Nur Protest oder schon Kunst?
„Hygiene-Einheiten“in Horrorfilm-Ästhetik sorgen grenzüberschreitend für Irritation. In Fußgängerzonen verkünden sie ihre Botschaft: Pandemie-Schutz führt in die Diktatur
Mit weißen Schutzanzügen, Gesichtsmasken und demütig gesenkten Köpfen hat sich die Anti-Corona-Bewegung in den letzten sechs Wochen ein neues Format zugelegt. Sie nennt es Kunst. Die Aktionen heißen „Hygiene-Einheiten“oder – wie in Augsburg – „Das kollektive Erwachen“. Öffentlichkeit und Lokalpresse taten sich bisher schwer mit einer Einordnung des aufwühlenden Soundtracks und der LivePerformances im Stil des Horrorfilms „The Purge“. Die Aktionen sind gegen das Infektionsschutzgesetz oder – wie es in den Milieus der Gegner auch genannt wird – „Ermächtigungsgesetz“gerichtet. Inzwischen ist die rechtsextremistische Partei „Der dritte Weg“aufgesprungen. Sie findet das kreativ, wenn auch zugespitzt, und wirbt auf ihrer Webseite für die Aktion.
In Augsburg waren im November schon zwei Performances zu beobachten. Als Versammlung angemeldet, hieß der Titel laut Polizei: „Für weniger Uniformität; nicht lesbare Gesichtszüge; und schleichende Entmenschlichung durch unverhältnismäßige Maßnahmen nach §28a IfsG“. Etwa 24 weiße Gestalten zogen an zwei Samstagen vom Königszum Rathausplatz. In einer
Karre zogen sie einen Lautsprecher mit sich. Der düstere Soundtrack unterlegt eine monotone, mit viel Hall unterlegte Stimme: „Impfgegner entrechten. Maskenpflicht ein Leben lang. Regelbrecher an die Wand.“Im Wechsel mit den kurzen Befehlen: „Spahn, erhöre uns. Merkel, erhöre uns. Drosten, erhöre uns.“
Die Gruppe in Augsburg ist vernetzt mit anderen Corona-ProtestGruppierungen. Eine der Aktivistinnen ist zum Gespräch bereit, allerdings nur unter der Maßgabe, ihren Namen nicht zu nennen. Sie habe Geisteswissenschaften studiert und ist skeptisch, ob man versteht, um was es bei der Aktion gehe oder ob die Zeitung nicht doch nur eine vorgefertigte Meinung produziere.
„Der Titel“, sagt sie, „ist natürlich arg verkürzt.“Ihre „Kunst“sei satirisch und sehr viel komplexer. Sie beschreibe eine nahe despotische Zukunft, die – wenn die Gesellschaft nicht aufwache – mit der Verschmelzung von Mensch und Technik die Autonomie der Individuen aufheben werde. Dass sich Menschen derzeit widerspruchslos unterwerfen, sei ein Vorbote dieses „Transhumanismus“, wie sich die große Umwandlung nennt. Es geht um eine befürchtete Cyborgisierung, bei der die Menschen durch den Einsatz von Computer-Chips, Chemie und Künstlicher Intelligenz zu willenlosen Zombies werden. Schon 2030 werde diese Entwicklung abgeschlossen sein, sagt die Augsburger Aktivistin. Auf dem Ticket der derzeitigen Corona-Panikstimmung könne man gut auf diese zukünftige Katastrophe aufmerksam machen. Aber ist es nicht gefährlich, wegen angeblicher zukünftiger Cyborgs Stimmung gegen den Infektionsschutz zu machen? Haben nicht die vollen Intensivstationen Vorrang vor Cyborgs? Nein, meint sie. Denn so sterbe die Oma im Pflegeheim ja auch, nur eben an den Corona-Maßnahmen und der daraus resultierenden Einsamkeit.
Dass diese „Hygiene-Einheiten“schnell Nachahmer finden, zeigt, wie vernetzt das Milieu der Maßnahmengegner ist. Die Aktion wurde bereits auf Querdenker-Demos in Dortmund, Linz, Leipzig, Hof und Chemnitz gesichtet. Ihre Spuren führen in die Schweiz: Sound und Text sowie das professionelle Video, das in der Szene als Vorlage dient, stammen aus Bern.
Die dortige Musikerin Andrea Pfeifer und die „Guerilla Mask Force Bern“teilen in sozialen Netzwerken ihre Kritik an den Maßnahmen und ihre Sympathien für Verschwörer wie den bekannten Ken
Jebsen mit. Die Augsburger Aktivistin besorgte sich das Material von Gleichgesinnten aus Heilbronn. „Wir üben jetzt noch ein wenig anhand unseres Videos“, sagt sie, damit die Choreografie besser sitze.
Und ist das jetzt Kunst? André Bücker, der Intendant des Augsburger Staatstheaters, sagt ganz klar Nein. „Die Aktion ist zweckgerichtet, es gibt keine Metaebene und keinen Raum für eigenes Denken. Ich verbuche es unter politischem Aktivismus.“Nicola Bremer, freier Regisseur, der gerade für das Staatstheater Augsburg inszeniert und für experimentelle Performances bekannt ist, findet schon, dass es sich um Kunst handele, wenn auch keine analytische. „Immerhin haben sie ’ne Maske auf.“
Satire hingegen kann der 31-Jährige bei diesen Kunstprotesten nicht erkennen. „Meine Oma ist tatsächlich infiziert. Da will diese Performance mir einen Spiegel vorhalten und mich zum willenlosen Idioten erklären?“, kritisiert er, hält aber fest: „Es braucht mehr künstlerische Auseinandersetzung, aber die Theater sind geschlossen. In diese Lücke geht die Performance, und sie erreicht offenbar Menschen. Unser Fehler. Wir sollten vielleicht auch auf die Straße gehen, natürlich tiefgründiger.“