Sie kümmern sich um jugendliche Straftäter
Wenn junge Leute vor Gericht stehen, kommen Nicole Jehl und Cornelia Metz ins Spiel. Nicht immer ist nämlich eine Haft angebracht, um die Angeklagten wieder in die Spur zu bringen
AichachFriedberg Der Saal im ersten Stock des Aichacher Amtsgerichts ist holzgetäfelt, zwei Fenster stehen weit offen, nur wenige Zuschauer sind coronabedingt erlaubt. Links ist der Tisch für den Angeklagten und seinem Verteidiger, rechts neben der Staatsanwältin sitzt Cornelia Metz. Sie will dem Angeklagten in die Augen schauen können, wenn sie über ihn spricht.
Cornelia Metz ist Jugendgerichtshelferin. Sie analysiert jugendliche Straftäter und steht dem Gericht somit beratend zur Seite. Deshalb hat sie sich schon einige Male mit dem Angeklagten unterhalten, der sich diesmal vor dem Jugendgericht verantworten muss. 19 Jahre ist er alt, hoch aufgeschossen, raspelkurzes, Haar – und eine Menge Vorstrafen.
Gleiches gilt für seinen Vater, ebenfalls angeklagt, weil er sich an dem Scharmützel seines Sohnes mit seinen Fäusten beteiligt hatte. Zwar entschuldigen sie sich bei den meisten Geschädigten, auf Außenstehende wirkt das jedoch gezwungen.
„Für uns ist eine Entschuldigung trotzdem ein großer Schritt“, betont Metz jedoch. Sie wertet es als positiv, wenn sich Angeklagte überhaupt zu einer Entschuldigung überwinden. „Wir sind aber sicherlich keine Gutmenschen“, wirft Nicole Jehl ein. Sie ist Metz’ Kollegin beim Landratsamt und sieht sich oft dem Vorurteil ausgesetzt, sie sei ja ohnehin nur die nette Pädagogin, die dem oder der Angeklagten vor Gericht Beistand leistet. Es gebe auch Fälle, in denen der Beschuldigte sich erst auf Hinweis der Richterin entschuldige. „Wenn das erzwungen wird, ist es eher Sache der Richterin, das in ihre Bewertung einfließen zu lassen“, sagt Metz. Auch dann werde es in der Regel positiv gewertet. Der Geschädigte könne jedoch ebenso einen Teil zur Glaubwürdigkeit beitragen: „Wenn er oder sie die Entschuldigung annimmt, ist das positiv“, sagt Nicole Jehl.
Wieder im Gericht. Nun ist Cornelia Metz’ Analyse des 19-jährigen Straftäters gefragt. Nach einer Party hatte er zwei junge Männer krankenhausreif geprügelt, kurz darauf ihren Begleiterinnen mit Schlägen gedroht. „Ein starkes Stück“, wie die Aichacher Jugendrichterin EvaMaria Grosse befindet. Metz erklärt, dass der junge Mann eigent
wisse, wie er Konflikte zu lösen habe. Im Vorfeld habe er erzählt, dass sich die Familie bei Problemen an einen Tisch setzt und die Konflikte im Gespräch löse. Vor dem Hintergrund des wegen mehrerer Körperverletzungen vorbestraften Vaters und des ebenso gewalttätigen Sohnes, die heute vor Gericht stehen, ist das aber ein schwer vorstellbares Szenario. Nicht für Pädagogin Metz: „Ich glaube ihm schon, dass sich die Familie an einen Tisch setzt und Konflikte löst“, erklärt sie. „Mit welchen Worten und welcher Intention das vorgeht, kann ich natürlich nicht sagen.“Dass die Konfliktlösung anschließend nicht mehr so konstruktiv voranginge, sei aber möglich. „Wir analysieren, aber bewerten nicht“, erklärt sie.
Die Arbeit im Gericht macht für Nicole Jehl und Cornelia Metz jedoch nur einen kleinen Teil der Arbeit aus, genauer gesagt einen Tag. „Dienstags gehen wir ins Gericht“, erklärt Jehl, dort legen die beiden Pädagoginnen ihre Analyse der Angeklagten vor. „Natürlich kann ich Menschen auch einschätzen“, sagt Richterin Grosse. „Mir helfen die Analysen trotzdem sehr.“
Wenn die beiden nicht im Gerichtssaal sitzen, kümmern sie sich direkt um jugendliche Straftäter und Straftäterinnen. Am wichtigsten ist Cornelia Metz dabei der direkte Kontakt: „Den Jugendlichen kennenlernen, ihn einschätzen können, das ist der Grundstein unserer Arbeit.“Dann kann sie sich auch ein Bild von den Straffälligen machen und dem Gericht diese Einschätzung mitteilen.
Dass diese mal wohlwollend, mal streng ausfällt, hänge allein von dem Jugendlichen ab, sagt Nicole Jehl. „Natürlich weiß man mit der Zeit um die Milde oder Härte der Richter und Staatsanwälte“, spielt die Pädagogin zum Beispiel auf grundsätzlich Sozialstunden fordernde Anwälte an, erklärt jedoch, dass sie stets ein Strafmaß vorschlage, das sie für sinnvoll erachte. In der Regel gehen Jugendliche deutlich besser vorbereitet in Verhandlungen, wenn sie zuvor mit Nicole Jehl oder Cornelia Metz zusammengearbeitet haben. „Dann können sie beispielsweise sagen, dass sie schon bei der Drogenhilfe waren oder sich entschuldigt haben“, erklärt Letztere. Manchmal umgehen sie dadurch eine Verhandlung auch, aber eben nicht immer.In den vergangenen Jahren habe sich einiges geändert, sagt Metz, die seit 1990 beim Landlich ratsamt und seit 2013 bei der Jugendgerichtshilfe arbeitet. So sei ihr Job immer umfangreicher geworden, nicht erst seit sich die EURichtlinien vor Kurzem insofern geändert haben, als dass die Jugendgerichtshilfe nun früher eingreift als noch vor zwei Jahren. Denn da erfuhr sie erst mit Einsendung der Anklageschrift von einem Fall, nun bekommt sie bereits die Mitteilung der Polizei geschickt. „Das macht zwar mehr Arbeit, ist aber auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Nicole Jehl. Denn je früher sie eingreift, desto besser kann sie straffällige Jugendliche begleiten.
Auch die Aufgabe an sich sei wichtiger geworden, viele erkennen die Jugendgerichtshilfe als wichtige Instanz an und holen sich Rat. Das tut auch Nicole Jehl. Die studierte Sozialarbeiterin, mit ihren 26 Jahren 37 jünger als Kollegin Metz, profitiere zudem ungemein von Metz’ Erfahrung. „Gerade in meiner Anfangszeit war ich heilfroh, jemanden an meiner Seite zu wissen.“Bald arbeiten die beiden jedoch nicht mehr zusammen, Metz geht 2021 in den Ruhestand.
Wenn die getroffenen Maßnahmen jedoch mal nicht fruchten, leitet die Jugendgerichtshilfe weitere
Schritte ein. Ein Beispiel: Der oben beschriebene junge Mann wurde unter Alkoholeinfluss mehrmals gewalttätig, belegte deshalb einen Kurs zum Thema „Alkohol im Alltag“. Kurz darauf stand er erneut vor Gericht – wieder hatte er betrunken zugeschlagen. Daraufhin empfiehlt Metz einen konfrontativen sozialen Trainingskurs, darin wird man provoziert und herausgefordert. An der passenden Reaktion wird anschließend gearbeitet. Es gibt also mehrere Stufen, bis hin zu einer Haft. Diese sei jedoch nicht immer sinnvoll. Was dort aber helfen soll, sind die pädagogischen Angebote für Jugendliche, sagt Jehl.
Einige Zeit später sitzt ein weiterer 19-Jähriger vor Gericht. Er hat bei einer Party betrunken mit einem Messer herumgefuchtelt. Die Frage steht im Raum, ob es sich um versuchte schwere Körperverletzung handelt. Conny Metz hatte bereits mit der Mutter Kontakt, auch mit dem jungen Mann hat sie sich auseinandergesetzt. Er komme aus geordneten Verhältnissen, sei in Ausbildung, habe sich bislang nichts zu Schulden kommen lassen. Argumente, die offenbar auch Richterin Eva-Maria Grosse überzeugen. Sie stellt das Verfahren ein.