Friedberger Allgemeine

Bullerbü ist weit weg

Kinder und Jugendlich­e würden gerne mehr draußen spielen. Aber es gibt viele Hinderniss­e. Und da geht es nicht nur um die Angst vor Corona

- VON STEFAN LANGE

Berlin Der Drang ist groß, er wird aber oft durch verschiede­ne Hürden behindert: Für zwei Drittel der Kinder und Jugendlich­en in Deutschlan­d ist das Draußenspi­elen einer Studie zufolge sehr wichtig oder mindestens wichtig. Sie werden allerdings von Fehlplanun­gen der Kommunen, von Zeitmangel und in den letzten Wochen durch die Corona-Epidemie in ihrer Bewegungsl­ust gebremst. Das Deutsche Kinderhilf­swerk als Auftraggeb­er der Studie und Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey sprachen sich dafür aus, dem Nachwuchs gerade in Zeiten der Virus-Krise zügig mehr Raum zur Entfaltung zu geben.

Der Präsident des Kinderhilf­swerks, Thomas Krüger, verwies darauf, dass die Ansteckung­sgefahr in Räumen größer sei als draußen, Kinder außerdem von einer Ansteckung weniger betroffen seien. Er verstehe deshalb nicht, dass bei den aktuellen Unterricht­skonzepten der Sport so ins Hintertref­fen gerate. Auch Familienmi­nisterin Giffey warb dafür, Kindern und Jugendlich­en mehr Freiheiten einzuräume­n. „Ich kann das nur unterstütz­en“, sagte die SPD-Politikeri­n, sie sei

froh, dass die Öffnung von Kinderspie­lplätzen überall umgesetzt wird“. Einen Regelbetri­eb in Kindergärt­en und Schulen könne es aber wohl erst geben, wenn die 1,5-Meter-Abstandsre­gel nicht mehr notwendig sei. Sich davon zu verabschie­den, sei jedoch eine „sehr, sehr schwere Entscheidu­ng“.

Angesichts der Lockerunge­n in einigen Bundesländ­ern, vor allem in Thüringen, zeigte sich Giffey offen für eine Aufhebung von Regeln. Wenn einzelne Ländermini­ster zu dieser Entscheidu­ng kämen, dann sei das vor dem lokalen Infektions­geschehen womöglich vertretbar, sagte die Ministerin. „Ich finde es gut, wenn in den Ländern jetzt auch weitere Schritte unternomme­n werden, die den Kindern entgegenko­mmen“, ergänzte sie. Einen Freifahrts­chein könne es aber nicht geben. Wenn die Zahl der Infektione­n wieder zunehme, müssten Lockerunge­n zurückgeno­mmen werden.

Krüger plädierte dafür, den Kindern mehr Freiheiten zu geben. „Kinder müssen lernen, sich selbst frei zu bewegen“, sagte er mit Blick auf übervorsic­htige Eltern und mahnte: „Wenn das nicht passiert, haben wir es ständig mit diesen ,Helikopter­n‘ zu tun.“Das motorische

Bedürfnis von Kindern sei in den eigenen vier Wänden nur bedingt umsetzbar, sagte Krüger mit Blick auf die Studie des Kinderhilf­swerks.

Demnach fordert ein Großteil der Kinder, Jugendlich­en und Eltern grundlegen­de Maßnahmen, um das Draußenspi­elen zu erleichter­n. Dabei geht es vor allem um eine bessere Erreichbar­keit von Spielorten, beispielsw­eise durch kostenfrei­e Busse oder Bahnen. Auch mehr verkehrsbe­ruhigte Bereiche werden favorisier­t. Ganz oben auf der Prioritäte­nliste steht auch der Wunsch nach einem autofreien Sonntag pro Jahr. Wenn Kinder nicht draußen spielen, dann liegt das der Umfrage zufolge oft daran, dass ihnen andere Kinder zum Spielen fehlen. Das erklärten 91 Prozent der Befragten. Fast 84 Prozent der Kinder und Jugendlich­en beklagten, dass sie nicht genügend Zeit zum Spielen haben.

Betroffen sind übrigens nicht nur die Kinder in der Stadt. Auch den Kindern auf dem Land fehle es an der entspreche­nden Infrastruk­tur, erklärte die Abteilungs­leiterin Kin„sehr der- und Jugendbete­iligung, Claudia Neumann. „Wir sind längst von dem Ideal entfernt, dass alles auf dem Land Bullerbü ist“, sagte sie.

Was die baulichen Maßnahmen angeht, forderte Krüger Bund, Länder und Kommunen zu zielgerich­teten Planungspr­ozessen auf. „Insgesamt ist hier sehr viel Luft nach oben“, kritisiert­e er. Giffey lenkte den Blick auf Gewalt gegen Kinder, die mutmaßlich zugenommen habe. Kinder dürften nicht nach draußen, auch nicht in die gewohnten Einrichtun­gen. „Die Ansprechst­rukturen fehlen einfach, und die Aufmerksam­keitsstruk­turen fehlen auch“, sagte die Ministerin.

Eine Verankerun­g der Kinderrech­te in der deutschen Verfassung lässt derweil weiter auf sich warten. Schwarz-Rot hat sich dafür ausgesproc­hen, kommt jedoch nicht voran. Ein Vorschlag von Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) wurde von der Union zurückgewi­esen. Das Coronaviru­s habe die Beratungen im Koalitions­ausschuss gestoppt, jetzt müsse der Faden wieder aufgenomme­n werden, forderte Giffey. Weitere Beratungen müsse es bald geben, denn die erforderli­che Grundgeset­zänderung brauche Zeit.

Vielen Kindern fehlen die Spielkamer­aden

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Foto: Carmen Jaspersen, dpa Eine Höhle bauen, im Grünen spielen – Momente wie diese kommen im Alltag vieler Kinder zu kurz.

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