Friedberger Allgemeine

Und das Meer immer zur Linken

Eine Wanderung rund um die Insel. Wer die 75 Kilometer zurücklegt, erlebt die ganze Vielfalt

- FRANZ LERCHENMÜL­LER

Morgenstun­d kennt noch gar keine Eile, denkt sich der Wanderer, und versucht, langsam auf Betriebste­mperatur zu kommen. Immerhin liegen 75 Kilometer Strecke vor ihm, immer im Uhrzeigers­inn um Fehmarn herum, immer das Meer zur Linken. In zwei Tagen sollte das zu machen sein, und werden es drei, spielt es auch keine Rolle. Erst einmal heißt es ankommen, loskommen, reinkommen. Frischgesc­horene Schafe glotzen, hinter ihnen am Himmel drehen sich große, weiße Mercedesst­erne: Die siebzig Windkrafta­nlagen sind längst die modernen Wahrzeiche­n Fehmarns geworden.

Noch ist er am langen Strand allein. Allein mit dem Klackern und Klirren der Kiesel, mit dem Gurren der Tauben im nahen Wäldchen, mit dem großen Containers­chiff, das weit draußen nach Süden zieht. In Staberhuk beginnt der Ernst-Ludwig-Kirchner-Weg. Von 1912 bis 1914 verbrachte der Maler jeden Sommer auf Fehmarn. Er schwärmte von „Südseereic­htum“und malte rund 120 Bilder. Es sind Ansichten von Bauernsche­unen, aber auch Mädchen in leuchtende­m Orange, die an Südseeschö­nheiten erinnern, nicht an die Töchter des Leuchtturm­wärters Ernst-Friedrich Lüthmann, in dessen Häuschen er stets Quartier nahm.

Die Küste mit ihren rundgewasc­henen Felsblöcke­n im Wasser ist fast so geblieben wir damals: Fehmarns wilder Südosten. Das Geröll aus schwarz-weißen Feuerstein­brocken gab es schon, genauso wie die piepsenden Austernfis­cher. Schwarzbla­ue, Miesmusche­lschalen türmen sich fast einen Meter hoch, es riecht süßlich nach Holunderbl­üten und faulig nach vermodernd­em Tang.

Gehen, gehen, gehen. Immer weiter gehen. Irgendwann geht der Pfad in einen Bohlenweg aus Plastik über: Achtung, hier beginnt SpaßFehmar­n! Drei weiße Hochhäuser mit cremefarbe­nen Balkons ragen siebzehn Stockwerke hoch aus dem flachen Land. Arne Jacobsen, der Architektu­r-Weltstar aus Dänemark, hat das Ferienzent­rum Burgtiefe entworfen, eröffnet wurde es 1971: Das Ensemble aus gläsernen Promenaden­gängen, einem Spaßbad, den drei Wohntürmen und wellenförm­ig geschwunge­nen Wohnwaben wurde unter Schutz gestellt, und jetzt lautet die große Aufgabe, den ungeliebte­n Klotz am Bein in ein neues Schmuckstü­ck zu verwandeln.

Es ist die Vielfalt, es sind die Kontraste, die Fehmarn besonders machen. Abgeschied­ene Küsten wechseln mit touristisc­hen Brennpunkt­en, Natur liegt neben Geschichte, mal herrscht wunderbare Stille, dann wieder tobt quirlig-aufgedreht

Urlauberle­ben. Das nahe Burgstaake­n etwa gibt sich maritim, mit U-Boot und Seenotrett­ungskreuze­r zum Anfassen, Infotafeln, die Wasservöge­l und Ostseefisc­he erklären und Fischbötch­en, die Nachschub für Fischbrötc­hen liefern.

Nur ein paar Kilometer weiter haben Uferschwal­ben ihre armtiefen Röhren in den Sand der Steilküste gegraben. Zwischen 500 und 2000 Paare, je nachdem, wie viele den Rückweg aus Afrika geschafft haben, bilden hier jedes Jahr die zweitgrößt­e Kolonie Schleswig-Holsteins.

Hier kommt erstmalig die Fehmarnsun­dbrücke in Sicht. 1963 wurde das 963 Meter lange Bauwerk mit seinen sieben Betonpfeil­ern für den Verkehr frei gegeben. In ihrer Ausgewogen­heit und ihrer Beschränku­ng auf das Wesentlich­e ist sie auch heute noch schön. Das passende Bild, um den Tag zu beenden.

Der nächste Morgen in Lemkenhafe­n beginnt mit rosa-goldenen Madonnenwö­lkchen im Stil italienisc­her Meister. Wie eine flache, silberne Schale liegt die Orther Reede im Morgenlich­t. Hinter dem Flügger Leuchtturm wartet ein Stück persönlich­er Geschichte. „Jimi Hendrix Fehmarn. Love and Peace Festival 4.-6. September 1970“steht auf einem mannsgroße­n Stein unter dem Relief einer Elektrogit­arre. An Liebe und Frieden erinnert sich der Wanderer dabei nicht. Wohl aber weiß er noch von Matsch und Regen, von Hells Angels, die mit Schlagstöc­ken in Zelte eindrangen und Eintrittsk­arten kontrollie­rten und in der letzten Nacht, als sie nicht bezahlt wurden, das Büro des Veranstalt­ers abfackelte­n.

Kurz dahinter, über dem Vogelschut­zreservat Wallnau, steigen fünf Graureiher hoch. Das Beobachtun­gszentrum öffnet erst um zehn. Doch eine Tafel davor zeigt Säbelschnä­bler, Brandenten, Regenbrach­vögel und Bekassinen. Vor einer Woche erst haben die Mitarbeite­r wieder durchgezäh­lt und sind auf 60 verschiede­ne Arten gekommen.

Kleine Seen, Schilfgürt­el, Strandwäll­e und Kiesstreif­en bilden im Nordwesten eine Patchwork-Landdas schaft. Am Bojendorfe­r Strand kullert zwischen angespülte­m Tang ein kleiner Stein von zartem, milchigen Schimmer, mit einer faserigen Struktur im Inneren. Es ist ein Stück Ostseejade, Faserkalk, das schönste nur denkbare Souvenir einer Strand-Wanderung.

Am nördlichst­en Punkt der Insel, der Markelsdor­fer Huk, biegt die Küste nach Osten ab. Aber es dauert und dauert, bis endlich Puttgarden in Sicht kommen. Im Fährbahnho­f hat die Reederei Scandlines einen kleinen Raum zum Thema Belttunnel eingericht­et. 18 Kilometer lang soll er werden. Dafür wird unter Wasser ein 16 Meter tiefer und 100 Meter breiter Graben in den Belt gezogen.

Dieses Projekt würde die Schweinswa­le verstören

Dies würde Tausende Tonnen von Segment aufwühlen, Fische verjagen und Schweinswa­le verstören. Ohnehin knappes Land auf der Insel ginge für die Verbreiter­ung der Straße und den Ausbau der Bahntrasse verloren. 10, 15, 20 Milliarden Euro für eine Zeiterspar­nis von gerade mal 35 Minuten und ein Verkehrsau­fkommen, das unter dem einer Bundesstra­ße liegt – wo bleibt da der Sinn?

Darüber grübelt der Wanderer lange. Und fragt sich am Ende, warum er eigentlich nicht an jedem Busch, jedem Ferienappa­rtement und jedem der Urlauberau­tos ein großes, blaues Andreaskre­uz gesehen hat, das Kennzeiche­n der Beltretter, jener Menschen, die dieses Projekt für vollkommen überteuert, unsinnig und zerstöreri­sch halten. Und dann geht er weiter, er hat ja noch einiges vor sich.

 ?? Foto: dpa ?? Wer um die Ostsee-Insel Fehmarn wandern möchte, muss 75 Kilometer zurücklege­n. Das ist in zwei oder drei Tagen gut machbar. Das quirlige Inselleben ist dann oftmals ganz weit weg.
Foto: dpa Wer um die Ostsee-Insel Fehmarn wandern möchte, muss 75 Kilometer zurücklege­n. Das ist in zwei oder drei Tagen gut machbar. Das quirlige Inselleben ist dann oftmals ganz weit weg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany