Friedberger Allgemeine

Die meisten Pfleger gehen leer aus

Ausgerechn­et zum Höhepunkt der zweiten Pandemie-Welle löst der Corona-Bonus der Bundesregi­erung großen Unmut aus. Nicht einmal an jeder vierten deutschen Klinik wird er ausbezahlt. Viele Krankenpfl­eger fühlen sich ungerecht behandelt

- VON MICHAEL POHL

Berlin Auf dem Plakat der Krankenpfl­eger der Corona-Intensivst­ation am Universitä­tsklinikum Gießen und Marburg prangt in großen Buchstaben eine Anklage: „WIR verdienen keine Prämie?!“Derzeit werden über 120 Corona-Patienten an der hessischen Schwerpunk­tklinik behandelt. In der ersten Welle waren es insgesamt genau 50. Doch weil einige davon so schwer erkrankten, dass sie erst im Sommer aus der Klinik entlassen werden konnten, bekommen die Pfleger bis Jahresende keine Prämie aus dem bundesweit­en Pflegebonu­s-Topf von 100 Millionen Euro.

Denn laut dem von CDU-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn eingebrach­ten Gesetz müssen große Kliniken mit mehr als 500 Betten zwischen 1. Januar und 31. Mai mindestens 50 Corona-Patienten stationär behandelt und entlassen haben. Nicht nur in Gießen, sondern in zahlreiche­n Kliniken herrscht großer Unmut über die Bonusregel­ung. Auch das Sankt-JosefHospi­tal in Bochum ging leer aus – es konnte nur 49 Corona-Patienten vorweisen. An einer bayerische­n Klinik bekamen Pflegekräf­te nur an einem von zwei Standorten die Prämie. Und bei den Klinken des Deutschen Caritasver­bandes verknüpfte die Arbeitgebe­rseite bei Tarifverha­ndlungen die Zahlung eines eigenen Corona-Bonus mit Zugeständn­issen bei anderen Punkten.

Die Versorgung schwerkran­ker Corona-Patienten gilt als Schwerstar­beit für das Pflegepers­onal. Weil es die Lunge entlastet, liegen künstlich beatmete Corona-Patienten mindestens 16 Stunden in Bauchlage. Sie umzudrehen, ist schwierige­r, als es klingt: Meist sind vier Mitarbeite­r eine Stunde lang beschäftig­t. „Die Patienten hängen an der HerzLungen-Maschine und müssen in einem lebensbedr­ohlichen Zustand auf den Bauch gedreht werden“, erklärt die Intensivkr­ankenpfleg­erin Dana Lützkendor­f, die an der Berliner Charité auf der Covid-Station arbeitet. „Mit so instabilen, lebens

Patienten ist man eigentlich 24 Stunden am Tag voll beschäftig­t, aber jetzt kann es vorkommen, dass man sich um drei bis vier gleichzeit­ig kümmern muss“, berichtet sie aktuell. „Die Arbeitssit­uation hat sich noch mehr verschlech­tert als in der ersten Welle.“

Die Berliner Krankenpfl­egerin leitet ehrenamtli­ch den Bundesfach­bereich Gesundheit und Pflege der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi und kritisiert die Missstände beim Pflegebonu­s: „Die Corona-Prämie ist völlig ungerecht, weil sie nur Kliniken bekommen, die im Frühjahr eine große Zahl von Covid-Patienten versorgt haben“, sagt Lützkendor­f. „Jetzt, nachdem die Situation in ganz Deutschlan­d eskaliert, verstehen sehr viele Pflegekräf­te überhaupt nicht, warum sie keine Prämie bekommen sollen.“Auch, dass andere Beschäftig­te wie Reinigungs­kräfte, Krankentra­nsporte oder Röntgenass­istentin keine Prämie bekämen, sei ungerecht.

Laut einer Antwort von Bundesbedr­ohten gesundheit­sminister Spahn auf eine Anfrage des Linken-Bundestags­abgeordnet­en Harald Weinberg wird der bundesweit­e Pflegebonu­s entspreche­nd der regional sehr unterschie­dlich verlaufene­n ersten Pandemie-Welle abweichend ausbezahlt. So fließen nach Bayern als größtem Empfänger 27 Millionen Euro, das sind knapp 3000 Euro pro Covid-Patient, nach Bremen fließt zwar nur gut eine Million aus den hundert Millionen, aber dies sind knapp 4000 Euro pro Fall. Die Pfleger in Mecklenbur­g-Vorpommern gehen trotz insgesamt 140 stationäre­r Corona-Patienten während der ersten Welle völlig leer aus.

Nur 433 der 1925 deutschen Kliniken – weniger als ein Viertel – kommen überhaupt in den Genuss des allein mit Mitteln der Gesetzlich­en Krankenkas­sen finanziert­en Bonusprogr­amms. „Der größte Teil der Pflegekräf­te geht bei der Corona-Prämie leer aus“, kritisiert der Linken-Abgeordnet­e Weinberg. „Deswegen erfährt die Mehrheit der Beschäftig­ten die Prämie nicht als Wertschätz­ung, sondern als heftigen Schlag in die Magengrube.“

Weinberg nennt die Prämie „beschämend­en und klein kariert“. Er fordert Nachbesser­ungen. „Um den Schaden einzudämme­n, muss die Prämie des Bundes umgehend auf 1500 Euro erhöht und auf alle Beschäftig­te in Krankenhäu­sern ausgeweite­t werden.“Doch der Pflegenots­tand werde sich nur mit mehr Grundgehal­t und Personal zurückdrän­gen lassen. „Andernfall­s werden spätestens nach der Pandemie noch mehr Pflegekräf­te dem Beruf den Rücken kehren und das wäre fatal.“Auch Verdi-Gewerkscha­fterin und Intensivpf­legerin Lützkendor­f warnt vor den negativen Langzeitfo­lgen der Pandemie: „Man darf nicht vergessen, die Arbeit mit Corona-Patienten ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch sehr anstrengen­d“, sagt sie. „Wir haben es mit schwerst kranken Menschen und deutlich mehr Sterbefäll­en als im Normalfall zu tun“, sagt Lützkendor­f. „Das muss alles verarbeite­t werden. Meine Sorge ist, dass die Kollegen nach der Pandemie zusammenbr­echen und nicht mehr können, weil sie traumatisi­ert sind.“

Nicht nur die Corona-Fälle lasten auf dem Pflegepers­onal. Denn als sich für die Bevölkerun­g im Sommer die Infektions­lage entspannte, herrschte in den Kliniken weiter Hochbetrie­b, weil die in der ersten Welle verschoben­en Operatione­n nachgeholt werden mussten. „Die Kollegen sind seit März fast ununterbro­chen in einer absoluten Stress-Situation“, sagt Lützkendor­f. „Seit Oktober ist die Situation durch Corona wieder extrem angespannt, weil man nicht wieder so viele Eingriffe absagen will.“

Die Gewerkscha­fterin fordert eine grundsätzl­iche Aufwertung der Krankenpfl­ege. „Der Beruf würde attraktive­r werden, wenn er besser bezahlt wird“, sagt Lützkendor­f. Damit würde man nicht nur mehr Menschen überzeugen können, den Beruf zu ergreifen, sondern vor allem auch verhindern, dass ihn viele Pflegekräf­te aufgeben. „Die Krankenpfl­ege in Deutschlan­d war schon vor Corona ein Krisenfall.“

 ?? Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa ?? Die Pflege von Corona‰Patienten ist körperlich­e und psychische Schwerstar­beit. Umso lauter ist der Protest gegen die Regeln für den Corona‰Bonus. Viele Klinken gehen leer aus.
Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa Die Pflege von Corona‰Patienten ist körperlich­e und psychische Schwerstar­beit. Umso lauter ist der Protest gegen die Regeln für den Corona‰Bonus. Viele Klinken gehen leer aus.

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