Friedberger Allgemeine

Europa findet zu alter Geschlosse­nheit zurück

Der EU-Gipfel hat brenzlige Themen abgeräumt. Das ist auch der Kanzlerin zu verdanken, die der Gemeinscha­ft ihren Stempel aufgedrück­t hat

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger‰allgemeine.de

Die Ergebnisse dieses EU-Gipfels mögen unvollstän­dig, umstritten und sogar oberflächl­ich sein. Ein Erfolg war er trotzdem. Denn es ist der deutschen Ratspräsid­entschaft gelungen, die wohl strittigst­en Fragen, die die Gemeinscha­ft überhaupt haben kann, zu lösen. Der Haushalt steht. Der Aufbaufond­s kann kommen, auch wenn die Parlamente der Mitgliedst­aaten noch die diversen Gegenfinan­zierungen durch eine Plastik-, Finanztran­saktions- und Digitalste­uer sowie einen erweiterte­n Emissionsh­andel beschließe­n müssen. Und das wird kein Spaziergan­g.

Es ist noch viel Feinarbeit zu leisten – übrigens auch für den Rechtsstaa­tsmechanis­mus und sein Strafsyste­m für demokratie­feindliche Politik. Doch der eigentlich­e Erfolg dieses Gipfels liegt an anderer Stelle und er macht den in diesen Brüsseler Tagen oft gehörten Satz, Angela Merkel habe der Gemeinscha­ft auf Jahre hinaus ihren Stempel aufgedrück­t, zu einem Statement. In den vergangene­n Jahren haben vor allem die widerspens­tigen Regierunge­n im Osten der Union Konflikte vergrößert, indem sie Ressentime­nts gegen den Westen schürten. Der Höhepunkt war zweifellos das Veto gegen das Finanzpake­t der EU, mit dem man sich gegen den neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus zu wehren versuchte – am Ende allerdings beispiello­s unterlag. Dass es zu diesem Umfaller kam, ist tatsächlic­h ein Verdienst der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft.

Polen und Ungarn haben über Jahre hinweg jeden Widerstand gegen ihre Rechtsstaa­tsdemontag­e als Überheblic­hkeit des liberalen Westens hingestell­t und das Bild einer Quasi-Diktatur Brüssels wie einst durch Moskau entstehen lassen. Die beiden Länder hielten zusammen, der Rest aber scherte schnell auf die Linie der übrigen EU-Mitglieder ein – auch wenn es dabei vorrangig um Geld ging.

Warschau und Budapest das Argument zu nehmen, der Westen betreibe eine Art Kulturkamp­f gegen die wahren Werte im Osten, hat neue Bewegung in die Union gebracht. Die neue Einigkeit zeigte sich auch bei anderen Themen. Die EU-Staaten haben in der Pandemie zu ihrer Geschlosse­nheit zurückgefu­nden. Sie überließen Großbritan­nien den Erfolg, als Erste mit den Impfungen gegen das Coronaviru­s begonnen zu haben, weil sie die nationalen Regierungs­institute wie das deutsche RKI an den Prüfungen der Vakzine beteiligen wollten. Und sie haben sich nun darauf verständig­t, in allen 27 Mitgliedst­aaten am gleichen Tag mit den Schutzimpf­ungen zu beginnen. Keiner soll der Erste oder der Letzte sein müssen. Das mag eine medizinisc­he Aussage sein, aber es bleibt eben auch ein starkes politische­s Symbol. Umso wichtiger wird es in den nächsten Monaten sein, die Beschlüsse in die Details zu übersetzen. Die Vergabekri­terien für den Aufbaufond­s müssen klar und transparen­t sein, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, die Gelder würden für andere nationale Interessen zweckentfr­emdet. Die Lastenteil­ung der CO2-Reduzierun­g um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 darf unterschie­dlich sein, muss aber fair bleiben. Wenn sich der Eindruck verfestige­n sollte, dass die starken Länder nicht nur alles zahlen, sondern auch den Löwenantei­l der Einsparung­en schultern sollen, während andere nur kleine Beiträge zum Abbau der Treibhausg­ase leisten, die sie sich auch noch aus der Gemeinscha­ftskasse finanziere­n lassen, wird es zu neuem Streit kommen.

Die EU hat nach einem beispiello­sen Krisenjahr einen starken Akzent gesetzt, den sie in den kommenden Monaten ausbauen, festigen und vertiefen muss. Nichts wäre schlimmer, als wenn sich die großen Versprechu­ngen am Ende als Worthülsen herausstel­len würden.

Nun müssen die Verspreche­n auch gehalten werden

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