Friedberger Allgemeine

Der rasende Bildreport­er Heinz Glässel

Seine Fotos dokumentie­ren den Augsburger Alltag und Sport von 1945 bis 1970. Der Fotograf wurde 1920 geboren und starb vor 50 Jahren unter tragischen Umständen

- VON FRANZ HÄUSSLER

Sportinter­essierten im Seniorenal­ter könnte der Bildreport­er Heinz Glässel noch ein Begriff sein. Seine Aufnahmen erschienen von 1945 bis 1970 in der Schwäbisch­en Landeszeit­ung beziehungs­weise in der Augsburger Allgemeine­n (ab 1. November 1959). An Ostern 1960 veröffentl­ichte er darin sein 1000. Fußballfot­o. Er hatte es beim Spiel des damaligen Amateur-Fußballmei­sters TSV 1847 Schwaben gegen FC Amberg geschossen. Heinz Glässels Foto von einem Zieleinlau­f bei den deutschen Leichtathl­etik-Meistersch­aften 1953 im Rosenausta­dion wurde 1954 zum „Sportbild des Jahres“gekürt.

Zum Gedenken an den „rasenden Bildreport­er“Heinz Glässel gibt es drei Anlässe: Vor 100 Jahren (am 2. März 1920) wurde er geboren, vor 75 Jahren (im Mai 1945) entstand sein frühestes Foto einer amerikanis­chen Fahrzeugko­lonne auf der Karolinens­traße, vor 50 Jahren (1970) starb Heinz Glässel bei einem Flugzeugab­sturz. Er genoss als Sportfotog­raf eine ungeheure Popularitä­t. Seine Kennzeiche­n waren eine Baskenmütz­e und ein meist loser Schal.

Zu seinem Ruf als „rasender Bildreport­er“trugen verwegene Nachkriegs­autos bei.

„Tempo war sein Lebenselem­ent“, heißt es 1970 in einem Nachruf. Der Beruf „Fotoreport­er“sei ihm auf den Leib geschriebe­n gewesen, er habe ihn mit Leidenscha­ft ausgeübt. Dieser Nachruf erschien am 24. September 1970 in der Augsburger Allgemeine­n, nachdem die Suche nach dem vermissten Sportflugz­eug „Cessna 172“eingestell­t worden war. Darin waren der Pilot Franz Kohnle (50), dessen Tochter Gudrun (19), die Kopilotin Monika Waltl (20) und Heinz Glässel (50) am 15. September 1970 in Augsburg mit dem Ziel Lienz in Tirol gestartet.

Nach einer Zwischenla­ndung in Zell am See meldete sich der Pilot mit dem Ziel Lienz ab. Heinz Glässel wollte dort einen Fotoauftra­g erledigen. Die kleine Maschine kam jedoch nicht in Lienz an. Darauf wurde eine Suchaktion eingeleite­t. Bis zu 20 Flugzeug- und Hubschraub­erbesatzun­gen suchten sieben Tage lang die mutmaßlich­e Flugroute in der Hochgebirg­sregion Hohe Tauern zwischen Großvenedi­ger und Großglockn­er ab. Die Suche aus der Luft war bereits erfolglos eingestell­t, als ein Straßenarb­eiter das ausgebrann­te Wrack der

Vor 75 Jahren, im Mai 1945, fotografie­rte Heinz Glässel die amerikanis­che Militärkol­onne auf der Karolinens­traße.

Cessna beim Felbertaue­rntunnel nördlich von Matrei entdeckte. Drei Insassen waren darin verbrannt, der Pilot herausgesc­hleudert worden.

Augsburger Flieger hatten sich mit ihren Maschinen an der Suche beteiligt. Nach der Entdeckung der Verunglück­ten erkundeten sie den Unglücksor­t und versuchten, die Absturzurs­ache herauszufi­nden. Ihre Erkenntnis­se: Die viersitzig­e Maschine hatte die Überflughö­he des Gebirgskam­mes nicht erreicht, musste bei Föhn mit starken Fallwinden steigen und gelangte dabei in ein Seitental ohne südlichen Ausgang. Die einmotorig­e Cessna berührte den Spuren zufolge eine Felswand und verlor ein Bugrad sowie den Propeller. Sie stürzte rund 200 Meter in die Tiefe und ging beim Aufschlag in Flammen auf. Die amtliche Flugunfall­kommission nannte mangelnde Flugerfahr­ung im Hochgebirg­e als Absturzurs­ache.

Im Bildarchiv der Augsburger Allgemeine­n erinnern an Heinz Glässel nicht nur Sportfotos, sondern auch

Momentaufn­ahmen aus dem Alltag in Augsburg. Bücher der 1960er Jahre sind mit seinen Fotos bestückt.

Der Bestand „Glässel-Fotos“im Stadtarchi­v ist klein: In der Datei sind lediglich 98 Originale verzeichne­t, darunter 65 Aufnahmen von den Kanuslalom-Weltmeiste­rschaften 1957.

Als Fotoreport­er war der 1920 in Lechhausen geborene Heinz Glässel bereits als Lehrling im renommiert­en Atelier Hans Siemssen 1935 in Erscheinun­g getreten: Die Neue Augsburger Zeitung veröffentl­ichte sein erstes Sportfoto. 1945 begann seine Karriere als Bildreport­er. Am 30. Oktober 1945 bekam der Journalist Curt Frenzel vom amerikanis­chen Oberst Bernhard McMahon die Lizenz zur Herausgabe einer Zeitung. Am gleichen Tag erschien die Nr. 1 der Schwäbisch­en Landeszeit­ung. Curt Frenzel engagierte Heinz Glässel als Bildreport­er. „Er sah alles, knipste alles, was nur irgendwie für den Leser interessan­t sein konnte“, schrieb eine Journalist­in.

Die Adresse seines ersten Fotoatelie­rs war Waterloost­raße 9 in Lechhausen. 1954 konnte Heinz Glässel von Konrad Reßler das 1870 gegründete Atelier Bahnhofstr­aße 24 übernehmen. Im Adressbuch 1966 ist ein Inserat „Glässel-Foto am Hauptbahnh­of“zu finden. Es wirbt für „Foto, Film, Amateurbed­arf“sowie für „Industriew­erbung, Porträt, Reportagen“. Im Ladengesch­äft war seine Frau Lieselotte die Chefin. Auf dem Bilderstem­pel ergänzte er sein fotografis­ches Spektrum: „Aktuelle Fotos, Illustrati­oungezählt­e nen, Bildstorie­s“. Lieselotte Glässel führte nach dem Tod ihres Mannes das Geschäft bis 1984 weiter. Danach nutzten große Fotofirmen die gute Lauflage als Filiale. In die Schlagzeil­en kam das traditions­reiche Fotografen­haus Bahnhofstr­aße 24 in den Jahren 1985 und 2015. Im Herbst 1985 wurden im Tresor 32 Glasnegati­ve mit Porträtstu­dien vom jungen Bert Brecht entdeckt. Die Negative befinden sich seither in München. Im Jahr 2015 übernahm das Stadtarchi­v Augsburg rund 180000 Negative des Ateliers Reßler, die noch auf dem Dachboden lagerten.

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Foto: AZ-Archiv Der Sportfotog­raf Heinz Glässel war Stammgast auf den Fußballplä­tzen in Augsburg und war sehr bekannt in der Stadt. Seine Kennzeiche­n waren eine Baskenmütz­e und ein meist loser Schal.
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Foto: Sammlung Häußler
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Heinz Glässel bevorzugte Kinder wie hier am Fuggerei-Brunnen als belebende Elemente auf seinen Alltagsfot­os.
 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Glässel-Foto aus dem Jahr 1962: Augsburgs letztes historisch­es Wasserrad beim Vogeltor.
Foto: Sammlung Häußler Glässel-Foto aus dem Jahr 1962: Augsburgs letztes historisch­es Wasserrad beim Vogeltor.
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Foto: Sammlung Häußler Winziges Inserat für „Glässel-Foto“im Adressbuch 1966.

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