Friedberger Allgemeine

VW‰Chef Diess pokert hoch

Der Manager will die Volkswagen-Festung Wolfsburg schleifen und sucht wieder die Konfrontat­ion mit dem mächtigen Betriebsra­tschef Bernd Osterloh. Wer hat die besseren Karten?

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg Ein langjährig­er BüroKolleg­e sagte einmal über den heutigen VW-Chef Herbert Diess: „Er ist ein konsequent­er, ja radikaler Typ.“Vielleicht war das auch ein Grund dafür, weshalb der kantige 62-jährige Münchner als einstiges BMW-Vorstandsm­itglied nicht den Sprung auf den Chefsessel des AutoKonzer­ns schaffte. Für BMW-Befindlich­keiten war der Bayer mit österreich­ischem Pass zu „grad heraus“, wie man in München sagt.

Diess ist also kein Schau’n-mermal-Typ, wie er idealtypis­ch vom Münchner Landsmann Franz Beckenbaue­r verkörpert wird. Und schon gar nicht begnügt sich der Volkswagen-Boss mit der Münchnern nachgesagt­en Monaco-FranzeMent­alität, nach der a bisserl was immer geht. Diess will nämlich alles – und das mit dem guten Vorsatz, den VW-Konzern radikal zu einem Elektro-Riesen umzubauen, um sich so den Attacken von Herausford­erern wie Tesla zu erwehren.

Letztlich treibt es ihn an, Größe und Macht des Unternehme­ns mit weltweit rund 670 000 Mitarbeite­rn zu bewahren. Für die Herkulesau­fgabe haben ihn die Familien Piëch und Porsche in München losgeeist und nach Wolfsburg gelockt, einem der entlegenst­en Orte der Republik, den Münchner nicht vorschnell als Arbeitspla­tz wählen.

Doch Diess reizen von jeher große Aufgaben. Dabei kommen ihm zwei Charaktere­igenschaft­en in die Quere, die für seine Tätigkeit als Chef-Reformer in Wolfsburg besonders hinderlich sind: Er ist wie viele Spitzenman­ager ungeduldig und eben ein Mitglied des Vereins für deutliche Aussprache, insofern also einer, der an der CSU-Legende Franz Josef Strauß Maß nimmt.

Dumm nur, dass solche Naturelle am VW-Stammsitz Wolfsburg, der einer Festung aus Tradition, Besitzstan­dswahrung und Gewerkscha­ftsmacht gleicht, schnell auf Granit beißen. Da stößt selbst ein als „harter Hund“geltender Mann wie Diess an seine Grenzen in Form eines breitschul­trigen Arbeitnehm­erPrellboc­ks namens Bernd Osterloh.

Mit dem 64-jährigen Betriebsra­tschef und Gewerkscha­fter hat sich Diess schon mehrfach angelegt und pokert nun wieder hoch, um das Spiel gegen den standhafte­n Verfechter von Beschäftig­ten-Interessen zu gewinnen. Dabei zieht der VW-Zampano das Spiel nicht in den Hinterzimm­ern der VW-Macht durch, was Beobachter­n klüger erschiene, sondern er bedient sich in wiederum radikaler Form sozialer Netzwerke und hier vor allem LinkedIn. Dort macht er schon lange aus seiner Gefühls- und Gedankenwe­lt keinen Hehl und schrieb unlängst an die Adresse von Osterloh und seinen Mitstreite­rn, er habe sich vorgenomme­n, alte und verkrustet­e Strukturen aufzubrech­en: „Das ist mir gemeinsam mit vielen Weggefährt­en mit gleicher Motivation­slage an vielen Stellen gelungen, an einigen nicht, allen voran in unserer Konzernzen­trale in Wolfsburg noch nicht.“Mit den Wolfsburge­r Verkrustun­gen, die ihm derart missfallen, meint der VW-Chef natürlich die bei Volkswagen im Vergleich zu anderen Konzern besonders große Macht der IG Metall, die auch auf den hohen gewerkscha­ftlichen Organisati­onsgrad der Mitarbeite­r von gut 90 Prozent in Wolfsburg zurückgeht. Wer es etwa versteht, sich dort mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn

zu arrangiere­n, wie das dem Volkswagen-Patriarche­n Ferdinand Piëch gelang, findet sich hinter den Wolfsburge­r Festungsma­uern gut zurecht. Wer aber wie Diess die Bastion im guten Willen schleifen will, um Volkswagen endlich deutlich „effiziente­r“zu machen, der muss mit reichlich Querschüss­en aus den eigenen Reihen leben.

So soll sich der jüngste Zwist zwischen Diess und Osterloh daran entzündet haben, dass der KonzernLen­ker neue Männer für die Posten der frei werdenden Finanz- und Einkaufsre­ssorts durchsetze­n will, die für mehr Tempo und Konsequenz beim Konzernumb­au stehen. Das forderte erwartungs­gemäß Osterloh zur Gegenwehr heraus, was wiederum Diess zu neuen Sticheleie­n animierte. Folglich nahm der Bayer – was eine Provokatio­n ist – nicht an den Feierlichk­eiten zum 75-jährigen Bestehen des Betriebsra­tes in Wolfsburg teil. Diess schickte nur ein pädagogisc­hes Grußwort, in dem er die Gewerkscha­fter wissen ließ: „Effizienzs­teigerunge­n sind notwendig.“Volkswagen habe hier noch Nachholbed­arf. Während Ex-Kanzler und VW-Chefverste­her Gerhard Schröder beim Festakt väterlich warme Worte für die Betriebsrä­te fand, moserte Alles-Woller Diess unverdross­en. Dem Vernehmen nach setzt er alles auf eine Karte und fordert eine frühzeitig­e Verlängeru­ng seines im Frühjahr 2023 auslaufend­en Vertrages, wobei darüber frühestens 2022 verhandelt werden müsste. Das wird in VW-Kreisen wie eine Art Vertrauens­frage interpreti­ert – nach der Devise: Ich oder er. Er ist natürlich Osterloh. Pokert Diess nun zu hoch?

In Salzburg, dem Stammsitz der Piëchs, würden die Antennen schon höher in die Luft gestreckt, ist zu hören. Was das heißt, bleibt noch unklar. Vieles ist also möglich: Diess könnte seine Alles-oder-nichtsStra­tegie den Kopf kosten oder doch im Amt halten. Wer soll ihm auch aus den eigenen Reihen nachfolgen? Der an sich im VW-Reich hochgeschä­tzte Porsche-Chef Oliver Blume, 52, gilt Insidern für die Wolfsburge­r Machtspiel­chen als nicht erfahren genug. Und der neue VWStar Markus Duesmann, 51, wirkt als Audi-Lenker unabkömmli­ch.

Streit um das Tempo des Konzernumb­aus

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Foto: Silas Stein, dpa Herbert Diess sucht wieder die Konfrontat­ion mit den mächtigen VW‰Betriebsrä­ten.

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