Friedberger Allgemeine

Geschlagen von dem Mann, den sie liebte

Zwei Jahre hält sie es mit ihrem Partner aus, ehe sie über Nacht auszieht. Eine Betroffene erzählt aus ihrem Leben mit häuslicher Gewalt. Hilfe kann man in Augsburger Einrichtun­gen wie dem Frauenhaus finden

- VON JONAS VOSS

Eine letzte schrecklic­he Nacht hat Michaela Henf gebraucht, um zu entkommen. Henf ist ein Pseudonym, unter ihrem richtigen Namen möchte die junge Frau nicht an die Öffentlich­keit gehen. Zwei Jahre wurde sie von ihrem Ex-Partner beleidigt, gedemütigt, bespuckt und geschlagen. Sie habe es sich gefallen lassen, sagt sie. Wegen der Kinder, um die Beziehung zu retten, oder weil ihr Ex sich nach einer seiner Attacken reumütig zeigte, sie mit Aufmerksam­keiten überhäufte. Bis zu einer Nacht im Frühjahr.

Henf erzählt, in dieser Nacht sei ihr Mann voll auf Drogen nach Hause gekommen. „Er kam zu mir und hat direkt auf mich eingeschla­gen, mich gewürgt und gedroht, mich umzubringe­n – ich habe gefleht, er solle aufhören.“Ihr Kind bekommt alles mit und beginnt zu schreien, schließlic­h lässt ihr Ex-Partner von Henf ab und verlässt das Haus. Die junge Frau schließt das Haus ab und ruft die Polizei. „Ich dachte mir, jetzt oder nie, das nächste Mal überlebst du vielleicht nicht.“Henfs Fall ist keine Seltenheit – nach Angaben des Bundesfami­lienminist­eriums wurden 2019 115.000 Frauen in Deutschlan­d Opfer von Partnersch­aftsgewalt. In Augsburg waren es nach Auskunft der Polizei 1159.

In der Stadt gibt es für Frauen wie Henf eine Zuflucht – und das bereits seit 1980. Damals war das Frauenhaus eines der ersten in Bayern. Seit 15 Jahren leitet es die Sozialpäda­gogin Birgit Gaile. In der Einrichtun­g gibt es Platz für 21 Frauen und 21 Kinder, laut Gaile ist sie durchschni­ttlich zu 90 Prozent belegt. Aktuell sei kein Platz frei. „Bis Frauen sich aus Gewaltbezi­ehungen lösen, dauert es.“Viele Frauen würden jahrelang bei ihrem gewalttäti­gen Partner ausharren. Gewalt heißt dabei nicht nur Schläge und Würgen, oftmals wird sie subtiler ausgeübt.

Gaile erklärt, unter psychische­r Gewalt würden misshandel­te Frauen jahrelang leiden. „In gewalttäti­gen Beziehunge­n geht es immer auch um Machtdemon­strationen, um Kontrolle.“Schaffen die Opfer den Weg ins Frauenhaus, werden sie dort von ausgebilde­ten Fachkräfte­n bei der Traumabewä­ltigung betreut.

Auch Michaela Henf fand dort Hilfe. Nachdem in der Nacht im Frühjahr die Polizeibea­mten eintrafen, protokolli­erten, Fotos aufnahmen und erste Hilfsangeb­ote erklärten, zog sie direkt zu ihren Eltern. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich bereits informiert, welche Möglichkei­ten der Hilfe es in ihrer Lage gibt

– und so wandte sie sich an das Frauenhaus. Auch die Polizei kann in solchen Fällen den Kontakt zu sogenannte­n pro-aktiven Opferberat­ungen herstellen.

Die junge Frau erzählt: „Meine Eltern wussten bis dahin nichts, ich habe es immer gut versteckt. Sie waren schockiert, wütend und machten sich Vorwürfe.“Auch Freunde, von denen ihr Mann sie isoliert habe, hätten zu ihr gehalten. Nach wenigen Tagen Wartezeit zog Henf mit einem Koffer und Kindern in die Einrichtun­g.

In der ersten Zeit habe sie nur geweint. Ihre Welt sei zusammenge­brochen. Statt glückliche­r Familie mit erfolgreic­hem Mann, Haus und Kindern sei sie mit einem Narzissten gewesen, dessen „wahres Wesen“sich erst nach und nach offenbart habe. Ein Muster in gewalttäti­gen Beziehunge­n, sagt Birgit Gaile. „Oft nimmt die Gewalt über Jahre hinweg langsam zu, auf eine Eskalation folgt die großzügige Versöhnung, es ist ein Kreislauf der Gewalt.“Einen Anstieg der Fälle während der Corona-Zeit kann Gaile bisher nicht feststelle­n, auch die Polizei kann nach eigener Aussage bisher keinen Anstieg der Fälle feststelle­n. Allerdings, so erklärt man dort, müsse man immer die mögliche Dunkelziff­er bedenken.

Im Frauenhaus können die Opfer in Sitzungen über ihre Qualen reden, die Kinder werden von Erzieherin­nen in einer Gruppe betreut, auch für schulpflic­htige Kinder gibt es ein Angebot. Ganz am Anfang, sagt Gaile, stehe oft auch die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wie finde ich eine Wohnung, wie kann ich die Trennung finanziere­n?

Michaela Henf wohnt heute alleine mit ihren Kindern in einer Wohnung. Die junge Frau hat studiert – ihr Ex-Partner wollte, dass sie bei den Kindern bleibt – und will arbeiten, sobald es ihr möglich ist. Am Telefon spricht sie mit fester Stimme über ihre Vergangenh­eit, über die Hilfe, die sie im Frauenhaus erfahren hat. Noch kann sie nicht damit abschließe­n, Gerichtspr­ozesse gegen ihren Ex stehen ihr bevor. Sehe sie ihn dort, denke sie nur an Flucht, sagt sie. „Bei mir war es gezusammen rade noch rechtzeiti­g – ich kann jeder Frau in so einer Situation nur raten: hau ab. Er wird sich nicht ändern.“

An diesem Mittwoch wird der Internatio­nale Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“begangen – in Augsburg gibt es dann unter anderem eine Mahnwache am Kö und dieser wird in oranges Licht getaucht. Letzteres ist eine weltweite Solidaritä­tsaktion der „United Nation Women“. Corona-bedingt entfallen andere Veranstalt­ungen. Frauen in gewalttäti­gen Beziehunge­n können beim Frauenhaus unter Telefon 0821/ 650 87 401 oder bei der Beratungss­telle „via – Wege aus der Gewalt“unter 0821/ 450 339 10 Hilfe finden.

 ??  ?? Unter häuslicher Gewalt leiden vor allem Frauen. Oft jahrelang, ehe sie sich Hilfe suchen – etwa im Augsburger Frauenhaus. Eine Betroffene berichtet aus ihrer Leidenszei­t. Symbolfoto: Anne Wall
Unter häuslicher Gewalt leiden vor allem Frauen. Oft jahrelang, ehe sie sich Hilfe suchen – etwa im Augsburger Frauenhaus. Eine Betroffene berichtet aus ihrer Leidenszei­t. Symbolfoto: Anne Wall

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