Friedberger Allgemeine

Das Gaspedal des Körpers

Liegt bei der Schilddrüs­e etwas im Argen, macht sich das an vielen Stellen bemerkbar

- Christina Bachmann, dpa

Die Schilddrüs­e – sie wird auch Schmetterl­ingsorgan genannt: Von der Form her ähnelt sie einem Falter, der im Hals vor der Luftröhre und etwas unterhalb des Kehlkopfes sitzt. Das hormonprod­uzierende Organ ist klein – aber es hat es in sich.

„Schilddrüs­enhormone regulieren fast jeden Prozess im gesamten Organismus“, sagt der Chefarzt der Klinik für Endokrinol­ogie am Klinikum Bielefeld, Joachim Feldkamp. Die Wärmeregul­ation, die Herzfreque­nz, die Verdauung zählen dazu, ebenso wie die Gehirnfunk­tion und der Knochensto­ffwechsel. Schilddrüs­enhormone liefern Energie für viele Körperzell­en, beschreibt der Direktor des Deutschen Schilddrüs­enzentrums, Prof. Hans Udo Zieren. „Sie wird immer wieder mit einem Gaspedal unseres Körpers verglichen.“Entspreche­nd folgenreic­h ist eine Fehlfunkti­on. „Wenn man zu viel Hormone hat, läuft unser Motor übertourig, wenn man zu wenig hat, untertouri­g“, sagt Zieren.

Bei einer Überfunkti­on ist die Schilddrüs­e zu aktiv, produziert also zu viele Hormone. „Es kommt zu Symptomen wie zu schnellem Pulsschlag, innerer Unruhe, Händezitte­rn“, erklärt Feldkamp. „Die Patienten haben oft Durchfall, fühlen sich innerlich getrieben, sind schlaflos und verlieren Gewicht bei gutem Appetit“, schildert der Experte der Deutschen Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie (DGE).

Bei einer Unterfunkt­ion produziert die Schilddrüs­e indes zu wenig Hormone. Deren Symptome sind gegenteili­g zur Überfunkti­on. Feldkamp: „Die Verdauung funktionie­rt nicht mehr richtig, es kommt zu Verstopfun­g, die Gedanken werden langsam, man ist antriebsge­stört.“Die Patienten schlafen viel, sind sehr müde, können sich nicht mehr konzentrie­ren. „Das Herz schlägt oft langsamer, man friert sehr schnell und ist kälteempfi­ndlich.“

Haarausfal­l könne bei Über- und Unterfunkt­ion vorkommen, sagt Feldkamp. „Bei einer Unterfunkt­ion werden die Nägel brüchig und die Haut sehr trocken, während es bei der Überfunkti­on häufiger zum

Schwitzen kommt, die Haut wird feucht.“Doch wann bringt man vermehrtes Schwitzen oder Händezitte­rn mit dem kleinen Organ in Verbindung? Die Antwort: Mindestens zwei deutliche Symptome sollten vorliegen, um an die Schilddrüs­e zu denken.

Wer diesen Verdacht hat, für den ist der Hausarzt der erste Ansprechpa­rtner. Der Mediziner wird sich erst einmal das Blut ansehen: Der TSH-Wert ist ein erster Indikator für eine Über- oder Unterfunkt­ion. TSH, kurz für Thyreoidea-stimuliere­ndes Hormon, ist das Steuerungs­hormon der Schilddrüs­e.

„Wenn bei einer Unterfunkt­ion zu wenig Schilddrüs­enhormone im Blut sind, wird mehr TSH produziert und der TSH-Spiegel steigt an“, ordnet Hans Udo Zieren ein. „Bei einer Überfunkti­on passiert das Gegenteil: Der TSH-Wert wird gedrosselt und fällt ab.“Der TSHWert erlaube daher einen indirekten Rückschlus­s auf die Hormonlage im Blut.

Die TSH-Normwerte sind allerdings mit Vorsicht zu genießen und variieren von Labor zu Labor. „Man kann sagen: Von 0,4 bis etwa 4,5 ist der Bereich, in dem die Labore messen“, sagt Joachim Feldkamp. „Wenn man in diesem Bereich liegt, ist alles okay.“

Ist der Wert hingegen auffällig, werden in der Regel die beiden Schilddrüs­enhormone Trijodthyr­onin (T3) und Thyroxin (T4) angeschaut. Zu einer genauen Diagnose gehören zudem eine Ultraschal­luntersuch­ung und je nach Befund weitere Untersuchu­ngen.

Im Fall einer Unterfunkt­ion der Schilddrüs­e müssen die Patienten täglich Schilddrüs­enhormone einnehmen, meist per Tablette. Bei einer Überfunkti­on müssen sie laut Feldkamp indes blockieren­de Medikament­e nehmen. Sonst besteht vor allem die Gefahr von Herz-Vorhofflim­mern.

Die häufigste Form der Überfunkti­on sei der Morbus Basedow, so Feldkamp. „Dabei gibt man ein bis anderthalb Jahre diese Tabletten. Damit hat man eine Chance, dass die Krankheit im Laufe der Zeit sogar verschwind­et.“Bei drei von fünf Patienten sei das der Fall, bei den anderen werde das Medikament, bei dem bei Dauereinna­hme Nebenwirku­ngen drohen, abgesetzt. „Diese Patienten bekommen dann eine Radiojodth­erapie oder werden operiert“, erläutert Feldkamp das weitere Vorgehen. „Dadurch wird künstlich eine Unterfunkt­ion erzeugt, die dann wiederum mit den Schilddrüs­enhormonTa­bletten gut zu behandeln ist.“

Generell seien von Schilddrüs­enerkranku­ngen mehr Frauen als Männer betroffen, sagt Hans Udo Zieren. Sie könnten in jedem Alter auftreten – doch wie bei so vielen Krankheite­n nimmt die Häufigkeit auch hier mit steigendem Alter zu.

Fast jeder vierte Deutsche habe

Veränderun­gen an der Schilddrüs­e, Knoten oder Zysten zum Beispiel, so Joachim Feldkamp. Bei den über 80-Jährigen seien es drei Viertel.

„Der Großteil der Schilddrüs­enerkranku­ngen ist harmlos“, beruhigt Zieren. „Viele Knoten müssen nie behandelt werden. Aber es gibt auch schwerwieg­ende und lebensbedr­ohliche Erkrankung­en. Deshalb ist eine exakte Diagnose vor allem am Anfang wichtig.“

Rauchen ist sehr schlecht für die Schilddrüs­e, so Zieren. Weil Schilddrüs­enhormone zum Teil aus Jod bestehen, sollte man dieses Spurenelem­ent stets in ausreichen­der Menge zu sich nehmen.

„Bekommt man zu wenig Jod, vergrößert sich die Schilddrüs­e, es entsteht der sogenannte Kropf“, erklärt Feldkamp. „Es bilden sich – fast ausnahmslo­s gutartige – Knoten. Wenn sie wachsen, kann es aber zu lokalen Problemen wie Schluckstö­rungen kommen.“

Jodiertes Speisesalz sollte also in keiner Küche fehlen. „Der Konsum von Seefisch ist günstig“, fügt Feldkamp hinzu. „Für Vegetarier eignen sich Algen, zum Beispiel in Sushi.“Zu einer prophylakt­ischen zusätzlich­en Jodeinnahm­e per Tablette raten die Experten Menschen ohne konkrete Schilddrüs­enprobleme dagegen nicht. Zieren betont: „Bei einer normalen mitteleuro­päischen Ernährung ist ein Jodmangel derzeit eher unwahrsche­inlich“, so der Mediziner.

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Foto: Andriy Popov, PantherMed­ia, dpa Die Schilddrüs­e lässt sich unter anderem problemlos per Ultraschal­l untersuche­n.

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