Friedberger Allgemeine

Alles hängt am Fisch

Obwohl auch die nächste Deadline verstriche­n ist, gehen die Verhandlun­gen über ein Handelsabk­ommen zwischen Großbritan­nien und der EU weiter. Aber welche Möglichkei­ten gibt es überhaupt noch?

- VON KATRIN PRIBYL

London „Macht’s gut, und danke für den Fisch“, lautet der Titel eines Bands der Romanserie „Per Anhalter durch die Galaxis“und mittlerwei­le ist der Satz auch in Kreisen der Brexit-Hardliner im Königreich ein gern zitierter Abschiedsg­ruß, würde er sich ihrer Meinung nach doch perfekt eignen, um die Gespräche mit der EU einzustell­en. Sie fordern einen harten Bruch ohne Deal. Aber auch am Montag verhandelt­en Brüssel und London weiter um ein künftiges Handelsabk­ommen.

Der verblieben­e Knackpunkt ist ausgerechn­et die wirtschaft­lich unbedeuten­de, aber emotional aufgeladen­e Fischerei. Die britische Regierung fordert, dass die Staatengem­einschaft beim Streit um Fangquoten in britischen Gewässern nachgibt, nachdem London beim sogenannte­n „Level Playing Field“Zugeständn­isse gemacht hat, der Gewährleis­tung eines fairen Wettbewerb­s. Insidern zufolge präsentier­t sich aber vor allem Paris stur und warnt vor einem Ausverkauf der europäisch­en Interessen. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron fürchtet Proteste der eigenen Fischer, die sich sorgen, dass sie bald nur noch eingeschrä­nkt in britischen

Gewässern fischen dürfen. Großbritan­niens Premier Boris Johnson braucht jedoch einen Erfolg beim Fisch, um seinen rebellisch­en Abgeordnet­en in der konservati­ven Partei ein Abkommen verkaufen zu können. Können sich die beiden Seiten doch noch auf einen Kompromiss einigen?

Am Montag signalisie­rte das Europäisch­e Parlament seine Bereitscha­ft, auch weiterhin alles zu tun, damit es am Jahreswech­sel nicht zu einem No Deal kommt. Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s, David McAllister (CDU), sagte nach einer Sitzung der EU-UK-Koordinier­ungsgruppe gegenüber unserer Redaktion, man werde „jeden Schritt tun, um Störungen für unsere Bürger und Unternehme­n zu minimieren“. Das Abgeordnet­enhaus hatte vorige Woche betont, es könne eine Vereinbaru­ng über ein Handelsabk­ommen zwischen der EU und Großbritan­nien nur dann noch ratifizier­en, wenn es bis zum vergangene­n Sonntag zustande kommt. Grund: Die 705 Volksvertr­eter bestehen auf genügend Zeit, um das Dokument – die Angaben zum Umfang schwanken zwischen 700 und 1800 Seiten – prüfen zu können. Die Frist ist verstriche­n.

Sollte den Partnern in den nächsten Tagen doch noch ein Durchbruch gelingen, bliebe nun wohl nur die Möglichkei­t, den Vertrag zunächst ohne Ratifizier­ung in Kraft zu setzen und diese im Januar nachzuhole­n. Allerdings schießt sich das EU-Parlament damit selbst ins Aus: Diese Variante müsste vom Ministerra­t der Mitgliedst­aaten beschlosse­n werden.

Ein anderer Weg wäre eine technische Auszeit über den Jahreswech­sel hinweg, wie sie in diplomatis­chen Verhandlun­gen immer wieder praktizier­t wurde. Dabei werden „die Uhren angehalten“und die Gespräche nach dem Jahreswech­sel fortgesetz­t. Allerdings gilt diese Variante als eher unwahrsche­inlich.

Trotz Sorgen vor Versorgung­sengpässen wegen der Corona-Pandemie schloss der britische Verkehrsmi­nister Grant Shapps eine Verlängeru­ng der Brexit-Übergangsp­hase aus: „Das würde nur Öl ins Feuer gießen.“Sollte es zu einem

No-Deal-Szenario kommen, würden in Großbritan­nien ab 2021 die Regeln der Welthandel­sorganisat­ion greifen – inklusive Zölle.

Viele Unternehme­n und Vertreter verschiede­ner Branchen bezeichnen seit Wochen diese Option als „Katastroph­e“, darunter auch Paul Jackson. Der 57-Jährige ist Chef des Transport-Unternehme­ns Chiltern Distributi­on in Peterborou­gh. Seine Lastwagen bringen neben Medikament­en vor allem frisches Obst und Gemüse auf die Insel. Zitronen und Zwiebeln, Tomaten und Tulpen, Blumenkohl und Bananen – bis zu 15 seiner 52 Trucks sind in der Regel auf dem Kontinent unterwegs und holen die Produkte ab. „Ich warte darauf, dass mir endlich jemand sagt, was ich tun soll.“Frustratio­n, Ärger und Hilflosigk­eit schwingen in seiner Stimme mit. Auf der offizielle­n Internetse­ite der Regierung prangt die Aufforderu­ng an alle Unternehme­n: „Bereitet euch vor!“Jackson schüttelt den Kopf. „Was soll das heißen?“Ohne Informatio­nen und ohne funktionie­rendes IT-System für die Abwicklung an der Grenze, dafür mit der Aussicht auf stundenlan­ge Verzögerun­gen durch Staus und Bürokratie blickt der Brite pessimisti­sch in die Zukunft.

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Foto: dpa Die Fischerei ist der letzte Knackpunkt in den Verhandlun­gen zwischen Großbritan‰ nien und der EU – vor allem wegen seiner emotionale­n Bedeutung.

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