Friedberger Allgemeine

Ein Jahr von der Leyen

Die süßsaure Bilanz der Kommission­schefin

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es ist wieder eine dieser bunten Broschüren mit hübschen Grafiken und Schaubilde­rn. Auf 32 Seiten werden darin die Verdienste der Europäisch­en Kommission ausgebreit­et. Seit gestern liegt das Heft bei den Dienststel­len der Europäisch­en Kommission aus. Schließlic­h sind Präsidenti­n Ursula von der Leyen und ihr Team am Dienstag ein Jahr im Amt. Die MarketingE­xperten der EU-Behörde haben wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Die Chefin wird bei einer virtuellen Konferenz gezeigt, von den Mitglieder­n ihrer Mannschaft fehlen Fotos. Eine One-Woman-Show. Das ist von der Leyens Stärke und zugleich ihr größtes Problem.

Schon die ersten Tage ihrer Amtszeit begannen mit großen Worten. Der Green Deal, also der Umbau von Wirtschaft und Gesellscha­ft auf eine klimaneutr­ale Zukunft hin, verglich von der Leyen mit der „Mondlandun­g“. Ob Industrie-Strategie oder Digitalisi­erung – die Präsidenti­n blieb bei ihrer Linie, Vorhaben erst vollmundig anzukündig­en und die Details auf später zu verschiebe­n. Als vor wenigen Wochen dann zu einem dieser Projekte die Details zuerst durchsicke­rten, war die Harmonie dahin. Es ging um die künftigen Grenzwerte für Pkw sowie die für Ende nächsten Jahres geplante Euro-7-Abgasnorm. Das Papier enthielt so viel technische­n Unsinn, dass es den Kritikern leichtfiel, es in der Luft zu zerreißen. „Sie weiß, wie man etwas verkauft, ohne zu wissen, was sie verkaufen soll“, sagen Kritiker.

In der Coronaviru­s-Krise lief von der Leyen zunächst den Mitgliedst­aaten hinterher. Selbst Amtsvorgän­ger Jean-Claude Juncker bilanziert­e vor wenigen Tagen mitleidig: „Man kann niemandem erklären, dass Europa grenzenlos ist, und wenn etwas passiert, werden die Grenzen wieder hochgezoge­n.“Von der Leyen machte erst wieder Boden gut, als ihre Behörde in die Verhandlun­gen mit den Pharmaries­en einstieg und bis heute fast 1,5 Milliarden Impfdosen sicherte. „Sie hat sich ganz gut geschlagen“, sagte in diesen Tagen die Grünen-Fraktionsc­hefin Ska Keller.

Das wirklich „große Ding“, so der Vorsitzend­e der deutschen SPD-Abgeordnet­en im EU-Parlament, Jens Geier, gelang ihr, als sie einen Vorschlag von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron regelrecht­e okkupierte und noch drauflegte. Die beiden wollten 500 Milliarden für den Wiederaufb­au nach der Pandemie bereitstel­len. Von der Leyen machte 750 Milliarden daraus. Und verkaufte den Erfolg einmal mehr schillernd: Das Paket aus 1,1 Billionen Euro für den Haushalt 2021 bis 2027 plus Aufbaufond­s erhielt den Projektnam­en „Next Generation EU“.

Aber sogar Kritiker räumen ein: „Es war nicht alles schlecht“, wie es der CDU-Europapoli­tiker Dennis Radtke ausdrückte. Dass Polen und Ungarn gerade das Milliarden­Hilfspaket der EU blockieren, kann man in der Tat nicht von der Leyen anlasten. Für ihr heutiges erstes Amtsjubilä­um sei kein besonderer Auftritt geplant, hieß es gestern in Brüssel. Soll heißen: Die Präsidenti­n hat zu viel zu tun.

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Foto: Luidovic Marin, dpa Umstritten: Die Bilanz der Ursula von der Leyen.

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