Hier hat Beatmung nichts mit Corona zu tun
Im alten Friedberger Sparkassengebäude hat eine außergewöhnliche Wohngemeinschaft ihren Sitz. Dort leben Menschen mit besonderem Pflegebedarf. Dahinter verbergen sich viele tragische Schicksale – aber auch Glücksmomente
Oft ist im Zusammenhang mit dem Coronavirus von Beatmungspatienten die Rede. Es gibt aber unabhängig davon Menschen, die aufgrund eines Unfalls, eines Schlaganfalls, eines Herzstillstands oder einer chronischen Erkrankung auf Beatmungsgeräte oder intensivmedizinische Behandlung angewiesen sind. Plätze für eine außerklinische Intensiv- und Beatmungspflege sind sehr rar. Im Friedberger Geschäftsgebäude am Sparkassenplatz 1 gibt es für diesen Personenkreis eine Wohngemeinschaft mit Intensivpflege.
Das Haus Balthasar liegt im zweiten Stock; seine Räumlichkeiten erstrecken sich auf etwa 1000 Quadratmeter. Dort werden die Bewohner rund um die Uhr von Fachpflegepersonal betreut und unterstützt. Sie leben als Mieter gemeinsam in der Wohngemeinschaft und erhalten gleichzeitig die Sicherheit einer Rundumversorgung durch den Intensivpflegedienst der Bonitas Holding. Diese bietet bundesweit an mehreren Standorten ambulante Kranken- und Intensivpflegedienste und betreibt weitere Wohngemeinschaften für Langzeitbeatmungsund Intensivpflegepatienten. Der Standort Friedberg wurde vor drei Jahren eröffnet.
Jetzt, während der Corona-Krise, sind Besuche natürlich streng reglementiert und das Pflegepersonal lässt bei seiner Arbeit mit Schutzkleidung besondere Vorsicht walten. Normalerweise wird jedoch versucht, zusammen mit den Bewohnern trotz der Apparatemedizin einen ganz normalen Alltag zu leben. „Bei uns wird auch gelacht und gescherzt und jeder soll soweit seine gesundheitlichen Einschränkungen es erlauben selbstbestimmt hier leben können“, sagt Felix Schottky.
Er ist interimsmäßig in Friedberg und arbeitete die neue Pflegedienstleiterin Franziska Steffenhagen ein. Schottky sagt: „Hier hat man das, was man sich immer gewünscht hat, Zeit für den Patienten und auch für die Angehörigen.“Trotzdem mangelt es in diesem Intensivpflegebe
besonders an Pflegekräften. Elf Patienten könnten im Friedberger Haus Balthasar einen Wohnplatz finden. „Anfragen haben wir genügend, es gibt deutschlandweit nicht so viele Intensivpflege-Einrichtungen“, sagt Franziska Steffenhagen. Aufgrund des Fachkräftemangels können derzeit nur vier Bewohner betreut werden.
Dass es diesen im Rahmen der gesundheitlichen Einschränkungen gut geht, dafür sorgt auch Nicole
Der Umgang mit Sauerstoff- und Beatmungsgeräten ist für Franziska Steffenhagen im Haus Balthasar in Friedberg alltägliche Arbeit.
Ducrue als gelernte Krankenschwester. In der WohnbereichsKüche bereitet sie nach individuellem Wunsch gerne das Lieblingsessen der Bewohner zu, wenn nötig auch in pürierter Form. Auch Johannita Meyer gehört zum Pflegeteam. „Man hat viel Verantwortung für den einzelnen schwer kranken Menschen, aber auch viel Zeit für ihn“, schätzt sie ihre Arbeit ein.
Für das Wohlbefinden ihrer Pareich
tienten sorgt sie auch mal mit Musik, basaler Stimulation oder Aromatherapie. „Wir versuchen immer, die Vorlieben zu berücksichtigen“sagt Meyer. Da wird bei der Grundpflege eines Hardrock-Fans auch schon mal die Musik von AC/ DC voll aufgedreht. Auch ausgefallene Wünsche werden so gut es geht erfüllt. Da gab es den Fan von Helene Fischer, an deren Konzert kurzerhand die Pflegekraft mit dem komplett beatmeten Patienten im
Rollstuhl teilnahm. „In Stuttgart waren wir mit einem Patienten sogar in einem Striplokal, um ihm einen Geburtstagswunsch zu erfüllen“, erinnert sich Felix Schottky. Ein anderer Bewohner wurde einmal wöchentlich ins Kasino begleitet.
In solch einer Intensivpflege-WG beträgt der Pflegeschlüssel eine Pflegekraft auf zweieinhalb Patienten ab 18 Jahren. Im Haus Balthasar nimmt man sich aber auch Zeit für die Angehörigen. „Diese kommen oft mit großer Betroffenheit“, schildern die Mitarbeiter. Die wenigsten Patienten sind von Geburt an schwer krank, jeder hat sein eigenes Schicksal. Da ist die Frau, die nach einem Insektenstich mit allergischer Reaktion im Wachkoma liegt, oder der Bergsteiger, der am ersten Tag seines Ruhestands in eine Felsspalte stürzt, schwere Verletzungen erleidet und infolgedessen auf ein Tracheostoma, also eine künstlich hergestellte Verbindung zwischen der Luftröhre und der äußeren Umgebung, angewiesen ist. Manch einer muss sein Leben lang in einer intensivmedizinischen Einrichtung verbringen.
Es gibt aber auch Erfolge, wie der nach einem schweren Unfall wieder genesene junge Mann, der das Haus zu Fuß verlassen konnte. Auch das sogenannte Weaning, die schrittweise Entwöhnung eines Menschen vom Beatmungsgerät, wird im Haus Balthasar durchgeführt. „Jeder unserer WG-Bewohner bringt sein Päckchen mit“, weiß Steffenhagen. „Ich nehme jeden Patienten so als Person, wie ich ihn hier erlebe. Ich kenne ihn nicht, wie er zuvor als gesunder und fitter Mensch war“.