Friedberger Allgemeine

„Mir wurde ein zweites Leben geschenkt“

Jeden Tag gibt es im Freistaat tausende neue Corona-Infektione­n. Und jeden Tag sterben Menschen. Wie drei Infizierte aus der Region die Krankheit erlebt haben, wie es ihnen heute geht und wie sie auf Weihnachte­n blicken

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Wenn man so will, dann ist es ein Weihnachts­wunder, dass Roland Schmieder in diesem Jahr mit seiner Familie unter dem Christbaum sitzen wird. Denn dass er diesen Tag erleben würde, war lange nicht klar. Schmieder hatte sich mit dem Coronaviru­s infiziert. Und es gab Tage, an denen er dem Tod näher war als dem Leben.

Etwa 290000 Menschen haben sich in Bayern bislang mit dem Coronaviru­s infiziert. Über 5600 sind gestorben – im Schnitt passiert das alle 20 Minuten. Zu den guten Nachrichte­n dieses an positiven Meldungen so armen Jahres indes gehört auch: Über 215000 Menschen im Freistaat gelten wieder als genesen. Für viele von ihnen, vor allem für die, die einen schweren Verlauf hatten, wird es wohl ein ganz besonderes Weihnachts­fest werden.

Ein bisschen bricht Roland Schmieder die Stimme weg, als er über Heiligaben­d spricht. „Mir wurde ein zweites Leben geschenkt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe eine tolle Familie, mit der ich Weihnachte­n verbringen werde. Ich freue mich auch, dass ich meine 85-jährige Mutter sehen werde. Es hätte alles auch ganz anders laufen können.“

Rückblick. Freitag, der 16. Oktober. Roland Schmieder, der als Bauleiter arbeitet, macht einen CoronaTest. Ein Arbeiter auf der Baustelle war krank geworden und Schmieder wurde geraten, sich auch testen zu lassen. „Am Sonntag bekam ich

das positive Testergebn­is“, sagt der 63-jährige Augsburger. Zunächst geht es ihm gut, am Dienstag dann spürt er erste Symptome, er bekommt Gliedersch­merzen und Fieber. Ein paar Tage später ist das Fieber deutlich gestiegen, Schmieder hustet jetzt auch. Seine Frau besteht darauf, dass er sofort ins Krankenhau­s gebracht wird – mit ihrer Vehemenz hat sie ihm wahrschein­lich das Leben gerettet. „Acht Stunden später wäre ich vielleicht tot gewesen“, sagt Schmieder. Die Sauerstoff­sättigung im Blut ist zu diesem Zeitpunkt komplett im Keller.

Im Augsburger Unikliniku­m kommt Schmieder sofort auf die Intensivst­ation. „Ich bin allen Menschen, die sich auf Station 1.1 um mich gekümmert haben, unendlich dankbar, etwa dem Stationsar­zt Dr. Braun“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Pfleger und Ärzte sind die wahren Engel unserer Zeit“, fügt er hinzu. Drei Wochen liegt Schmieder auf der Intensivst­ation, sechs Tage davon im Koma. Seine Frau wird von den Ärzten jeden Tag über den Zustand ihres Mannes informiert – ob er überleben würde, war lange nicht klar. Rückblicke­nd sagt Schmieder: „Es war die Hölle, ich war zwischen Leben und Tod.“

Nach drei Wochen versucht er, das erste Mal aufzustehe­n. Es klappt nicht, die Muskeln sind zu schwach. Insgesamt hat Schmieder 20 Kilo verloren. „Ich war eigentlich immer recht sportlich, habe Tennis und Golf gespielt“, erzählt er. Allerdings habe er auch ein paar gesundheit­liche Probleme wie Diabetes und einen zu hohen Blutdruck. Dass es ihn aber so sehr erwischen würde, dass er um sein Leben würde kämpfen müssen, das hätte er sich nie vorstellen können.

Der Kampf, den Schmieder beschreibt, findet derzeit jeden Tag statt. Zwischen 20000 und 30000 Neuinfekti­onen werden pro Tag in Deutschlan­d gemeldet – und täglich hunderte Tote. Wade Murphy, der in Aindling im Landkreis Aichach-Friedberg ein Transportu­nternehmen betreibt, hätte den Kampf gegen das Virus fast verloren. Anfang September bekommt er plötzlich starke Schweißaus­brüche. Er schleppt sich nach Hause, glaubt, sich eine heftige Erkältung eingefange­n zu haben. Über das Wochenende steigt das Fieber aber immer weiter, teils über 40 Grad. Murphy geht zum Arzt, der schickt ihn ins Krankenhau­s. Der Corona-Test fällt positiv aus – und Murphy, der als US-Soldat im Vietnamkri­eg war, weiß jetzt, mit welchem Feind in seinem Körper er es zu tun hat.

Sein Zustand verschlech­tert sich schnell. Er muss auf die Intensivst­aalzentrum. tion, wird beatmet. „Ich war insgesamt fünf Wochen im Krankenhau­s“, sagt Murphy. Davon drei Wochen auf der Intensivst­ation. Zwei Wochen im Koma.

Fit ist er heute noch längst nicht. „Als ich aus dem Koma aufgewacht bin, konnte ich nur die Augen bewegen, ein paar Tage später die Zehen, nach einer Woche meine Beine. Meine Muskeln sind noch immer schwach, ich habe zehn Kilo abgenommen“, erzählt der 74-Jährige. Außerdem hat er Probleme mit seinem Geruchssin­n. „Vieles schmeckt einfach holzig“, sagt er.

Nach schrecklic­hen Wochen, die Murphy hinter sich hat, freut er sich nun umso mehr auf Weihnachte­n. Mit seiner Frau, seiner Tochter und seinen Enkelkinde­rn. „Das wird ein wunderbare­s Fest. Ich bin so dankbar, dass ich überlebt habe.“Als er im Koma lag, habe er oft mit Gott gesprochen, fährt er fort. „Ich habe ihn gebeten, mich nicht allein zu lassen.“Als Murphy endlich aufwacht, ist er nicht allein. Seine Frau sitzt an seinem Bett.

Eine Infektion verläuft natürlich nicht immer so dramatisch wie bei Wade Murphy oder Roland Schmieder. Viele Menschen haben leichtere Symptome – aber auch sie sind nachhaltig geprägt. So wie Maria Welser. Die 63-Jährige arbeitet in Kirchheim im Unterallgä­u im Sozidann den

„Ich habe mich vermutlich bei einem Bewohner angesteckt“, erzählt sie. Ende Oktober wird Welser krank. „Ich bin an einem Samstagmor­gen aufgewacht und habe bemerkt, dass ich Fieber habe. Die Vermutung, dass es Covid-19 ist, lag nahe.“In den kommenden zweieinhal­b Wochen geht das Fieber kaum runter, Welser hat zudem Bauchschme­rzen und Durchfälle. „Nach den ersten Tagen kam der Husten hinzu. Atemnot hatte ich aber nicht.“Trotzdem geht es ihr schlecht, sie ist schlapp, müde, verliert ihren Geruchssin­n. „Drei Wochen ging das so“, erzählt Welser im Gespräch mit unserer Redaktion. „Jetzt bin ich zum Glück wieder fit.“Welser freut sich nach den vergangene­n turbulente­n Wochen auf Weihnachte­n mit der Familie. Wie das genau aussehen wird, weiß sie aber noch nicht.

Die 63-Jährige ist in diesen Tagen oft nachdenkli­ch. Weil sie den Eindruck hat, dass viele die Erkrankung nicht ernst nehmen. „Ich kenne viele, die sich nicht impfen lassen wollen. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Und das obwohl ich einen leichten Verlauf hatte“, sagt Welser.

Auch Roland Schmieder aus Augsburg kann nicht verstehen, dass es viele Menschen gibt, die das Coronaviru­s auf die leichte Schulter nehmen. „Im Zimmer neben mir lag ein 30-Jähriger, bei dem man einen Luftröhren­schnitt machen musste“, sagt er. „Man muss sich immer im Klaren sein, dass man an diesem Virus sterben kann.“

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Symbolfoto: Kay Nietfeld, dpa
Ein Corona‰Patient auf einer Intensivst­ation: Im ganzen Land kämpfen Ärzte um das Leben von Infizierte­n mit schweren Verläufen. Symbolfoto: Kay Nietfeld, dpa
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