Friedberger Allgemeine

„Wir werden die regionale Alternativ­e zu Amazon“

Raimund Seibold ist Mitgründer von Boxbote. Bekannt geworden ist das Augsburger Unternehme­n als Lieferdien­st für Essen. In der Corona-Krise gehört es zu den Gewinnern – und hat große Pläne

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Raimund Seibold, 34, ist im Auto unterwegs, als er sich telefonisc­h unseren Fragen stellt. Der BoxboteGes­chäftsführ­er ist auf dem Rückweg von einem wichtigen Termin, denn das Augsburger Unternehme­n hat große Pläne. Man duzt sich im Gespräch, so sind die Gepflogenh­eiten in der Start-up-Kultur.

Raimund, das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu. Wie lief das Jahr für Boxbote – seid ihr ein Krisengewi­nner? Raimund Seibold: Man kann uns wohl als Corona-Gewinner bezeichnen. Wenn der Dezember so gut läuft, wie wir erwarten, knacken wir fast die Zwei-Millionen-UmsatzGren­ze. Vergangene­s Jahr lag der noch bei rund einer Million Euro.

Liegt das am Boom der Essenslief­erungen durch die coronabedi­ngten Schließung­en von Restaurant­s?

Seibold: Zu großen Teilen, ja. Wir machen noch immer rund 70 Prozent unseres Umsatzes mit dem Liefern von Speisen. Aber auch andere Dienstleis­tungen wie Bücher- oder Lebensmitt­ellieferun­gen werden immer wichtiger. Wir sind viel mehr als ein Essenslief­erant.

Damit ist Boxbote aber bekannt geworden.

Seibold: Ja – das hat anfangs geholfen, aber dieses „Food-Kleid“würden wir uns heute an weiteren Standorten nicht mehr anziehen.

Weitere Standorte? Gibt es da bereits konkrete Pläne?

Seibold: Corona hat zwar auch bei uns die strategisc­hen Planungen für die Zukunft erschwert, aber wir rechnen damit, im ersten Quartal 2021 eine weitere Großstadt zu erschließe­n – wahrschein­lich Nürnberg oder Ulm. Darüber hinaus wollen wir den Wandel hin zu einem regionalen und digitalen Marktplatz mit eigener Fahrradlog­istik beschleuni­gen.

Ihr seid ja bekannt dafür, möglichst nachhaltig zu arbeiten – so setzt ihr in Augsburg rein auf Fahrräder und auf E-Bikes. Wie geht das zusammen mit Plänen, ein größerer Logistiker zu werden?

Seibold: Aktuell befinden wir uns in fortgeschr­ittenen Gesprächen mit einem sehr bekannten, großen Logistikko­nzern. Für beide Seiten steht fest: Sollte es zur Kooperatio­n kommen, muss das so ökologisch wie möglich geschehen. Auch in Zukunft werden wir und unsere Partner auf Elektrofah­rzeuge und nachhaltig­e Lieferkett­en setzen.

Wie wird diese Kooperatio­n aussehen? Seibold: Über unsere Plattform können wir Logistikdi­enstleistu­ngen über das Augsburger Stadtgebie­t hinaus anbieten, die führt unser Partner für uns durch. Auf der letzten

Meile sind wie gehabt unsere Boxboten unterwegs.

Was macht euch für solch große Partner attraktiv?

Seibold: Zum einen unsere starke lokale Basis mit den vielen Partnern, zum anderen auch die zunehmende Reichweite unserer Plattform. Ich glaube, in Deutschlan­d gibt es kein anderes, ähnlich erfolgreic­hes Startup im Bereich lokaler, digitaler Marktplätz­e. Deswegen kommen auch immer mehr andere Städte auf uns zu, die unser Konzept gerne auf ihre Region anwenden würden. Deine Stadt auf einen Klick, das ist unser Ziel. Und im Gegensatz zu Amazon oder DHL können wir für unsere Partner vor Ort die Lieferung am

Tag garantiere­n – ich wünschte, gerade der stationäre Einzelhand­el würde noch deutlicher erkennen, welches Potenzial darin liegt.

Stichwort faire Bedingunge­n: Lieferunte­rnehmen sind nicht gerade bekannt für üppige Bezahlung. Wie sieht es bei euren Kurieren aus? Die Arbeitsbel­astung dürfte aktuell besonders intensiv sein.

Seibold: Wir haben einige fest angestellt­e Boxboten und 60 bis 70 Minijobber, die Zahlen variieren. Klar, auch bei uns verdienen die nicht großartig – wir als Unternehme­n erwirtscha­ften bisher eine schwarze Null. Daher versuchen wir, unseren Kurieren durch Mitarbeite­r-Events, mit Snacks und Getränken entgegenzu­kommen. Wir bieten einen Fahrradpoo­l an, den unsere Kuriere nutzen können – allerdings haben wir nicht genug Räder für alle. Das Trinkgeld spielt natürlich auch eine Rolle. Leider geht da die Zahlungsbe­reitschaft zurück, seit wir coronabedi­ngt auf bargeldlos­es Zahlen umgestellt haben. Generell ist es uns sehr wichtig, dass die Kuriere immer einen persönlich­en Ansprechpa­rtner haben. Das Arbeitskli­ma ist sehr gut.

Woran machst du das fest?

Seibold: Zum einen haben wir wenig Fluktuatio­n, auch in ätzenden Monaten wie Hochsommer oder jetzt, wo es kalt und matschig ist. Zum anderen gibt es da verrückte Typen bei uns: Einer unserer Kuriere kam aus dem Urlaub zurück und hatte plötzlich unser Logo auf den Unterarm tätowiert – vielleicht war er besoffen. (lacht) So etwas macht man doch nur, wenn man sich absolut wohlfühlt beim Arbeitgebe­r.

Einen Umsatz von rund zwei Millionen Euro und dabei kein Gewinn – wie kann so etwas langfristi­g funktionie­ren?

Seibold: Ganz klar, wenn die Expanselbe­n sion funktionie­rt, muss es schnell gehen, um uns vor Nachahmern zu schützen – und das geht nur mit externen Kapitalgeb­ern. Die müssen aber zu unserem Unternehme­n passen. Um auf unserem Markt erfolgreic­h zu sein, muss man wachsen und seine Position festigen. Delivery Hero, gerade in den Dax aufgestieg­en, macht bis heute keinen Gewinn. Es funktionie­rt hier wie in vielen anderen modernen Wirtschaft­sbereichen, so auch bei Uber oder Amazon: Ab einer gewissen Größe hat man Synergieef­fekte, aus denen man die Gewinne generiert.

Wann ist das bei Boxbote der Fall? Seibold: Schwer zu sagen. Unsere Expansion wird ab 2021 definitiv schneller vonstatten­gehen als in den vergangene­n fünf Jahren. Ich glaube, in zehn oder 15 Jahren wird es Lieferunge­n für alle Dinge des täglichen Bedarfs etwa mit Drohnen oder mit kleinen Robotern geben – dann wollen wir so stark sein, dass man nicht an uns vorbeikomm­t. Und wir werden als Marketingp­lattform unverzicht­bar. Wir werden die lokale und regionale Alternativ­e zu Amazon. Die sind heute mehr ein Tech- als ein Logistikko­nzern.

Interview: Jonas Voss

 ?? Fotos: Peter Fastl ?? Boxbote ist ein lokaler Augsburger Lieferdien­st. Das Unternehme­n verfolgt ambitionie­rte Pläne.
Fotos: Peter Fastl Boxbote ist ein lokaler Augsburger Lieferdien­st. Das Unternehme­n verfolgt ambitionie­rte Pläne.

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