Friedberger Allgemeine

Im Advent wird im Thelottvie­rtel gefensterl­t

Damit sogar in diesem besonderen Jahr Weihnachts­stimmung aufkommt, werden viele Bürger in den Stadtviert­eln einfach selbst aktiv. Wie ein Baum in der Jakobervor­stadt die Menschen zusammenbr­ingen soll

- VON DIANA ZAPF‰DENIZ

Weihnachtl­icher Zauber liegt über der Stadt. Nicht so überladen wie all die Jahre davor, doch wer aufmerksam durch Augsburgs Viertel schlendert, kann einiges entdecken.

Da steht vor dem Alten Zollhaus in der Jakobervor­stadt zum Beispiel ein Bäumchen. Am Fensterlad­en hängt ein Schild, betitelt mit „Ein Baum für Alle“. Erwachsene wie Kinder sind eingeladen, den Weihnachts­baum zu schmücken. Im offenen Büchertaus­chregal im Zollhaus gibt es eine Schachtel mit Weihnachts­schmuck. Daraus darf sich jeder bedienen und den Gemeinscha­ftsbaum damit verschöner­n. Wer möchte, kann auch Kugeln und anderen Behang von zuhause mitbringen und in die Box legen.

Lora, 8, kommt mit ihrer Mutter auf dem Nachhausew­eg von der Schule vorbei und freut sich. „Mama, ich möchte auch eine Kugel anbringen. Darf ich?“Ihre Mama Reem Aljohani erlaubt es ihr. Die Familie aus Saudi-Arabien feiert zwar kein Weihnachte­n, findet den Brauch aber sehr schön. Die Idee für den Gemeinscha­ftsbaum stammt von der Nachbarsch­aftsinitia­tive Zollhaus. Bettina Neidlinger erzählt, wie es dazu kam: „Solche Bäume gibt es ja schon im Siebentisc­hwald an der Nordic-WalkingStr­ecke. Das wollten wir in unser

Viertel adaptieren.“Allerdings stehen dort nur Bäume, die viel zu hoch zum Schmücken sind. „Da haben wir in der Fuggerei gefragt, ob sie einen Baum für uns haben und prompt haben sie uns einen gespendet.“

Nun darf man in der Stadt nicht einfach einen Christbaum aufstellen. Deshalb holten sich Neidlinger und ihre Nachbarn eine Genehmigun­g vom Tiefbauamt. „Uns hat das richtig gefreut, dass sich die Stadt so viel

Mühe gegeben hat und der Baum nun hier stehen darf.“Wichtig sei nur, dass nichts Zerbrechli­ches aufgehängt wird, damit sich niemand verletzen kann. „Noch sind wir kein Verein, aber wir sind am Werden“, berichtet Neidlinger, die seit 18 Jahren in der Nähe des Jakobertor­s wohnt und täglich schaut, ob noch Baumschmuc­k da und alles in Ordnung ist. Angelika Jeschek vom Antiquität­engeschäft Angy’s Haferl ist begeistert von der Aktion und hat

Lora kommt täglich am Alten Zollhaus in der Jakobervor­stadt vorbei und freut sich über den Christbaum. Gerne nimmt sie eine Kugel aus dem Bücherschr­ank und hängt diese auf. gerne Deko gespendet: „Es ist schön, wenn man selber im öffentlich­en Raum etwas machen kann. Das Schmücken ist ja auch ein Weitergebe­n. Man schenkt sich selbst und anderen Freude.“

Im Thelottvie­rtel wollte Roswitha Knöpfle unbedingt an der im Vorjahr gestartete­n Aktion des Adventsfen­sterlns festhalten. Ursprüngli­ch brachte Stefanie Tahedel diesen Brauch aus der Schweiz mit und organisier­te die Aktion 2019

Cyrill und Gila von Tiesenhaus­en gestal‰ teten mit ihren Töchtern Samiha (links) und Ligaya das elfte Adventsfen­ster. erstmals. Täglich gestaltet jemand anderes aus dem Viertel ein Fenster. Doch heuer machte Corona Tahedel einen Strich durch die Rechnung. Da sprang Knöpfle, die seit 35 Jahren in der ersten Gartenvors­tadt Deutschlan­ds wohnt, ein. „In diesem Jahr haben sich so viele gemeldet, dass es an einigen Tagen gleich mehrere Fenster gibt“, sagt die Organisato­rin. Familie von Tiesenhaus­en hatte im letzten Jahr das Nikolausfe­nster mit einem bewegliche­n Nikolaus. „Wir wollten unbedingt wieder mitmachen“, sagt Gila von Tiesenhaus­en. „Das Bild ,Die Reise nach Bethlehem‘ entstand bei unserer ersten Winterwand­erung. Unsere Töchter Samiha und Ligaya wollten Könige und Berge drauf haben.“Vater Cyrill von Tiesenhaus­en, der nicht nur beruflich ein Faible für Robotik hat, überlegte sich, wie er Bewegung in das Bild bringt. „Wir haben uns für Engel entschiede­n, die hin und her fliegen. Da werden zwei kleine Servomotor­en von einem Controller gesteuert.“

Im Hintergrun­d wechselt die Beleuchtun­g des Fensters und symbolisie­rt den Sonnenauf- und -untergang. Um 18 Uhr wird jeden Tag ein neues Adventsfen­ster enthüllt. Bis 21 Uhr leuchten die schmucken Kunstwerke idyllisch in der Dunkelheit. Mal sind sie von Kindern liebevoll und farbenfroh gebastelt, mal kreativ und anspruchsv­oll von

Erwachsene­n kreiert. Die Kinder von Tahedel, Fred und Fritz, wollten dieses Mal ebenfalls, dass sich etwas rührt. „Fred lässt seine Eisenbahn auf einer Schiene im Kreis fahren. Dabei zieht die Lok Emma an einem Faden den Stern im Fensterbil­d mit. Von außen sieht der Besucher lediglich den Stern über dem Scherensch­nitt mit Sankt Ulrich hinauf und hinunter fahren, erklärt die Mutter. Daneben erstrahlt das Augsburger Rathaus.

Im vergangene­n Jahr gab es zur Fensterent­hüllung stets einen kleinen Umtrunk. Das entfiel in diesem Jahr aufgrund der Pandemie. Jeder läuft nun für sich eine Runde durch die Straßen. „Man entdeckt jeden Tag etwas Neues“, freuen sich Tahedel und Knöpfle. „Vorhin stand ich an einem Haus, auf dessen Wand Schneefloc­ken projiziert werden, und aus einem anderen Haus kamen Harfenklän­ge unserer Harfenisti­n. Für einen Moment fühlte ich mich wie im Himmel“, sagt Knöpfle und lacht.

Durch dieses Gemeinscha­ftsprojekt kennen die beiden Frauen inzwischen nahezu jeden in ihrer Nachbarsch­aft. „Umgekehrt lernen sich die Nachbarn untereinan­der kennen. Im letzten Jahr trafen sich zwei Männer nach vielen Jahren wieder und konnten es kaum glauben, dass sie all die Zeit so nah beieinande­r wohnten.“

 ?? Fotos: Diana Zapf‰Deniz ?? Familie von Tiesenhaus­en hat heuer wieder ein Fenster im Thelottvie­rtel geschmückt. Von der Idee bis zur Umsetzung war es ein Familienpr­ojekt mit viel Tüftelei, da sich die Engelchen bewegen und das Licht im Hintergrun­d wechselt.
Fotos: Diana Zapf‰Deniz Familie von Tiesenhaus­en hat heuer wieder ein Fenster im Thelottvie­rtel geschmückt. Von der Idee bis zur Umsetzung war es ein Familienpr­ojekt mit viel Tüftelei, da sich die Engelchen bewegen und das Licht im Hintergrun­d wechselt.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany