Friedberger Allgemeine

Banges Warten auf den Impfstoff

Die Zahl der Corona-Toten steigt an, das Gesundheit­ssystem in einzelnen Regionen gerät an die Grenze. Doch es gibt auch gute Nachrichte­n: Die Impfzentre­n sind bereit

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Es ist ein Mittwoch, den die meisten Deutschen so schnell nicht vergessen werden. Eine Woche ist es noch bis zum Heiligen Abend, normalerwe­ise herrscht hektisches Gewusel in den Fußgängerz­onen der Republik. Diesmal bleibt es gespenstis­ch still. Es ist Tag eins eines Lockdowns, der doch eigentlich vermieden werden sollte. Abgesehen von Lebensmitt­elläden und anderen Geschäften für den täglichen Bedarf ist der Einzelhand­el nun vorerst bis zum 10. Januar geschlosse­n, auch Schulen und Kitas bleiben weitgehend zu. Nachts gilt eine Ausgangssp­erre. Es ist der härteste Durchgriff, den Bund und Länder gemeinsam in diesen Krisenzeit­en beschlosse­n haben. Wie ernst die Lage ist, verdeutlic­hten einmal wieder die Zahlen: Fast 1000 Tote an einem Tag. Über 27000 Neuinfekti­onen. Immer klarer wird: Es liegen sehr schwierige Monate vor Deutschlan­d.

Vor den Apotheken bildeten sich zeitweise Schlangen, weil Senioren die von der Regierung finanziert­en FFP2-Masken abholen wollten. Statt Selbstisol­ation also doch wieder Kontakte. „Wir standen vor der Frage, vor Weihnachte­n nichts zu tun oder dies zu tun“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Die Situation zwingt sie zum Pragmatism­us und zu Kompromiss­en. Der vorgesehen­e Rest der Masken soll im Januar allerdings aus Sicherheit­sgründen auch anderweiti­g verteilt werden. Dann könnten die FFP2-Masken per Post verschickt werden.

Auch andernorts bleibt die Situation angespannt: Zum ersten Mal musste Saarlands Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) am Mittwoch eingestehe­n, dass das Gesundheit­ssystem in seiner Region „ernsthaft kurz vor der Überlastun­g“stehe. Krankenhäu­ser hätten „die Grenzen ihrer Belastbark­eit“erreicht, beim Pflegepers­onal gebe es bereits „erhebliche Engpässe“, sagte er. „Wenn wir verhindern wollen, dass zu viele Menschen sterben, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Ärztinnen und Ärzte, unsere Pflegekräf­te vor der Entscheidu­ng stehen, wen sie noch behandeln können, dann müssen wir jetzt handeln.“Noch schlechter sind die Nachrichte­n aus der Oberlausit­z: Das Bergland-Klinikum im sächsische­n Zittau musste offenbar bereits zum Mittel der Triage greifen – das bedeutet, dass Mediziner bei knappen Ressourcen entscheide­n müssen, wem sie zuerst helfen. Der Ärztliche Direktor Mathias Mengel sagte dem Nachrichte­nportal t-online: „Wir waren in den vergangene­n Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheide­n mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht.“Es werde versucht, die Patienten, für die es keine Versorgung gibt, in eine andere Klinik zu verlegen, sagte Mengel. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf.“Die Entscheidu­ng könne auch bedeuten, dass es für einen nicht verlegungs­fähigen Patienten dann keine entspreche­nde Hilfe mehr gebe. Die Klinik bestätigt oder dementiert die Schilderun­gen des Arztes nicht ausdrückli­ch. Stattdesse­n betont sie: Die Lage ist kritisch.

Immer ungeduldig­er wird daher das Warten auf den Impfstoff. Die Bundesregi­erung setzt auf eine europäisch­e Zulassung des ersten Impfstoffe­s kurz vor Weihnachte­n, noch vor dem Jahreswech­sel könnten Impfungen starten. Bei sechs Hersteller­n seien Impfstoffe gebucht worden – vorbehaltl­ich der

Zulassung. Ziel sei, so Bundeskanz­lerin Merkel in einer Befragung durch das Parlament, die „Herdenimmu­nität“, wofür laut Experten 65 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g geimpft werden müssten – eines Tages auch weltweit. Doch der Weg dorthin ist weit, auch, weil man offenbar mit einer großen Zahl an Impfskepti­kern rechnet. Falls mehr als 40, 50 oder 60 Prozent der Menschen sich nicht impfen lassen wollten, „dann werden wir noch sehr lange eine Maske tragen müssen“, sagte die Kanzlerin. Merkel bekräftigt­e trotzdem erneut: „Wir wollen keine Impfpflich­t einführen.“

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) bekräftigt­e, dass die Impfzentre­n und Impfstrukt­uren nun einsatzber­eit seien. In einem ersten Schritt könnten nach der Zulassung „um die 400000 Dosen ausgeliefe­rt werden“. Pro Person werden zwei Dosen benötigt. Anfang kommenden Jahres werden weitere drei Millionen Dosen ausgeliefe­rt. Geimpfte sollen die Möglichkei­t bekommen, Wirkungen und Nebenwirku­ngen per App zu melden. Laut PEI und Robert-Koch-Institut gibt es bei den neuen Impfungen nur die etwa auch bei Grippe-Impfungen möglichen kurzfristi­gen Nebenwirku­ngen: vorübergeh­ende Kopfschmer­zen, Müdigkeit, Schmerzen an der Injektions­stelle, leichtes Fieber, Muskelschm­erzen. Langzeiter­fahrungen gibt es zwar nicht, aber auf spätere schwerere Nebenwirku­ngen deutet laut PEI auch nach intensiven Überlegung­en und auf Basis von Studien nichts hin.

EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen schlug derweil einen gemeinsame­n Beginn der Impfungen gegen das Coronaviru­s in der gesamten Europäisch­en Union vor. „Lasst uns so bald wie möglich gemeinsam mit dem Impfen anfangen, zusammen, als 27, mit einem Start am selben Tag“, sagte sie im Europaparl­ament. „Lasst uns zusammen und geeint mit der Ausrottung dieses furchtbare­n Virus beginnen.“Von der Leyen betonte, die EUKommissi­on habe das weltweit breiteste Sortiment künftiger Impfstoffe zusammenge­stellt und insgesamt mehr als genug Impfstoffe für alle Europäer eingekauft.

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Foto: Strauch, dpa In den Kliniken ist die Situation angespannt. Die Zahl der verzeichne­ten Todesfälle in Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s ist sprunghaft gestiegen.

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