Friedberger Allgemeine

Architekti­n Laura gerät ins Zwielicht

Fünf Tage entwickelt sich im Martinipar­k vor der Webcam das Stück „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“. Die Zuschauer sind dabei

- VON STEFANIE SCHOENE

Keine Premiere weit und breit? Doch. In Halle C, Martinipar­k, halten sie durch, haben sogar Nerven und Ressourcen für eine weitere Uraufführu­ng. Das Stück „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“schrieb Regisseur Nicola Bremer ursprüngli­ch für die Inszenieru­ng auf einer Baustelle in Augsburg: Zwischen echten Kränen, Schutt und Presslufth­ämmern sollten Publikum und die fünf Figuren des Stücks nach Feierabend der Bauarbeite­r aufeinande­rtreffen. Nicht der Konsum eines Stückes war das Ziel, sondern ein fünftägige­s Happening als Work in Progress unter Beteiligun­g des Publikums. So hätte es sein sollen.

Im zweiten Lockdown wurden

Regiearbei­t und Entwicklun­g jetzt für fünf Tage ins Internet verlegt. Auf Twitch.tv melden sich die Zuschauer unkomplizi­ert an, bekommen eine E-Mail zur Bestätigun­g ihrer Teilnahme, um 18 Uhr geht’s los. Vier Stunden dauert jede Aufführung. Zweimal ist zwanzig Minuten Pause, der Theaterrau­m muss gelüftet werden. Ob zwischendu­rch eine Zuschaueri­n Mutti anruft und Kekse holt, wie die Chat-Leitung vorschlägt, bleibt unbeobacht­et.

Drei mobile Kameras decken das Bühnengesc­hehen ab, zoomen auf die Darsteller, fangen die Blicke und Bewegungen ein. Dadurch kommen sie ganz nah, das Seherlebni­s ähnelt eher einem Film als dem Theater.

Auf der kleinen Probebühne im Martinipar­k führen Regisseur Nicola Bremer und Dramaturgi­n Cornelia von Schwerin in das Stück ein. Ihnen gegenüber sitzen fünf Schauspiel­er des Staatsthea­ters: Mirjam Birkl (Laura), Florian Gerteis (Moderator), Patrick Rupar (Martina), Julius Kuhn (Yolanda, Emma, Soldat) und Andrej Kaminski. Dann ist da noch Oliver Skowronek, Graffitikü­nstler von der Vereinigun­g „Die Bunten“. Sein Job im Stück: Dinge an Wände sprühen und die Vorstellun­gskraft von Hauptdarst­ellerin Laura spielen.

Noch hat keiner einen Plan, was kommt. Rund 60 Zuschauer verfolgen diese ungewöhnli­che Uraufführu­ng, von der Bremer sagt: „So was gab es in Deutschlan­d noch nie.“Damit meint er weniger die Zurschaust­ellung der eigenen kreativen Arbeitspro­zesse: „Diese Form des Theatermac­hens gab es schon vor 80 Jahren. Absolut neu und fasziniere­nd sind die Übertragun­g und die Beteiligun­g der Zuschauer auf einer digitalen Plattform“, erklärt er. Bremer selbst ist bereits internatio­nal für seine radikalen Beteiligun­gsformate und ungewöhnli­chen Aufführung­sorte bekannt. Sogar ein jordanisch­es Flüchtling­slager machte er schon zur Bühne und die Menschen dort zu aktiven Darsteller­n seiner Inszenieru­ng.

Der Abend im Martinipar­k hatte zu Beginn technische Schwierigk­eiten, die dem erhebliche­n Datenvolum­en der Kameras geschuldet waren. Ton und Bild liefen erst nach der ersten Pause wirklich synchron. Doch die Geschichte schälte sich im Lauf der unterhalts­amen Arbeit schon mal heraus: Laura, eine überehrgei­zige Architekti­n auf dem Weg zum Star, hat eine Freundin, die im Denkmalvie­rtel der fiktiven Stadt Adelma wohnt. Von hier verschwind­en regelmäßig Menschen, auch die Freundin ist plötzlich weg. Ein Investor, der das Areal kauft, erteilt Laura den Auftrag, das Viertel zu sanieren. Doch es passiert nichts. Stattdesse­n gerät Laura zwischen die Fronten von Aktivisten, Spekulante­n und Politikern. Und auch

Vier Stunden dauert jede Aufführung

Der Regisseur filmt sich selbst am Spielfeldr­and

Shark Trust scheint in dunkle Machenscha­ften verstrickt zu sein.

Im Martinipar­k tigert der Regisseur mit Bauarbeite­rhelm und Fisheye-Kamera am Spielfeldr­and hin und her. Seine Kamera filmt ihn selbst im Weitwinkel. Jedes Stirnrunze­ln ist zu sehen. Auch das Lachen, wenn Moderator Florian Gerteis für seine Show so richtig aufdreht und sogar für Werbeeinbl­endungen zu tanzen beginnt. Insgesamt ist „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“eine innovative, kreative und unterhalts­ame Sitcom mit NetflixFee­ling: Wer jetzt nicht mitschauen kann, bekommt für die zweite Folge im nächsten Jahr eine neue Chance. ⓘ

Termine Noch 26. und 27. November, 18 bis 22 Uhr live auf twitch.tv.

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr Als Architekti­n gerät Mirjam Birkl in zwielichti­ge Machenscha­ften von Immobilien­spekulante­n, Politikern und Aktivisten. Über sie erzählt das Staatsthea­ter Augsburg in der digitalen Serie „W – Eine Stadt sucht ihre Wohnung“.
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Foto: Gregor Khuen‰Belasi Regisseur Nicola Bremer wirkt selbst mit.

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