Friedberger Allgemeine

Sie kümmern sich um jugendlich­e Straftäter

Wenn junge Leute vor Gericht stehen, kommen Nicole Jehl und Cornelia Metz ins Spiel. Nicht immer ist nämlich eine Haft angebracht, um die Angeklagte­n wieder in die Spur zu bringen

- VON MICHAEL POSTL

Aichach‰Friedberg Der Saal im ersten Stock des Aichacher Amtsgerich­ts ist holzgetäfe­lt, zwei Fenster stehen weit offen, nur wenige Zuschauer sind coronabedi­ngt erlaubt. Links ist der Tisch für den Angeklagte­n und seinem Verteidige­r, rechts neben der Staatsanwä­ltin sitzt Cornelia Metz. Sie will dem Angeklagte­n in die Augen schauen können, wenn sie über ihn spricht.

Cornelia Metz ist Jugendgeri­chtshelfer­in. Sie analysiert jugendlich­e Straftäter und steht dem Gericht somit beratend zur Seite. Deshalb hat sie sich schon einige Male mit dem Angeklagte­n unterhalte­n, der sich diesmal vor dem Jugendgeri­cht verantwort­en muss. 19 Jahre ist er alt, hoch aufgeschos­sen, raspelkurz­es, Haar – und eine Menge Vorstrafen.

Gleiches gilt für seinen Vater, ebenfalls angeklagt, weil er sich an dem Scharmütze­l seines Sohnes mit seinen Fäusten beteiligt hatte. Zwar entschuldi­gen sie sich bei den meisten Geschädigt­en, auf Außenstehe­nde wirkt das jedoch gezwungen.

„Für uns ist eine Entschuldi­gung trotzdem ein großer Schritt“, betont Metz jedoch. Sie wertet es als positiv, wenn sich Angeklagte überhaupt zu einer Entschuldi­gung überwinden. „Wir sind aber sicherlich keine Gutmensche­n“, wirft Nicole Jehl ein. Sie ist Metz’ Kollegin beim Landratsam­t und sieht sich oft dem Vorurteil ausgesetzt, sie sei ja ohnehin nur die nette Pädagogin, die dem oder der Angeklagte­n vor Gericht Beistand leistet. Es gebe auch Fälle, in denen der Beschuldig­te sich erst auf Hinweis der Richterin entschuldi­ge. „Wenn das erzwungen wird, ist es eher Sache der Richterin, das in ihre Bewertung einfließen zu lassen“, sagt Metz. Auch dann werde es in der Regel positiv gewertet. Der Geschädigt­e könne jedoch ebenso einen Teil zur Glaubwürdi­gkeit beitragen: „Wenn er oder sie die Entschuldi­gung annimmt, ist das positiv“, sagt Nicole Jehl.

Wieder im Gericht. Nun ist Cornelia Metz’ Analyse des 19-jährigen Straftäter­s gefragt. Nach einer Party hatte er zwei junge Männer krankenhau­sreif geprügelt, kurz darauf ihren Begleiteri­nnen mit Schlägen gedroht. „Ein starkes Stück“, wie die Aichacher Jugendrich­terin EvaMaria Grosse befindet. Metz erklärt, dass der junge Mann eigent

wisse, wie er Konflikte zu lösen habe. Im Vorfeld habe er erzählt, dass sich die Familie bei Problemen an einen Tisch setzt und die Konflikte im Gespräch löse. Vor dem Hintergrun­d des wegen mehrerer Körperverl­etzungen vorbestraf­ten Vaters und des ebenso gewalttäti­gen Sohnes, die heute vor Gericht stehen, ist das aber ein schwer vorstellba­res Szenario. Nicht für Pädagogin Metz: „Ich glaube ihm schon, dass sich die Familie an einen Tisch setzt und Konflikte löst“, erklärt sie. „Mit welchen Worten und welcher Intention das vorgeht, kann ich natürlich nicht sagen.“Dass die Konfliktlö­sung anschließe­nd nicht mehr so konstrukti­v voranginge, sei aber möglich. „Wir analysiere­n, aber bewerten nicht“, erklärt sie.

Die Arbeit im Gericht macht für Nicole Jehl und Cornelia Metz jedoch nur einen kleinen Teil der Arbeit aus, genauer gesagt einen Tag. „Dienstags gehen wir ins Gericht“, erklärt Jehl, dort legen die beiden Pädagoginn­en ihre Analyse der Angeklagte­n vor. „Natürlich kann ich Menschen auch einschätze­n“, sagt Richterin Grosse. „Mir helfen die Analysen trotzdem sehr.“

Wenn die beiden nicht im Gerichtssa­al sitzen, kümmern sie sich direkt um jugendlich­e Straftäter und Straftäter­innen. Am wichtigste­n ist Cornelia Metz dabei der direkte Kontakt: „Den Jugendlich­en kennenlern­en, ihn einschätze­n können, das ist der Grundstein unserer Arbeit.“Dann kann sie sich auch ein Bild von den Straffälli­gen machen und dem Gericht diese Einschätzu­ng mitteilen.

Dass diese mal wohlwollen­d, mal streng ausfällt, hänge allein von dem Jugendlich­en ab, sagt Nicole Jehl. „Natürlich weiß man mit der Zeit um die Milde oder Härte der Richter und Staatsanwä­lte“, spielt die Pädagogin zum Beispiel auf grundsätzl­ich Sozialstun­den fordernde Anwälte an, erklärt jedoch, dass sie stets ein Strafmaß vorschlage, das sie für sinnvoll erachte. In der Regel gehen Jugendlich­e deutlich besser vorbereite­t in Verhandlun­gen, wenn sie zuvor mit Nicole Jehl oder Cornelia Metz zusammenge­arbeitet haben. „Dann können sie beispielsw­eise sagen, dass sie schon bei der Drogenhilf­e waren oder sich entschuldi­gt haben“, erklärt Letztere. Manchmal umgehen sie dadurch eine Verhandlun­g auch, aber eben nicht immer.In den vergangene­n Jahren habe sich einiges geändert, sagt Metz, die seit 1990 beim Landlich ratsamt und seit 2013 bei der Jugendgeri­chtshilfe arbeitet. So sei ihr Job immer umfangreic­her geworden, nicht erst seit sich die EURichtlin­ien vor Kurzem insofern geändert haben, als dass die Jugendgeri­chtshilfe nun früher eingreift als noch vor zwei Jahren. Denn da erfuhr sie erst mit Einsendung der Anklagesch­rift von einem Fall, nun bekommt sie bereits die Mitteilung der Polizei geschickt. „Das macht zwar mehr Arbeit, ist aber auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Nicole Jehl. Denn je früher sie eingreift, desto besser kann sie straffälli­ge Jugendlich­e begleiten.

Auch die Aufgabe an sich sei wichtiger geworden, viele erkennen die Jugendgeri­chtshilfe als wichtige Instanz an und holen sich Rat. Das tut auch Nicole Jehl. Die studierte Sozialarbe­iterin, mit ihren 26 Jahren 37 jünger als Kollegin Metz, profitiere zudem ungemein von Metz’ Erfahrung. „Gerade in meiner Anfangszei­t war ich heilfroh, jemanden an meiner Seite zu wissen.“Bald arbeiten die beiden jedoch nicht mehr zusammen, Metz geht 2021 in den Ruhestand.

Wenn die getroffene­n Maßnahmen jedoch mal nicht fruchten, leitet die Jugendgeri­chtshilfe weitere

Schritte ein. Ein Beispiel: Der oben beschriebe­ne junge Mann wurde unter Alkoholein­fluss mehrmals gewalttäti­g, belegte deshalb einen Kurs zum Thema „Alkohol im Alltag“. Kurz darauf stand er erneut vor Gericht – wieder hatte er betrunken zugeschlag­en. Daraufhin empfiehlt Metz einen konfrontat­iven sozialen Trainingsk­urs, darin wird man provoziert und herausgefo­rdert. An der passenden Reaktion wird anschließe­nd gearbeitet. Es gibt also mehrere Stufen, bis hin zu einer Haft. Diese sei jedoch nicht immer sinnvoll. Was dort aber helfen soll, sind die pädagogisc­hen Angebote für Jugendlich­e, sagt Jehl.

Einige Zeit später sitzt ein weiterer 19-Jähriger vor Gericht. Er hat bei einer Party betrunken mit einem Messer herumgefuc­htelt. Die Frage steht im Raum, ob es sich um versuchte schwere Körperverl­etzung handelt. Conny Metz hatte bereits mit der Mutter Kontakt, auch mit dem jungen Mann hat sie sich auseinande­rgesetzt. Er komme aus geordneten Verhältnis­sen, sei in Ausbildung, habe sich bislang nichts zu Schulden kommen lassen. Argumente, die offenbar auch Richterin Eva-Maria Grosse überzeugen. Sie stellt das Verfahren ein.

 ?? Foto: Marcus Führer, dpa (Symbolbild) ?? Wenn Jugendlich­e aneinander­geraten, dann endet die Auseinande­rsetzung manchmal auch vor Gericht. Nicole Jehl und Cornelia Metz von der Jugendgeri­chtshilfe sind dann im Kreis Aichach‰Friedberg im Gerichtssa­al mit dabei.
Foto: Marcus Führer, dpa (Symbolbild) Wenn Jugendlich­e aneinander­geraten, dann endet die Auseinande­rsetzung manchmal auch vor Gericht. Nicole Jehl und Cornelia Metz von der Jugendgeri­chtshilfe sind dann im Kreis Aichach‰Friedberg im Gerichtssa­al mit dabei.

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