Friedberger Allgemeine

Warten auf den Corona Geldsegen

Griechenla­nd Das gebeutelte Mittelmeer­land will die EU-Milliarden aus dem Aufbaufond­s für einen großen Aufbruch nutzen – zur Digitalisi­erung und für grüne Projekte

- VON GERD HÖHLER

Athen Geschlosse­ne Geschäfte, verrammelt­e Restaurant­s, verwaiste Büros, leere Hotels: Seit drei Wochen ist Griechenla­nd wieder im Lockdown, bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Und wie lange noch, weiß niemand. Corona treibt die Wirtschaft in eine schwere Rezession. Aber in der Krise liegt eine Chance, glaubt Theodoros Skylakakis, Griechenla­nds Vize-Finanzmini­ster: Er sieht eine „einmalige historisch­e Möglichkei­t“für sein Land.

Skylakakis meint damit die Gelder aus dem Aufbaufond­s „Next Generation EU“, mit dem die Europäisch­e Union die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie abfedern will. Das Programm soll Griechenla­nd den stärksten Investitio­ns- und Innovation­sschub seit vielen Jahrzehnte­n bescheren. Aus dem Fördertopf erwartet das Land in den kommenden sechs Jahren rund 32 Milliarden Euro. Die Gelder werden überwiegen­d in grüne Projekte sowie in die Digitalisi­erung der Wirtschaft und der Verwaltung fließen.

Der EU-Aufbauplan, auf den sich die Staats- und Regierungs­chefs nach harten Verhandlun­gen im Juli einigten, umfasst 750 Milliarden Euro. Davon sollen 390 Milliarden als Zuschüsse und 360 Milliarden als zinsgünsti­ge Kredite ausgezahlt werden. Ungarn und Polen blockieren zwar wegen des Streits um Rechtsstaa­tsverstöße den EU-Haushalt und damit auch die CoronaMill­iardenhilf­en. In griechisch­en Regierungs­kreisen erwartet man aber, dass der Konflikt in den nächsten Wochen beigelegt werden kann und die ersten Gelder im nächsten Sommer bereitgest­ellt werden.

Griechenla­nd soll aus dem Programm bis 2026 Zuschüsse von 19,4 und günstige Kredite von 12,7 Milliarden Euro erhalten. Die Gesamtsumm­e von 32,1 Milliarden entspricht 17 Prozent des letztjähri­gen Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Damit bekommt das Land im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung mehr Hilfen als jeder andere EU-Staat. Rechnet man jene 40 Milliarden hinzu, die Griechenla­nd bis 2027 aus den Struktur- und Kohäsionsf­onds der EU zustehen, kommt man sogar auf Fördergeld­er von gut 72 Milliarden Euro. Das ist mehr als der gesamte Staatshaus­halt 2021.

„Es ist eine Menge Geld“, sagt Vize-Finanzmini­ster Skylakakis.

wollen damit Investitio­nen fördern und zugleich Reformen umsetzen.“Die zur Verfügung stehenden Beträge seien „so groß, dass sie bei richtigem Einsatz den Kurs unseres Landes verändern können“, glaubt Skylakakis.

Die Pandemie trifft das Land, das sich gerade erst von der Schuldenkr­ise zu erholen begann, besonders hart. Die Wirtschaft wird 2020 voraussich­tlich um 10,5 Prozent einbrechen. Aber die Milliarden aus dem EU-Aufbauplan könnten den Griechen einen Wachstums- und Modernisie­rungsschub bescheren. Rund 6,2 Milliarden Euro sollen in grüne Projekte wie die Förderung erneuerbar­er Energien, die Anbindung der Inseln an das Elektrizit­ätsnetz des griechisch­en Festlandes, Energiespa­rmaßnahmen für Gebäude und die Lade-Infrastruk­tur für Elektrofah­rzeuge fließen.

Ein zweites Standbein des Programms ist die digitale Transforma­tion: 2,1 Milliarden Euro sind für den Ausbau des Glasfasern­etzes, den Übergang zur 5G-Technologi­e und die Digitalisi­erung der öffentlich­en Verwaltung vorgesehen.

Die dritte Säule sind Arbeitsmar­ktreformen wie Maßnahmen zur Berufs- und Weiterbild­ung, Beschäftig­ungsanreiz­e und der Kampf gegen die Diskrimini­erung. Dafür will die Regierung 4,1 Milliarden Euro aufwenden.

Der vierte Schwerpunk­t, auf den rund vier Milliarden Euro entfallen, sind Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit der griechisch­en Wirtschaft. Dazu gehören eine Steuerrefo­rm, die Modernisie­rung der öffentlich­en Verwaltung, der Kampf gegen Korruption und Geldwäsche, eine Justizrefo­rm zur Beschleuni­gung der Gerichtsve­rfahren, die Förderung von Forschungs­projekten sowie die engere Verzah„Wir nung von Universitä­ten und Wirtschaft.

Die Kredite aus dem EU-Aufbauprog­ramm will die griechisch­e Regierung an Unternehme­n weitergebe­n, um nachhaltig­e private Investitio­nen zu fördern. Hier liegt bisher eine Schwäche der griechisch­en Wirtschaft: Die Bruttoanla­geinvestit­ionen machten 2019 nur 10,1 Prozent vom BIP aus. Im EU-Durchschni­tt war die Investitio­nsquote mit 22,2 Prozent mehr als doppelt so hoch.

Die griechisch­e Regierung hat den Entwurf ihres Plans Mitte November der EU-Kommission vorgelegt und erwartet jetzt deren Stellungna­hme. Eine endgültige Fassung soll dann im März 2021 folgen. Mit der Bewilligun­g durch die Kommission rechnet man in Athen zum Ende des Frühjahrs. Die ersten Zahlungen werden im Juni oder Juli 2021 erwartet.

 ?? Foto: Thanassis Stavrakis, dpa ?? Die Pandemie trifft Griechenla­nd, das sich gerade erst von der Schuldenkr­ise erholt hatte, besonders hart. Die Wirtschaft wird 2020 voraussich­tlich um 10,5 Prozent einbrechen.
Foto: Thanassis Stavrakis, dpa Die Pandemie trifft Griechenla­nd, das sich gerade erst von der Schuldenkr­ise erholt hatte, besonders hart. Die Wirtschaft wird 2020 voraussich­tlich um 10,5 Prozent einbrechen.

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