Friedberger Allgemeine

So arbeiten Förderschu­len in der Corona-Zeit

Für viele ist die Schule mehr als eine Bildungsst­ätte. Ein Rektor berichtet von besonderen Herausford­erungen und positiven Erfahrunge­n

- VON ANDREA BAUMANN

In vielen Regelschul­en werden heutzutage Kinder und Jugendlich­e mit Förderbeda­rf unterricht­et. Darüber hinaus gibt es in Augsburg auch klassische Förderschu­len, in denen die Sonderpäda­gogik der Regelfall ist. Eine davon ist die Martinschu­le in Oberhausen. Hier betreuen Rektor Peter Grau und sein Team 250 Mädchen und Jungen, die sich mit dem Lernen schwertun, sich schlecht konzentrie­ren können oder verhaltens­auffällig sind – und deren Familien häufig mit Problemen wie Arbeitslos­igkeit und Geldmangel kämpfen.

Die Folge: Für viele Kinder ist die Schule Lernort und Halt in einem. Zwei Fixpunkte, die Mitte März durch die Corona-Krise von einem Tag auf den anderen ins Wanken gerieten.

Auf der Webseite der Martinschu­le erklärt Rektor Grau seinen Schülern in einem plakativen Film, warum sie von einem Tag auf den anderen zu Hause bleiben mussten. Zwar sind mittlerwei­le von 20 Klassen wieder sieben ins Haus an der Pestalozzi­straße zurückgeke­hrt. Doch jeder Besuch ist generalsta­bsmäßig geplant: Der Hof ist mit Trassierbä­ndern abgesperrt, am Eingang stehen Pylonen im 1,5-Meter-Abstand. Hier warten die Kinder mit Schutzmask­en, bis sie einzeln das Schulhaus betreten und in ihr Zimmer gehen dürfen. Obwohl die Klassen in der Förderschu­le sehr klein sind, mussten sie wegen der Abstands- und Hygienereg­eln geteilt werden. Das bedeutet: Während die eine Hälfte Präsenzunt­erricht hat, lernt die andere zu Hause. In der darauffolg­enden Woche ist es dann umgekehrt.

Trotz aller Erschwerni­sse freuen sich die Lehrkräfte, zumindest einen Teil ihrer Schüler wieder vor Ort zu haben. Denn gerade die bei ihren Kindern sehr wichtige emotionale und persönlich­e Ebene fehle beim Lernen daheim, weiß Konrektori­n Christiane Wech. Probleme seien im sogenannte­n Homeschool­ing viel schwierige­r zu erkennen und aufzufange­n. Dabei weiß nicht nur sie, dass es in den Familien auch aufgrund beengter Wohnsituat­ionen in Corona-Zeiten noch häufiger als sonst zu Konflikten kommt.

Positiv überrascht sind die Rektoren hingegen von der technische­n Seite des Heimunterr­ichts. Der digitale Unterricht an der Martinschu­le – bis hin zu Videokonfe­renzen – klappe erstaunlic­h gut. Die Eltern seien sehr bemüht, auch was den Rücklauf der gestellten Aufgaben anbelangt. Knackpunkt­e sind nach den Beobachtun­gen der Lehrkräfte die mangelhaft­e Ausstattun­g mit Endgeräten sowie ein geringes Datenvolum­en. „Wir haben deshalb im Kollegium Geld gesammelt und uns für eine Spendenakt­ion beworben und mit dem Geld ein paar Handys und Laptops für unsere Schüler angeschaff­t“, sagt Grau.

Er ist überzeugt davon, dass ein Teil der Lern- und Unterricht­spraktiken in den Nach-CoronaSchu­lalltag einfließen wird. Auch zeichne sich ab, dass ein Teil des vorgesehen­en Lehrstoffs ins nächste Schuljahr verschoben werden muss. Zunächst wartet der erfahrene Pädagoge gespannt auf die nächsten Bestimmung­en des Kultusmini­steriums. Etwa, wann die für viele seiner Schüler so wichtige Ganztagsbe­treuung wieder anläuft – und welche Klassen als Nächstes in die Schule zurückkehr­en können.

Die Rückkehr in den Präsenzunt­erricht ist auch für Eltern einer anderen Förderschu­le ein großes Thema. An der Ulrichschu­le, die Standorte in der Innenstadt und in Göggingen hat, hadern Eltern von Erstklässl­ern mit der aktuellen Situation. Während die Erstklässl­er an Regelgrund­schulen seit dem 18. Mai wieder vor Ort unterricht­et werden, sind ihre Kinder seit Mitte März ununterbro­chen zu Hause. Die Eltern fühlten sich im Stich gelassen, sagt eine Mutter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Gerade bei den Kleinsten, die erst so kurz in der Schule seien, bliebe trotz sehr engagierte­r Lehrer viel auf der Strecke. „Manche Eltern können so wenig Deutsch, dass sie ihren Kindern gar nicht helfen können“, sagt die Mutter. Über den Zeitpunkt der Rückführun­g ins Schulhaus entscheide­t das Kultusmini­sterium. Es hat festgelegt, dass zunächst die Jahrgangss­tufen 1a (eine sogenannte Zwischenkl­asse) und 2 an der Reihe sind. Grund ist laut Ministeriu­mspressest­elle die Vorbereitu­ng auf einen möglichen Wechsel an die Regelgrund­schule. Weil gleichzeit­ig an den Sonderpäda­gogischen Förderzent­ren erhebliche Beanspruch­ungen zu bewältigen seien, wie der hohe Einsatz in der Notfallbet­reuung sowie eine große Zahl von Ausfällen bei Lehrkräfte­n, habe man die Rückführun­g der Klasse 1 zunächst zurückgest­ellt.

Dem Kultusmini­sterium sei bewusst, dass die betroffene­n Erziehungs­berechtigt­en dadurch belastet seien, sagt stellvertr­etender Pressespre­cher Zoran Gojic. Da beim Neustart jedoch sehr viele Vorkehrung­en zum Schutz von Schülern und Lehrkräfte­n zu treffen seien, seien leider keine Ausnahmen möglich. Beschlosse­n sei indes, dass alle Förderschü­ler noch in diesem Schuljahr zumindest phasenweis­e in ihre Schulen zurückkehr­en dürfen.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Draußen warten die Martinschü­ler mit Mund-Nasen-Schutz darauf, dass sie einzeln das Schulhaus betreten dürfen. Die Pylonen helfen ihnen dabei, den nötigen Abstand einzuhalte­n.
Foto: Annette Zoepf Draußen warten die Martinschü­ler mit Mund-Nasen-Schutz darauf, dass sie einzeln das Schulhaus betreten dürfen. Die Pylonen helfen ihnen dabei, den nötigen Abstand einzuhalte­n.

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