„Mir wurde ein zweites Leben geschenkt“
Jeden Tag gibt es im Freistaat tausende neue Corona-Infektionen. Und jeden Tag sterben Menschen. Wie drei Infizierte aus der Region die Krankheit erlebt haben, wie es ihnen heute geht und wie sie auf Weihnachten blicken
Augsburg Wenn man so will, dann ist es ein Weihnachtswunder, dass Roland Schmieder in diesem Jahr mit seiner Familie unter dem Christbaum sitzen wird. Denn dass er diesen Tag erleben würde, war lange nicht klar. Schmieder hatte sich mit dem Coronavirus infiziert. Und es gab Tage, an denen er dem Tod näher war als dem Leben.
Etwa 290000 Menschen haben sich in Bayern bislang mit dem Coronavirus infiziert. Über 5600 sind gestorben – im Schnitt passiert das alle 20 Minuten. Zu den guten Nachrichten dieses an positiven Meldungen so armen Jahres indes gehört auch: Über 215000 Menschen im Freistaat gelten wieder als genesen. Für viele von ihnen, vor allem für die, die einen schweren Verlauf hatten, wird es wohl ein ganz besonderes Weihnachtsfest werden.
Ein bisschen bricht Roland Schmieder die Stimme weg, als er über Heiligabend spricht. „Mir wurde ein zweites Leben geschenkt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe eine tolle Familie, mit der ich Weihnachten verbringen werde. Ich freue mich auch, dass ich meine 85-jährige Mutter sehen werde. Es hätte alles auch ganz anders laufen können.“
Rückblick. Freitag, der 16. Oktober. Roland Schmieder, der als Bauleiter arbeitet, macht einen CoronaTest. Ein Arbeiter auf der Baustelle war krank geworden und Schmieder wurde geraten, sich auch testen zu lassen. „Am Sonntag bekam ich
das positive Testergebnis“, sagt der 63-jährige Augsburger. Zunächst geht es ihm gut, am Dienstag dann spürt er erste Symptome, er bekommt Gliederschmerzen und Fieber. Ein paar Tage später ist das Fieber deutlich gestiegen, Schmieder hustet jetzt auch. Seine Frau besteht darauf, dass er sofort ins Krankenhaus gebracht wird – mit ihrer Vehemenz hat sie ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. „Acht Stunden später wäre ich vielleicht tot gewesen“, sagt Schmieder. Die Sauerstoffsättigung im Blut ist zu diesem Zeitpunkt komplett im Keller.
Im Augsburger Uniklinikum kommt Schmieder sofort auf die Intensivstation. „Ich bin allen Menschen, die sich auf Station 1.1 um mich gekümmert haben, unendlich dankbar, etwa dem Stationsarzt Dr. Braun“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Pfleger und Ärzte sind die wahren Engel unserer Zeit“, fügt er hinzu. Drei Wochen liegt Schmieder auf der Intensivstation, sechs Tage davon im Koma. Seine Frau wird von den Ärzten jeden Tag über den Zustand ihres Mannes informiert – ob er überleben würde, war lange nicht klar. Rückblickend sagt Schmieder: „Es war die Hölle, ich war zwischen Leben und Tod.“
Nach drei Wochen versucht er, das erste Mal aufzustehen. Es klappt nicht, die Muskeln sind zu schwach. Insgesamt hat Schmieder 20 Kilo verloren. „Ich war eigentlich immer recht sportlich, habe Tennis und Golf gespielt“, erzählt er. Allerdings habe er auch ein paar gesundheitliche Probleme wie Diabetes und einen zu hohen Blutdruck. Dass es ihn aber so sehr erwischen würde, dass er um sein Leben würde kämpfen müssen, das hätte er sich nie vorstellen können.
Der Kampf, den Schmieder beschreibt, findet derzeit jeden Tag statt. Zwischen 20000 und 30000 Neuinfektionen werden pro Tag in Deutschland gemeldet – und täglich hunderte Tote. Wade Murphy, der in Aindling im Landkreis Aichach-Friedberg ein Transportunternehmen betreibt, hätte den Kampf gegen das Virus fast verloren. Anfang September bekommt er plötzlich starke Schweißausbrüche. Er schleppt sich nach Hause, glaubt, sich eine heftige Erkältung eingefangen zu haben. Über das Wochenende steigt das Fieber aber immer weiter, teils über 40 Grad. Murphy geht zum Arzt, der schickt ihn ins Krankenhaus. Der Corona-Test fällt positiv aus – und Murphy, der als US-Soldat im Vietnamkrieg war, weiß jetzt, mit welchem Feind in seinem Körper er es zu tun hat.
Sein Zustand verschlechtert sich schnell. Er muss auf die Intensivstaalzentrum. tion, wird beatmet. „Ich war insgesamt fünf Wochen im Krankenhaus“, sagt Murphy. Davon drei Wochen auf der Intensivstation. Zwei Wochen im Koma.
Fit ist er heute noch längst nicht. „Als ich aus dem Koma aufgewacht bin, konnte ich nur die Augen bewegen, ein paar Tage später die Zehen, nach einer Woche meine Beine. Meine Muskeln sind noch immer schwach, ich habe zehn Kilo abgenommen“, erzählt der 74-Jährige. Außerdem hat er Probleme mit seinem Geruchssinn. „Vieles schmeckt einfach holzig“, sagt er.
Nach schrecklichen Wochen, die Murphy hinter sich hat, freut er sich nun umso mehr auf Weihnachten. Mit seiner Frau, seiner Tochter und seinen Enkelkindern. „Das wird ein wunderbares Fest. Ich bin so dankbar, dass ich überlebt habe.“Als er im Koma lag, habe er oft mit Gott gesprochen, fährt er fort. „Ich habe ihn gebeten, mich nicht allein zu lassen.“Als Murphy endlich aufwacht, ist er nicht allein. Seine Frau sitzt an seinem Bett.
Eine Infektion verläuft natürlich nicht immer so dramatisch wie bei Wade Murphy oder Roland Schmieder. Viele Menschen haben leichtere Symptome – aber auch sie sind nachhaltig geprägt. So wie Maria Welser. Die 63-Jährige arbeitet in Kirchheim im Unterallgäu im Sozidann den
„Ich habe mich vermutlich bei einem Bewohner angesteckt“, erzählt sie. Ende Oktober wird Welser krank. „Ich bin an einem Samstagmorgen aufgewacht und habe bemerkt, dass ich Fieber habe. Die Vermutung, dass es Covid-19 ist, lag nahe.“In den kommenden zweieinhalb Wochen geht das Fieber kaum runter, Welser hat zudem Bauchschmerzen und Durchfälle. „Nach den ersten Tagen kam der Husten hinzu. Atemnot hatte ich aber nicht.“Trotzdem geht es ihr schlecht, sie ist schlapp, müde, verliert ihren Geruchssinn. „Drei Wochen ging das so“, erzählt Welser im Gespräch mit unserer Redaktion. „Jetzt bin ich zum Glück wieder fit.“Welser freut sich nach den vergangenen turbulenten Wochen auf Weihnachten mit der Familie. Wie das genau aussehen wird, weiß sie aber noch nicht.
Die 63-Jährige ist in diesen Tagen oft nachdenklich. Weil sie den Eindruck hat, dass viele die Erkrankung nicht ernst nehmen. „Ich kenne viele, die sich nicht impfen lassen wollen. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Und das obwohl ich einen leichten Verlauf hatte“, sagt Welser.
Auch Roland Schmieder aus Augsburg kann nicht verstehen, dass es viele Menschen gibt, die das Coronavirus auf die leichte Schulter nehmen. „Im Zimmer neben mir lag ein 30-Jähriger, bei dem man einen Luftröhrenschnitt machen musste“, sagt er. „Man muss sich immer im Klaren sein, dass man an diesem Virus sterben kann.“