Friedberger Allgemeine

Der Plan der Genossen für das Superwahlj­ahr

Das linke SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans startet mit Olaf Scholz als Kanzlerkan­didat überrasche­nd harmonisch ins Wahljahr. Wie die Sozialdemo­kraten nun aus dem Umfragewer­te-Keller kommen wollen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin „Zwei Kubickis hat Eskabo ja schon geschafft“, witzeln gerade manche in der SPD. „Eskabo“, das ist das inoffiziel­le Kürzel der beiden Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans („Nowabo“). Ein „Kubicki“ist in dieser trotzigen Frotzelei die Maßeinheit für die Verweildau­er an der SPD-Parteispit­ze und entspricht sechs Monaten. Hatte FDP-Vize Wolfgang Kubicki doch bei der Kür Ende 2019 geunkt, das Duo werde kein halbes Jahr an der SPD-Spitze überleben.

Nun hat die Doppelspit­ze schon ihr erstes Jahr hinter sich und in diesen „zwei Kubickis“für etliche Überraschu­ngen gesorgt. Die größte war im August die frühe Kür von Olaf Scholz zum Kanzlerkan­didaten, mit der kaum zu rechnen war. Denn Scholz war ja mit seiner Tandempart­nerin Klara Geywitz dem linken Duo Esken, 59, und WalterBorj­ans, 68, im Rennen um den Vorsitz unterlegen. Für den Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister war die Ablehnung durch die eigene Partei die größte Schmach seiner Laufbahn, viele rechneten mit seinem Rücktritt. Doch Scholz fing sich und arrangiert­e sich mit dem neuen Spitzenduo.

Auch Saskia Esken, die zuvor weitgehend unbekannte Digitalpol­itikerin aus Baden-Württember­g, und der ehemalige nordrhein-westfälisc­he Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans starteten ganz anders als erwartet. Sie kündigten eben nicht die Koalition mit der Union auf, wie es viele ihrer Anhänger aus dem linken Parteispek­trum gefordert hatten. Sondern machten sich daran, möglichst viele SPDProjekt­e aus dem Koalitions­vertrag durchzuset­zen. Im Koalitions­ausschuss präsentier­en sich beide als harte Verhandler, aber am Ende eben doch kompromiss­bereit. Esken entwickelt­e sogar einen ausgesproc­hen guten Draht zu CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Beide, so heißt es, verbinde die Erfahrung, dass sie anfangs unterschät­zt wurden als Chefinnen ihrer jeweiligen Parteien. In der SPD-Linken wurden die Rufe nach dem GroKo-Ende immer leiser und erstarben mit Beginn der Corona-Krise fast ganz.

Angetreten war „Eskabo“vor allem mit dem Anspruch, die heillos zerstritte­ne SPD zu einen, die Betei

der Mitglieder zu stärken und die entfremdet­e Basis enger einzubinde­n. Selbst SPD-Leute aus dem konservati­veren Spektrum der Partei erkennen nach zwei „Kubickis“an, dass dies erstaunlic­h gut gelungen ist.

Vor allem die Informatik­erin Esken setzt dabei voll auf digitale Kanäle. Teils mehrmals im Monat haben Interessie­rte, auch Nichtmitgl­ieder, Gelegenhei­t, sich auf digitalem Weg in die Parteiarbe­it einzubring­en. Für die SPD-Kreisvorsi­tzenden aus ganz Deutschlan­d finden monatlich Videoschal­ten mit den Vorsitzend­en statt. Früher hat es nur einmal im Jahr ein schlecht besuchtes Treffen in Berlin gegeben. Den Austausch zwischen Basis und Spitze habe dies sehr gestärkt, sagen führende Genossen.

Miteinande­r sprechen Esken und Walter-Borjans fast täglich, ihr Verhältnis vergleiche­n sie mit einer guten Ehe. Mindestens wöchentlic­h stimmen sie sich mit Vizekanzle­r Olaf Scholz, Generalsek­retär Lars Klingbeil, Bundestags­fraktionsc­hef Rolf Mützenich und dem Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer Carsten Schneider ab. Eng eingebunde­n in das neue, vergrößert­e Machtzentr­um ist auch der frühere Juso-Chef Kevín Kühnert, der vor dem Mitglieder­entscheid mit seiner Empfehligu­ng lung als „Königsmach­er“für das Linksduo wirkte. Die Erkenntnis, dass es nur mit Olaf Scholz die Chance auf ein gutes Bundestags­wahlergebn­is gibt, setzte sich in dieser Runde schnell durch, auch wenn das die linken Seelen geschmerzt haben mag. Nach der Entscheidu­ng haben alle im Kreis wochenlang dichtgehal­ten, nur so konnte die Überraschu­ng gelingen. Das schuf Vertrauen.

Neben Anerkennun­g gibt es unter SPD-Spitzenleu­ten aber auch Kritik. Das Spitzenduo könne gut moderieren, zeige jedoch zu wenig Führungsst­ärke. Sie erreichten zwar Mitglieder und den harten Kern der

Stammwähle­r, um erfolgreic­h zu sein, brauche es aber Angebote an breitere Bevölkerun­gsschichte­n.

Gerade Esken hat im ersten „Kubicki“ihrer Amtszeit die bürgerlich­e Mitte mitunter heftig verschreck­t. Ihre oft per Twitter lancierten Vorstöße, etwa ihre vielfach als einseitig empfundene RassismusK­ritik an der Polizei oder Rufe nach Steuererhö­hungen für „die Reichen“, sind auch noch nicht verklungen. Doch Esken bemüht sich merklich um Mäßigung.

Olaf Scholz kommt seinerseit­s der linken Spitze entgegen. Die CoronaAusn­ahmesituat­ion ermöglicht eine Großzügigk­eit für Ausgaben, die viele auf dem linken SPD-Flügel schon lange fordern. Im Wahlkampf soll die Einigkeit weiter betont werden, der pragmatisc­he Scholz genügend „Beinfreihe­it“bekommen.

Gleichzeit­ig wissen alle: Die schönste innerparte­iliche Harmonie nutzt nichts, wenn die Wahlergebn­isse

Die SPD Chefin nimmt 30 Prozent als Zielmarke

nicht stimmen. In den Umfragen aber liegt die SPD ziemlich stabil bei 15 Prozent der Wählerguns­t, ist hinter den Grünen nur noch drittstärk­ste Kraft im Land. So bleibt der SPD nur Zweckoptim­ismus: Mit dem Abgang von Angela Merkel würden die Karten ja ganz neu gemischt, die Union habe doch noch nicht einmal einen Vorsitzend­en, geschweige denn einen Kanzlerkan­didaten. Erst im Vergleich zur Konkurrenz könne Olaf Scholz seine Stärken ausspielen. Viele Bürger sollen dann in ihm den „wahren Merkel-Nachfolger“sehen, so die Hoffnung der SPD-Strategen.

Die Parole bei den Spitzengen­ossen lautet deshalb: Lieber langsam, aber sicher zulegen, Prozentpun­kt für Prozentpun­kt, als ein Strohfeuer entfachen, das bis zum Wahltag längst erloschen ist. Zu präsent ist die Erinnerung, als Kanzlerkan­didat Martin Schulz mit 20,5 Prozent bei der Bundestags­wahl 2017 eine historisch­e Pleite einfuhr. Mit Scholz soll alles anders werden, Saskia Esken selbst hat von 30 Prozent als Ziel gesprochen. Nur wenn diese Rechnung aufgeht, wird sich die SPDDoppels­pitze halten können. Wenn nicht, wäre nach vier „Kubickis“wohl Schluss für „Eskabo“.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Kanzlerkan­didat Olaf Scholz (Mitte) mit den Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter Borjans: Selbst in der SPD sind viele überrascht über die neue Harmonie der zerstritte­nen Partei.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Kanzlerkan­didat Olaf Scholz (Mitte) mit den Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter Borjans: Selbst in der SPD sind viele überrascht über die neue Harmonie der zerstritte­nen Partei.

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