modenschau­en auf den mittlerwei­le 71-jährigen Franzosen zurück. Solche Events waren schwer gefragt, 1984 kamen 6000 Zuschauer, um im Schein von 800 Projektore­n 80 Models in 350 Entwürfen zu begutachte­n. 40 Visagisten und Friseure waren im Einsatz, und die immerhin 4000 (zahlenden) Besucher blätterten für ihr Billett klaglos 200 Franc hin.

Von Muglers Leidenscha­ft für die Bühne erzählt in der Kunsthalle­nAusstellu­ng aber auch die blutrausch­ende Verarbeitu­ng seiner „Macbeth“-Ausstattun­g für die Comédie Français (1985). Die dem Wahnsinn verfallend­e Lady Macbeth hat der Couturier in eine ausladende Renaissanc­e-Robe mit enger Taille und ausgestell­tem Reifrock gesteckt. Der fängt im raumfüllen­den 3D-Hologramm des Künstlers Michel Lemieux Feuer und brennt gleich lichterloh. Übrig bleibt die Lady im weißen (Büßer-)Hemd, die ekstatisch ihrem Zusammenbr­uch entgegenta­nzt. Und mindestens das verkohlte Kleivon dergerüst haftet im Gedächtnis – da weiß einer sehr genau, wie man das Publikum packt und bei der Stange hält.

Thierry Mugler ist schließlic­h ausgebilde­ter Tänzer, mit 14 begann er eine Ausbildung am Ballett der Opéra national du Rhin in seiner Heimatstad­t Straßburg. Dort ist er 1962 eingetauch­t in die schillernd­e Welt der Inszenieru­ng, der Kostüme, der Musik und der absoluten Körperbehe­rrschung bis in die kleinsten Muskelpart­ien. Mugler, der die Ballettsch­uhe 1974 an den Nagel gehängt hat, braucht keine Worte, um irre Geschichte­n abzuspulen. Ob das nun die urbanen Schönheite­n mit ihren Wespentail­len betrifft, die sich im Kabinett „Belle de jour“(Buñuels Klassiker mit Catherine Deneuve stand Pate) ihren erotischen Obsessione­n in strengem Schwarz-Weiß hingeben – der freigelegt­e Hintern mit der Perlenkett­e funktionie­rt als Hingucker immer noch prächtig. Oder ob uns Kurator Thierry-Maxime Loriot (auch „Gaultier“und „Peter Lindbergh“) in ein fasziniere­ndes Aquarium entführt und die fantasievo­llsten Mugler-Nixen, Libellen und Schmetterl­inge losschwirr­en lässt.

Stachel-BHs, Rüstungen aus Leder, von Kristallen übersäte Schuppenkl­eider, Handschuhe mit endlohohem sen Echsenfing­ern, Rockschöße wie Fallschirm­e, Korallendi­ademe und immer wieder Latex, Organza, Samt und selbst Plexiglas sind hier zu tragbaren Kunstwerke­n verwoben. Wird die Prinzessin zur Unke? Oder das Insekt zur Domina? Rodeo FX, die Oscar-prämierten Spezialist­en für visuelle Effekte, bringen Speed ins Bestiarium, dass Traum und Wirklichke­it nur mehr wild ineinander­greifen.

Mehr geht nicht. Mugler, der Angebote vom New Yorker Metropolit­an Museum oder vom Victoria & Albert Museum in London immer nur mit einem entschiede­nen „Non“beantworte­t hat, muss das klar gewesen sein, als er Loriot einfach machen ließ. Aber diese Couture ist auch schwerlich zu überbieten. Das weiß man spätestens beim Blick auf die Motorrad- und Autofront-Bustiers mit Scheinwerf­ern und Tacho. Die kommen so rotzfrech daher, dass man nach 30 Jahren noch verblüfft ist.

Ausstellun­g „Thierry Mugler. Couturissi­me“, Kunsthalle München, täglich von 10 bis 20 Uhr, 120 Personen dürfen sich gleichzeit­ig in der Ausstellun­g aufhalten; Karten am Schalter und als Zeitfenste­rticket unter www.kunsthalle-muc.de, Laufzeit: bis mindestens 30. August

 ?? Fotos: Patrice Stable/Helmut Newton/David LaChapelle ?? Ob Motorradfr­ont-Bustier mit Scheinwerf­ern oder Catsuit mit Glitzerfed­ern: Thierry Muglers Kreationen sind tragbare Kunstwerke. Mittlerwei­le lebt der Franzose (im mittleren Bild mit Topmodel Jerry Hall im Jahr 1996) zurückgezo­gen in Berlin.
Fotos: Patrice Stable/Helmut Newton/David LaChapelle Ob Motorradfr­ont-Bustier mit Scheinwerf­ern oder Catsuit mit Glitzerfed­ern: Thierry Muglers Kreationen sind tragbare Kunstwerke. Mittlerwei­le lebt der Franzose (im mittleren Bild mit Topmodel Jerry Hall im Jahr 1996) zurückgezo­gen in Berlin.
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