Der Handel in den Innenstädten darf nicht ausbluten
Die Corona-Krise setzt den Geschäften zu, die unsere Zentren erst lebenswert machen. Bund und Land müssen eine Insolvenzwelle verhindern
Leere Schaufenster, eine abgeklebte Scheibe, eine Hausfassade, von der die Farbe abplatzt. Den Wert einer Sache erkennt man erst, wenn diese nicht mehr da ist. Es ist der Handel, der eine Stadt lebendig macht. In der Stadt Schuhe, Kleidung, Bücher, Gemüse und Obst kaufen zu können, danach noch in ein Café zu gehen, ist ein Wert an sich. Eine gesunde Innenstadt strahlt auf den gesamten Standort aus. Solche weichen Faktoren entscheiden auch darüber, ob es gelingt, Fachkräfte anzuziehen und Firmen anzusiedeln. Doch ausgerechnet der für die Städte wichtige Einzelhandel steuert derzeit auf eine große Krise zu. Jeder kennt aus seinem Umfeld Orte, wo Geschäfte leer stehen. Es wäre fatal, wenn das Ladensterben großflächig um sich greifen würde.
Angesichts der steigenden Zahlen an Infizierten und des zweiten Lockdowns machen viele Verbraucher verständlicherweise aktuell einen Bogen um die Zentren. Für die Händler ist dies fatal, trägt doch das Weihnachtsgeschäft für viele einen großen Teil zum Jahresumsatz bei. Der Verband befürchtet rund 50000 Insolvenzen im Einzelhandel. Vor allem in den Schuh- und Modeläden herrscht teilweise Alarmstimmung. Damit verstärkt die Krise einen Trend, den es schon gab.
Die Corona-Krise befeuert den Boom im Online-Handel. Der Online-Anteil im Modebereich betrug 2019 bereits rund 30 Prozent, er wird weiter wachsen. Bundesregierung und die Landespolitik haben mit ihrer Anti-Corona-Politik dieser Entwicklung zusätzlich Schub verliehen: Die Mehrwertsteuer wurde gesenkt, gleichzeitig sollen die Menschen Kontakte vermeiden und nur in überschaubarer Zahl in die Geschäfte gehen, um das Ansteckungsrisiko zu senken. So fließen weitere Milliarden Euro in das Versandgeschäft, die Innenstädte sind die Verlierer. Was an Umsatz ins
Netz abwandert, kehrt aber so leicht nicht zurück.
Sicher, Politiker sind derzeit nicht zu beneiden. Es ist nicht leicht, angesichts einer dynamischen Virus-Pandemie die richtigen Weichen zu stellen. Gut kann man verstehen, dass Bund und Land angesichts der hohen Zahlen an CoronaPatienten in den Kliniken striktere Regeln erlassen. Eines Tages wird die Pandemie aber ein Ende haben. Dann wird es wichtig sein, nicht nur verödete Städte und einen kollabierten Handel vorzufinden.
Gute Politik muss deshalb die Nebenwirkungen der CoronaMaßnahmen abfedern. Für den Handel heißt dies, eine Insolvenzwelle zu verhindern und damit sicherzustellen, dass Innenstädte lebenswert bleiben. Dafür müssen die versprochenen Dezemberhilfen rechtzeitig bei den Einzelhändlern ankommen. Im Gegensatz zu Gastronomen haben sie bisher kaum von Hilfen profitiert.
Fachleute sehen den boomenden Online-Handel als größten Umbruch seit der Einführung der Selbstbedienung. Es wird damit sicher nicht gelingen, die bisherige Struktur im Handel 1:1 in die Zukunft zu führen. Die Expansionspläne des US-Riesen Amazon am Allgäu-Airport sprechen Bände. Gleichzeitig erwachsen im Umbruch Chancen: Findige Gastronomen punkten in der Corona-Krise mit digitalen Bestellungen und Lieferservices, das kann ein Vorbild für Händler sein. Lebensmittelhändler wie Rewe, Edeka & Co. haben zuletzt die Innenstädte wiederentdeckt. Bei manchen Kunden steigt die Wertschätzung für regionale und handwerkliche Produkte.
Die Aufgabenteilung ist damit klar: Die Politik muss es den Händlern ermöglichen, in der Krise zu überleben. Neue Chancen zu sehen, zu nutzen und sich in den Innenstädten neu zu erfinden, diese Aufgabe kann guten Gewissens den Händlern überlassen werden.
Was Richtung online abwandert, kehrt nur schwer zurück