Gustave Flaubert: Frau Bovary (80)
WMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshungrig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
ir müssen uns ihrem Gebote fügen.“
„Jawohl,“eiferte der Apotheker, „man exkommuniziert die Schauspieler. In früheren Jahrhunderten nahmen sie an den kirchlichen Feiern teil. Man spielte sogar in der Kirche possenhafte Stücke, die sogenannten Mysterien, in denen es häufig nichts weniger als dezent zuging…“Der Geistliche begnügte sich, einen Seufzer auszustoßen. Der Apotheker redete immer weiter: „Und wie stehts mit der Bibel? Es wimmelt darin – Sie wissens ja am besten – von Unanständigkeiten und – man kann nicht anders sagen – groben Schweinereien…“Bournisien machte eine unwillige Gebärde. „Aber Sie müssen mir doch zugeben, daß das kein Buch ist, das man jungen Leuten in die Hand geben kann. Ich werde es nie zulassen, daß meine Athalie…“
„Das sind ja die Protestanten, nicht wir,“rief der Pfarrer ungeduldig, „die den Leuten die Bibel überlassen!“
„Das kommt hier nicht in Frage“, erklärte Homais. „Ich wundre mich nur, daß man noch in unsrer Zeit, im Jahrhundert der wissenschaftlichen Aufklärung, eine geistige Erholung zu verdammen sucht, die in gesellschaftlicher, in moralischer, ja sogar in hygienischer Beziehung die Menschheit fördert! Das ist doch so, nicht, Doktor?“
„Zweifellos!“erwiderte der Arzt nachlässig. Entweder wollte er niemandem zu nahetreten, obgleich er dieselbe Ansicht hegte, oder er hatte hierüber überhaupt keine Meinung.
Die Unterhaltung war eigentlich zu Ende, aber der Apotheker hielt es für angebracht, eine letzte Attacke zu reiten.
„Ich habe Geistliche gekannt,“behauptete er, „die in Zivil ins Theater gingen, um die Balletteusen mit den Beinen strampeln zu sehen.“
„Ach was!“wehrte der Pfarrer ab.
„Doch! Ich kenne welche!“Und nochmals sagte er, Silbe für Silbe einzeln betonend: „Ich – ken – ne – wel – che!“
„Na ja,“meinte Bournisien nachgiebig, „die Betreffenden haben da aber etwas Unrechtes getan.“
„Was Unrechtes? Der Teufel soll mich holen! Sie taten noch ganz andre Dinge!“
„Herr – Apo – the – ker!“rief der Geistliche mit einem so zornigen Blicke, daß Homais eingeschüchtert wurde und einlenkte:
„Ich wollte damit ja nur sagen, daß die Toleranz die beste Fürsprecherin der Kirche ist.“
„Sehr wahr! Sehr wahr!“gab der gutmütige Pfarrer zu, indem er sich wieder in seinen Stuhl zurücklehnte. Er blieb aber nur noch ein paar Minuten. Als er fort war, sagte Homais zu Bovary:
„Das war eine ordentliche Abfuhr! Dem hab ichs mal gesteckt! Sie habens ja mit angehört! Um darauf zurückzukommen: tun Sie das ja, führen Sie Ihre Frau in das Theater, und wenns bloß deshalb wäre, um diesen schwarzen Raben damit zu ärgern. Sapperlot! Wenn ich einen Vertreter hätte, begleitete ich Sie selber! Aber halten Sie sich dazu! Lagardy singt nur einen einzigen Abend. Er hat ein Engagement nach England für ein Riesenhonorar! Übrigens soll er ein toller Schwerenöter sein! Er schwimmt im Gold! Drei Geliebte bringt er mit und seinen
Leibkoch! Alle diese großen Künstler können nicht rechnen. Sie brauchen ein verschwenderisches Dasein, es regt ihre Phantasie an. Freilich enden sie im Spittel, weil sie in jungen Jahren nicht zu sparen verstehen… Na, gesegnete Mahlzeit! Auf Wiedersehn!“
Der Gedanke, das Theater zu besuchen, schlug in Bovarys Kopfe schnell Wurzel. Er redete Emma in einem fort zu. Anfangs wollte sie nichts davon wissen und meinte, sie fühle sich zu schwach, es sei zu beschwerlich und zu kostspielig. Ausnahmsweise gab Karl nicht nach, zumal er sich einbildete, daß ihr diese Zerstreuung sehr dienlich wäre. Irgendwelche Schwierigkeit lag nicht vor. Seine Mutter hatte ihm jüngst ganz unvermutet dreihundert Franken geschickt. Die laufenden Ausgaben waren nicht groß, und die Wechselschuld bei Lheureux war noch lange nicht fällig, so daß er daran nicht zu denken brauchte. Er dachte, Emma sträube sich nur aus Rücksicht auf ihn. Deshalb bestürmte er sie immer mehr, bis sie seinen Bitten schließlich nachgab. Am andern Morgen um acht Uhr fuhren sie mit der Post ab. Den Apotheker hielt nichts Dringliches in Yonville zurück, aber er hielt sich für unabkömmlich. Als er die beiden einsteigen sah, jammerte er.
„Glückliche Reise!“sagte er.
„Habt ihrs gut!“Und zu Emma gewandt, fügte er hinzu: „Sie sehen zum Anbeißen hübsch aus! Sie werden in Rouen Furore machen!“
Die Post spannte in Rouen im „Roten Kreuz“am BeauvoisinePlatz aus. Das war ein regelrechter Vorstadtgasthof mit geräumigen Ställen und winzigen Fremdenzimmern. Mitten im Hofe lief eine Schar Hühner herum, die unter den verschmutzten Einspännern der Geschäftsreisenden ihre Haferkörner aufpickten. Es war eine der Herbergen aus der guten alten Zeit. Sie haben morsche Holzbalkone, die in den Winternächten im Winde knarren; die Gäste, der Lärm und die Esserei werden in ihnen nie alle; die schwarzen Tischplatten sind voller großer Kaffeeflecke, die trüben dicken Fensterscheiben voller Fliegenschmutz und die feuchten Servietten voller Rotweinspuren. Auf der Straßenseite gibt es ein Café und hinten nach dem Freien zu einen Gemüsegarten. Alles trägt einen ländlichen Anstrich.
Karl machte sofort einen Besorgungsgang. An der Theaterkasse wußte er nicht, was Parkett, Proszeniumsloge, erster Rang und Galerie war; er bat um Auskunft, wurde dadurch aber auch nicht klüger. Der Kassierer wies ihn in die Direktion. Schließlich rannte er noch einmal in den Gasthof zurück, dann wieder an die Kasse. Auf diese Weise lief er mehrmals durch die halbe Stadt.
Frau Bovary kaufte sich einen neuen Hut, Handschuhe und Blumen. Karl war fortwährend in Angst, den Beginn der Oper zu versäumen. Und so nahmen sie sich beide keine Zeit, einen Bissen zu sich zu nehmen. Als sie aber vor dem Theater ankamen, waren die Türen noch geschlossen.
Fünfzehntes Kapitel
Eine Menge Menschen umlagerte die Eingänge. Überall an den Ecken der in der Nähe gelegenen Straßen prangten riesige Plakate, die in auffälligen Lettern ausschrien: „Lucia von Lammermoor… Oper… Donizetti… Gastspiel… Lagardy…“Es war ein schöner, aber heißer Tag. Der Schweiß rann den Leuten über die Stirn, und sie fächelten ihren erhitzten Gesichtern mit den Taschentüchern Kühlung zu. Hin und wieder wehte lauer Wind vom Strome her und blähte ein wenig die Leinwandmarkisen der Restaurants. Weiter unten, an den Kais, wurde man durch einen eisigen Luftzug abgekühlt, in den sich Gerüche von Talg, Leder und Öl aus den zahlreichen dunklen, vom Rollen der großen Fässer lärmigen Gewölben der Karren-Gasse mischten.