Die meisten Pfleger gehen leer aus
Ausgerechnet zum Höhepunkt der zweiten Pandemie-Welle löst der Corona-Bonus der Bundesregierung großen Unmut aus. Nicht einmal an jeder vierten deutschen Klinik wird er ausbezahlt. Viele Krankenpfleger fühlen sich ungerecht behandelt
Berlin Auf dem Plakat der Krankenpfleger der Corona-Intensivstation am Universitätsklinikum Gießen und Marburg prangt in großen Buchstaben eine Anklage: „WIR verdienen keine Prämie?!“Derzeit werden über 120 Corona-Patienten an der hessischen Schwerpunktklinik behandelt. In der ersten Welle waren es insgesamt genau 50. Doch weil einige davon so schwer erkrankten, dass sie erst im Sommer aus der Klinik entlassen werden konnten, bekommen die Pfleger bis Jahresende keine Prämie aus dem bundesweiten Pflegebonus-Topf von 100 Millionen Euro.
Denn laut dem von CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingebrachten Gesetz müssen große Kliniken mit mehr als 500 Betten zwischen 1. Januar und 31. Mai mindestens 50 Corona-Patienten stationär behandelt und entlassen haben. Nicht nur in Gießen, sondern in zahlreichen Kliniken herrscht großer Unmut über die Bonusregelung. Auch das Sankt-JosefHospital in Bochum ging leer aus – es konnte nur 49 Corona-Patienten vorweisen. An einer bayerischen Klinik bekamen Pflegekräfte nur an einem von zwei Standorten die Prämie. Und bei den Klinken des Deutschen Caritasverbandes verknüpfte die Arbeitgeberseite bei Tarifverhandlungen die Zahlung eines eigenen Corona-Bonus mit Zugeständnissen bei anderen Punkten.
Die Versorgung schwerkranker Corona-Patienten gilt als Schwerstarbeit für das Pflegepersonal. Weil es die Lunge entlastet, liegen künstlich beatmete Corona-Patienten mindestens 16 Stunden in Bauchlage. Sie umzudrehen, ist schwieriger, als es klingt: Meist sind vier Mitarbeiter eine Stunde lang beschäftigt. „Die Patienten hängen an der HerzLungen-Maschine und müssen in einem lebensbedrohlichen Zustand auf den Bauch gedreht werden“, erklärt die Intensivkrankenpflegerin Dana Lützkendorf, die an der Berliner Charité auf der Covid-Station arbeitet. „Mit so instabilen, lebens
Patienten ist man eigentlich 24 Stunden am Tag voll beschäftigt, aber jetzt kann es vorkommen, dass man sich um drei bis vier gleichzeitig kümmern muss“, berichtet sie aktuell. „Die Arbeitssituation hat sich noch mehr verschlechtert als in der ersten Welle.“
Die Berliner Krankenpflegerin leitet ehrenamtlich den Bundesfachbereich Gesundheit und Pflege der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und kritisiert die Missstände beim Pflegebonus: „Die Corona-Prämie ist völlig ungerecht, weil sie nur Kliniken bekommen, die im Frühjahr eine große Zahl von Covid-Patienten versorgt haben“, sagt Lützkendorf. „Jetzt, nachdem die Situation in ganz Deutschland eskaliert, verstehen sehr viele Pflegekräfte überhaupt nicht, warum sie keine Prämie bekommen sollen.“Auch, dass andere Beschäftigte wie Reinigungskräfte, Krankentransporte oder Röntgenassistentin keine Prämie bekämen, sei ungerecht.
Laut einer Antwort von Bundesbedrohten gesundheitsminister Spahn auf eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg wird der bundesweite Pflegebonus entsprechend der regional sehr unterschiedlich verlaufenen ersten Pandemie-Welle abweichend ausbezahlt. So fließen nach Bayern als größtem Empfänger 27 Millionen Euro, das sind knapp 3000 Euro pro Covid-Patient, nach Bremen fließt zwar nur gut eine Million aus den hundert Millionen, aber dies sind knapp 4000 Euro pro Fall. Die Pfleger in Mecklenburg-Vorpommern gehen trotz insgesamt 140 stationärer Corona-Patienten während der ersten Welle völlig leer aus.
Nur 433 der 1925 deutschen Kliniken – weniger als ein Viertel – kommen überhaupt in den Genuss des allein mit Mitteln der Gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Bonusprogramms. „Der größte Teil der Pflegekräfte geht bei der Corona-Prämie leer aus“, kritisiert der Linken-Abgeordnete Weinberg. „Deswegen erfährt die Mehrheit der Beschäftigten die Prämie nicht als Wertschätzung, sondern als heftigen Schlag in die Magengrube.“
Weinberg nennt die Prämie „beschämenden und klein kariert“. Er fordert Nachbesserungen. „Um den Schaden einzudämmen, muss die Prämie des Bundes umgehend auf 1500 Euro erhöht und auf alle Beschäftigte in Krankenhäusern ausgeweitet werden.“Doch der Pflegenotstand werde sich nur mit mehr Grundgehalt und Personal zurückdrängen lassen. „Andernfalls werden spätestens nach der Pandemie noch mehr Pflegekräfte dem Beruf den Rücken kehren und das wäre fatal.“Auch Verdi-Gewerkschafterin und Intensivpflegerin Lützkendorf warnt vor den negativen Langzeitfolgen der Pandemie: „Man darf nicht vergessen, die Arbeit mit Corona-Patienten ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch sehr anstrengend“, sagt sie. „Wir haben es mit schwerst kranken Menschen und deutlich mehr Sterbefällen als im Normalfall zu tun“, sagt Lützkendorf. „Das muss alles verarbeitet werden. Meine Sorge ist, dass die Kollegen nach der Pandemie zusammenbrechen und nicht mehr können, weil sie traumatisiert sind.“
Nicht nur die Corona-Fälle lasten auf dem Pflegepersonal. Denn als sich für die Bevölkerung im Sommer die Infektionslage entspannte, herrschte in den Kliniken weiter Hochbetrieb, weil die in der ersten Welle verschobenen Operationen nachgeholt werden mussten. „Die Kollegen sind seit März fast ununterbrochen in einer absoluten Stress-Situation“, sagt Lützkendorf. „Seit Oktober ist die Situation durch Corona wieder extrem angespannt, weil man nicht wieder so viele Eingriffe absagen will.“
Die Gewerkschafterin fordert eine grundsätzliche Aufwertung der Krankenpflege. „Der Beruf würde attraktiver werden, wenn er besser bezahlt wird“, sagt Lützkendorf. Damit würde man nicht nur mehr Menschen überzeugen können, den Beruf zu ergreifen, sondern vor allem auch verhindern, dass ihn viele Pflegekräfte aufgeben. „Die Krankenpflege in Deutschland war schon vor Corona ein Krisenfall.“