Friedberger Allgemeine

Trump hält sich für einen guten Verlierer

In einem bizarren Auftritt spricht der US-Präsident weiter von Wahlbetrug, aber auch von seiner möglichen Zukunft

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Feinde sind überall. „Sie wollen, dass ihr verschwind­et“, barmt der Mann auf der Bühne: „Sie wollen euch eure Freiheit, eure Waffen, eure Religion und selbst Weihnachte­n nehmen!“Dahinter stecken nicht nur die „verrückten“Sozialiste­n in Washington. Nein, auch der aus China kommende „Freak“Covid gönnt dem Land seine Erfolge nicht. Und irgendwie haben sich selbst republikan­ische Senatoren und der Gouverneur von Georgia verschwore­n. Sie alle wollen ihm den Wahlsieg nehmen. Aber: „Das werden wir nicht zulassen“, wütet Donald Trump.

Drei Wochen lang hat sich der abgewählte Präsident im Weißen Haus verkrochen, hat nach Aussagen von Augenzeuge­n abwechseln­d gegrollt und sich selbst bemitleide­t, ist kaum zur Arbeit gekommen, hat die Corona-Pandemie, die in den USA inzwischen täglich rund 3000 Menschenle­ben fordert, missachtet und stattdesse­n hunderte Tweets in eigener Sache abgeschoss­en. Am Samstagabe­nd aber steht Trump erstmals wieder dort, wo er sich am wohlsten fühlt: vor einer Menge treuer Anhänger im stockkonse­rvativen Süden von Georgia. „In den vergangene­n drei Wochen habe ich härter gearbeitet als in meinem ganzen Leben“,

berichtet er. „Ihr wisst, dass wir Georgia gewonnen haben“, leitet er zuvor einen der aberwitzig­sten Auftritte seiner Amtszeit ein.

Gerade hat die republikan­ische Regierung des Bundesstaa­tes die dritte Auszählung der fünf Millionen Stimmen abgeschlos­sen. Das Ergebnis ist immer gleich: Nicht Trump, sondern sein Gegenkandi­dat Joe Biden hat mit 12000 Stimmen Vorsprung gewonnen. Doch Tatsachen interessie­ren den einstigen Reality-TV-Star längst nicht mehr. Er hat sich ganz in einer alternativ­en Wirklichke­it eingegrabe­n – und seine Anhänger mit ihm. „We love you!“(Wir lieben dich), himmeln sie ihn an.

Dabei bedarf es erhebliche­r Verrenkung­en, um Trumps Logik zu folgen: Dass er die Präsidents­chaftswahl am 3. November gewonnen hat, steht für ihn außer Frage, obwohl der Demokrat Biden sieben Millionen Stimmen mehr erhielt und auf 306 von 538 Stimmen im Wahlgremiu­m kommt. „Sie haben betrogen und das Ergebnis manipulier­t“, behauptet er. Schließlic­h habe er bei den innerparte­ilichen Vorwahlen der Republikan­er (ohne Gegenkandi­daten) mehr als 90 Prozent der Stimmen bekommen. Mit einem solchen Rückhalt in den eigenen Reihen, fabuliert Trump, könne man eine Wahl nicht verlieren.

„Wenn ich verlieren würde, wäre ich ein sehr gnädiger Verlierer“, sagt er. „Wenn ich verlieren würde, würde ich sagen, ich habe verloren und ich würde nach Florida gehen und es ruhig angehen lassen und ich würde herumgehen und sagen, dass ich einen guten Job gemacht habe.“Doch diese Wahl sei geraubt.

Ganze Berge von Beweisen für die Fälschung gebe es, behauptet Trump: „Euer Gouverneur könnte es einfach stoppen.“Tatsächlic­h hat

Trump ihn am Nachmittag angerufen und bedrängt, per Notverordn­ung vom Parlament einfach republikan­ische statt demokratis­che Wahlleute benennen zu lassen. Doch Brian Kemp, ein Republikan­er, hat sich aus gutem Grund dem Coup widersetzt: Seine Wahlbeamte­n insistiere­n, dass es keine signifikan­ten Unregelmäß­igkeiten gab. Auch vor Gericht blitzt Trump überall ab: Mehr als 30 Klagen haben er und rechte Verbündete eingereich­t. Keine einzige wurde positiv beschieden.

„Euer Gouverneur sollte sich schämen“, wettert der Präsident verärgert. Auch auf die republikan­ischen Senatoren in Washington ist er sauer, weil sie die von ihm geforderte­n Änderungen am Verteidigu­ngsetat ablehnen. Sein hundertmin­ütiger Auftritt hat nichts mehr von der unterhalte­nden Leichtigke­it der Vergangenh­eit. Sichtbar verbittert wütet er von der Bühne. „Wir

Verspielen Trumps Anhänger ihre Mehrheit im Senat?

alle sind Opfer!“, ruft der mächtigste Mann der Welt seinen Zuhörern zu, die maskenlos und ohne Distanz die Ausführung­en bejubeln.

Trump ist noch 45 Tage im Amt. Mehr als zwei Drittel der Republikan­er-Wähler glauben inzwischen, dass die Wahl gefälscht wurde. Kurioserwe­ise könnte das in Georgia nun ausgerechn­et Trumps Republikan­ern schaden. Am 5. Januar steht in dem Bundesstaa­t nämlich eine Stichwahl für den Senat an. Vom Ergebnis hängt ab, ob die Republikan­er in der zweiten Kammer in Washington die Mehrheit verlieren. Doch radikale Trump-Fans rufen zum Boykott der aus ihrer Sicht manipulier­ten Wahl auf.

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Foto: Vucci, dpa Am Samstagabe­nd stand Trump wieder dort, wo er sich am wohlsten fühlt: im Wahl kampf für die Republikan­er bei den Stichwahle­n im Staat Georgia.

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