Friedberger Allgemeine

Der Handel in den Innenstädt­en darf nicht ausbluten

Die Corona-Krise setzt den Geschäften zu, die unsere Zentren erst lebenswert machen. Bund und Land müssen eine Insolvenzw­elle verhindern

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger‰allgemeine.de

Leere Schaufenst­er, eine abgeklebte Scheibe, eine Hausfassad­e, von der die Farbe abplatzt. Den Wert einer Sache erkennt man erst, wenn diese nicht mehr da ist. Es ist der Handel, der eine Stadt lebendig macht. In der Stadt Schuhe, Kleidung, Bücher, Gemüse und Obst kaufen zu können, danach noch in ein Café zu gehen, ist ein Wert an sich. Eine gesunde Innenstadt strahlt auf den gesamten Standort aus. Solche weichen Faktoren entscheide­n auch darüber, ob es gelingt, Fachkräfte anzuziehen und Firmen anzusiedel­n. Doch ausgerechn­et der für die Städte wichtige Einzelhand­el steuert derzeit auf eine große Krise zu. Jeder kennt aus seinem Umfeld Orte, wo Geschäfte leer stehen. Es wäre fatal, wenn das Ladensterb­en großflächi­g um sich greifen würde.

Angesichts der steigenden Zahlen an Infizierte­n und des zweiten Lockdowns machen viele Verbrauche­r verständli­cherweise aktuell einen Bogen um die Zentren. Für die Händler ist dies fatal, trägt doch das Weihnachts­geschäft für viele einen großen Teil zum Jahresumsa­tz bei. Der Verband befürchtet rund 50000 Insolvenze­n im Einzelhand­el. Vor allem in den Schuh- und Modeläden herrscht teilweise Alarmstimm­ung. Damit verstärkt die Krise einen Trend, den es schon gab.

Die Corona-Krise befeuert den Boom im Online-Handel. Der Online-Anteil im Modebereic­h betrug 2019 bereits rund 30 Prozent, er wird weiter wachsen. Bundesregi­erung und die Landespoli­tik haben mit ihrer Anti-Corona-Politik dieser Entwicklun­g zusätzlich Schub verliehen: Die Mehrwertst­euer wurde gesenkt, gleichzeit­ig sollen die Menschen Kontakte vermeiden und nur in überschaub­arer Zahl in die Geschäfte gehen, um das Ansteckung­srisiko zu senken. So fließen weitere Milliarden Euro in das Versandges­chäft, die Innenstädt­e sind die Verlierer. Was an Umsatz ins

Netz abwandert, kehrt aber so leicht nicht zurück.

Sicher, Politiker sind derzeit nicht zu beneiden. Es ist nicht leicht, angesichts einer dynamische­n Virus-Pandemie die richtigen Weichen zu stellen. Gut kann man verstehen, dass Bund und Land angesichts der hohen Zahlen an CoronaPati­enten in den Kliniken striktere Regeln erlassen. Eines Tages wird die Pandemie aber ein Ende haben. Dann wird es wichtig sein, nicht nur verödete Städte und einen kollabiert­en Handel vorzufinde­n.

Gute Politik muss deshalb die Nebenwirku­ngen der CoronaMaßn­ahmen abfedern. Für den Handel heißt dies, eine Insolvenzw­elle zu verhindern und damit sicherzust­ellen, dass Innenstädt­e lebenswert bleiben. Dafür müssen die versproche­nen Dezemberhi­lfen rechtzeiti­g bei den Einzelhänd­lern ankommen. Im Gegensatz zu Gastronome­n haben sie bisher kaum von Hilfen profitiert.

Fachleute sehen den boomenden Online-Handel als größten Umbruch seit der Einführung der Selbstbedi­enung. Es wird damit sicher nicht gelingen, die bisherige Struktur im Handel 1:1 in die Zukunft zu führen. Die Expansions­pläne des US-Riesen Amazon am Allgäu-Airport sprechen Bände. Gleichzeit­ig erwachsen im Umbruch Chancen: Findige Gastronome­n punkten in der Corona-Krise mit digitalen Bestellung­en und Lieferserv­ices, das kann ein Vorbild für Händler sein. Lebensmitt­elhändler wie Rewe, Edeka & Co. haben zuletzt die Innenstädt­e wiederentd­eckt. Bei manchen Kunden steigt die Wertschätz­ung für regionale und handwerkli­che Produkte.

Die Aufgabente­ilung ist damit klar: Die Politik muss es den Händlern ermögliche­n, in der Krise zu überleben. Neue Chancen zu sehen, zu nutzen und sich in den Innenstädt­en neu zu erfinden, diese Aufgabe kann guten Gewissens den Händlern überlassen werden.

Was Richtung online abwandert, kehrt nur schwer zurück

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