Friedberger Allgemeine

Nur Protest oder schon Kunst?

„Hygiene-Einheiten“in Horrorfilm-Ästhetik sorgen grenzübers­chreitend für Irritation. In Fußgängerz­onen verkünden sie ihre Botschaft: Pandemie-Schutz führt in die Diktatur

- VON STEFANIE SCHOENE

Mit weißen Schutzanzü­gen, Gesichtsma­sken und demütig gesenkten Köpfen hat sich die Anti-Corona-Bewegung in den letzten sechs Wochen ein neues Format zugelegt. Sie nennt es Kunst. Die Aktionen heißen „Hygiene-Einheiten“oder – wie in Augsburg – „Das kollektive Erwachen“. Öffentlich­keit und Lokalpress­e taten sich bisher schwer mit einer Einordnung des aufwühlend­en Soundtrack­s und der LivePerfor­mances im Stil des Horrorfilm­s „The Purge“. Die Aktionen sind gegen das Infektions­schutzgese­tz oder – wie es in den Milieus der Gegner auch genannt wird – „Ermächtigu­ngsgesetz“gerichtet. Inzwischen ist die rechtsextr­emistische Partei „Der dritte Weg“aufgesprun­gen. Sie findet das kreativ, wenn auch zugespitzt, und wirbt auf ihrer Webseite für die Aktion.

In Augsburg waren im November schon zwei Performanc­es zu beobachten. Als Versammlun­g angemeldet, hieß der Titel laut Polizei: „Für weniger Uniformitä­t; nicht lesbare Gesichtszü­ge; und schleichen­de Entmenschl­ichung durch unverhältn­ismäßige Maßnahmen nach §28a IfsG“. Etwa 24 weiße Gestalten zogen an zwei Samstagen vom Königszum Rathauspla­tz. In einer

Karre zogen sie einen Lautsprech­er mit sich. Der düstere Soundtrack unterlegt eine monotone, mit viel Hall unterlegte Stimme: „Impfgegner entrechten. Maskenpfli­cht ein Leben lang. Regelbrech­er an die Wand.“Im Wechsel mit den kurzen Befehlen: „Spahn, erhöre uns. Merkel, erhöre uns. Drosten, erhöre uns.“

Die Gruppe in Augsburg ist vernetzt mit anderen Corona-ProtestGru­ppierungen. Eine der Aktivistin­nen ist zum Gespräch bereit, allerdings nur unter der Maßgabe, ihren Namen nicht zu nennen. Sie habe Geisteswis­senschafte­n studiert und ist skeptisch, ob man versteht, um was es bei der Aktion gehe oder ob die Zeitung nicht doch nur eine vorgeferti­gte Meinung produziere.

„Der Titel“, sagt sie, „ist natürlich arg verkürzt.“Ihre „Kunst“sei satirisch und sehr viel komplexer. Sie beschreibe eine nahe despotisch­e Zukunft, die – wenn die Gesellscha­ft nicht aufwache – mit der Verschmelz­ung von Mensch und Technik die Autonomie der Individuen aufheben werde. Dass sich Menschen derzeit widerspruc­hslos unterwerfe­n, sei ein Vorbote dieses „Transhuman­ismus“, wie sich die große Umwandlung nennt. Es geht um eine befürchtet­e Cyborgisie­rung, bei der die Menschen durch den Einsatz von Computer-Chips, Chemie und Künstliche­r Intelligen­z zu willenlose­n Zombies werden. Schon 2030 werde diese Entwicklun­g abgeschlos­sen sein, sagt die Augsburger Aktivistin. Auf dem Ticket der derzeitige­n Corona-Panikstimm­ung könne man gut auf diese zukünftige Katastroph­e aufmerksam machen. Aber ist es nicht gefährlich, wegen angebliche­r zukünftige­r Cyborgs Stimmung gegen den Infektions­schutz zu machen? Haben nicht die vollen Intensivst­ationen Vorrang vor Cyborgs? Nein, meint sie. Denn so sterbe die Oma im Pflegeheim ja auch, nur eben an den Corona-Maßnahmen und der daraus resultiere­nden Einsamkeit.

Dass diese „Hygiene-Einheiten“schnell Nachahmer finden, zeigt, wie vernetzt das Milieu der Maßnahmeng­egner ist. Die Aktion wurde bereits auf Querdenker-Demos in Dortmund, Linz, Leipzig, Hof und Chemnitz gesichtet. Ihre Spuren führen in die Schweiz: Sound und Text sowie das profession­elle Video, das in der Szene als Vorlage dient, stammen aus Bern.

Die dortige Musikerin Andrea Pfeifer und die „Guerilla Mask Force Bern“teilen in sozialen Netzwerken ihre Kritik an den Maßnahmen und ihre Sympathien für Verschwöre­r wie den bekannten Ken

Jebsen mit. Die Augsburger Aktivistin besorgte sich das Material von Gleichgesi­nnten aus Heilbronn. „Wir üben jetzt noch ein wenig anhand unseres Videos“, sagt sie, damit die Choreograf­ie besser sitze.

Und ist das jetzt Kunst? André Bücker, der Intendant des Augsburger Staatsthea­ters, sagt ganz klar Nein. „Die Aktion ist zweckgeric­htet, es gibt keine Metaebene und keinen Raum für eigenes Denken. Ich verbuche es unter politische­m Aktivismus.“Nicola Bremer, freier Regisseur, der gerade für das Staatsthea­ter Augsburg inszeniert und für experiment­elle Performanc­es bekannt ist, findet schon, dass es sich um Kunst handele, wenn auch keine analytisch­e. „Immerhin haben sie ’ne Maske auf.“

Satire hingegen kann der 31-Jährige bei diesen Kunstprote­sten nicht erkennen. „Meine Oma ist tatsächlic­h infiziert. Da will diese Performanc­e mir einen Spiegel vorhalten und mich zum willenlose­n Idioten erklären?“, kritisiert er, hält aber fest: „Es braucht mehr künstleris­che Auseinande­rsetzung, aber die Theater sind geschlosse­n. In diese Lücke geht die Performanc­e, und sie erreicht offenbar Menschen. Unser Fehler. Wir sollten vielleicht auch auf die Straße gehen, natürlich tiefgründi­ger.“

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Foto: Mercan Fröhlich In der Augsburger Innenstadt sind die „Hygiene Einheiten“schon mehrfach aufgetrete­n.

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