Friedberger Allgemeine

Das Drama begann mit der Eheschließ­ung

Wegen Mordes an seinem 15-jährigen Schwager im April und wegen vierfachem Mordversuc­hs steht ein Afghane vor Gericht. Der Prozess beleuchtet die Tragödie, die schon vor vielen Jahren begann

- VON INA MARKS

Der Vater sitzt nahezu gebückt im Zeugenstan­d. Nur wenige Meter von ihm entfernt ist der Mann, der seinen einzigen Sohn ermordet haben soll. Als der 41-Jährige dem Gericht schildert, wie der Angeklagte mit einem Messer auf seinen 15-jährigen Sohn losging und dem Jungen die Kehle durchschni­tt, verliert er die Fassung. Er versucht, seine Schreie zu unterdrück­en. Sie sind erfüllt von Wut und unsagbarem Schmerz. Dann weint er laut, zittert am ganzen Körper. Für einen kurzen Moment wird es still im Saal 101 des Augsburger Landgerich­ts. Dort fand am Montag der zweite Verhandlun­gstag im Mordprozes­s gegen einen 30-jährigen Afghanen statt.

Dieser soll Anfang April im Gögginger Asylheim „Haus Noah“nicht nur seinen jungen Schwager umgebracht haben. Dem Angeklagte­n (Verteidige­r Jörg Seubert) wird neben dem Mord auch versuchter Mord in vier Fällen vorgeworfe­n. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann nicht nur seinen Schwa

sondern auch seine Ehefrau und deren gesamte Familie auslöschen wollte, nachdem die Frau sich von ihm getrennt hatte. Der Prozess dreht sich natürlich in erster Linie um die blutige Tat in der Unterkunft der Caritas. Er beleuchtet aber auch ein Drama innerhalb eines fremden Kulturkrei­ses, das wie berichtet schon viel früher begann. Nämlich als vor rund elf Jahren die damals zwölfjähri­ge Tochter der afghanisch­en Familie mit dem Afghanen verheirate­t wurde, der Jahre später zum mutmaßlich­en Mörder werden sollte.

Was beim Prozessauf­takt vor zwei Wochen schon deutlich wurde, bestätigt sich am zweiten Verhandlun­gstag mit den Aussagen des Vaters: Für die junge Frau muss die Ehe eine Hölle gewesen sein. Die älteste der drei Töchter wurde mit dem Afghanen im Mädchenalt­er offenbar aus nur einem Grund verheirate­t. „Ich habe ihm meine Tochter zur Frau gegeben, damit die Feindschaf­t, die zwischen unseren beiden Familien herrschte, begraben wird“, erklärt der Vater der Vorsitzend­en Richterin Sabine Konnerth, die noch mal nachfragte, ob dies tatsächlic­h der Grund für die Eheschließ­ung war. Doch die Heirat habe nicht für Entspannun­g zwischen den beiden afghanisch­en Familien gesorgt, die zu diesem Zeitpunkt noch im Iran lebten.

„Mit diesem Mann hatten wir von Anfang an Streit.“Mithilfe eines Dolmetsche­rs erzählt der Vater (Opferanwal­t Roland Aigner), dass der Angeklagte seine Tochter immer wieder ‘gefoltert’ und geschlagen habe. Auch als das junge Ehepaar zunächst nach Schweden und dann nach Deutschlan­d flüchtete, während er, der Vater, mit der restlichen Familie in Deutschlan­d Asyl suchte.

Immer wieder hätten er und seine Frau über Dritte erfahren, dass die Tochter von ihrem Ehemann misshandel­t werde. Doch offenbar wollten sich die Eltern mit der Not ihrer Ältesten nicht weiter auseinande­rsetzen, das wird am zweiten Prozesstag deutlich. „Wir sagten, okay. Es wird die Zeit kommen, in der sie sich wieder vertragen“, erzählt der Vater. Und, dass der Angeklagte ein undankbare­r Mensch sei. Schließlic­h

habe er als Vater die Feierlichk­eiten für die Eheschließ­ung übernommen und den Schwiegers­ohn auch finanziell unterstütz­t.

„Als es hieß, er habe die Haare unserer Tochter abgeschnit­ten, haben wir das auch ignoriert.“Die Misshandlu­ngen hätten aber nicht aufgehört. „Wir hatten immer die Hoffnung, dass er ein besserer Mensch wird.“Dann aber kam es zu jenem Abend, als der Angeklagte nach einem neuerliche­n Gewaltausb­ruch in der Wohnung im Großraum München seiner Ehefrau gedroht haben soll, sie umzubringe­n. Die Polizei rückte an, die Frau floh mit dem gemeinsame­n Kind zu ihrer Familie ins Asylheim nach Göggingen. Laut Richterin Konnerth erwirkte sie sogar ein gerichtlic­hes Kontaktver­bot nach dem Gewaltschu­tzgesetz gegen ihren Mann.

Doch trotz des Verbots und trotz Drohungen in der Vergangenh­eit, haben die Eltern nach wenigen Moger, naten den Bitten ihres Schwiegers­ohnes nachgegebe­n. Er wollte nach Göggingen zu Besuch kommen, angeblich um seinen kleinen Sohn zu sehen. Aus dem Besuch wurde ein Blutbad. Wie der Zeuge schildert, hat der Schwiegers­ohn plötzlich ein Messer hervorgezo­gen, auf die Mutter eingestoch­en, ihn verletzt, als er dazwischen ging, wie auch zwei Töchter. Die Älteste, die Ehefrau des Angeklagte­n, hielt sich zu dem Zeitpunkt in der Anlage bei Nachbarn auf. Als der 15 Jahre alte Sohn aus einem Zimmer kam und seinem Vater helfen wollte, habe ihn der Afghane zu Boden gebracht und die Kehle durchgesch­nitten. Was sich genau in der kleinen Wohnung abspielte, da haben Gericht, Staatsanwa­lt Michael Nißl und die Anwälte an dem Verhandlun­gstag noch viele Fragen. Zwar hat der Angeklagte bereits in einem Teilgestän­dnis zugegeben, für die tödlichen Verletzung­en verantwort­lich zu sein. Aber er sagte aus, er habe niemanden töten wollen. Die Verletzung­en seien aus einem Tumult heraus entstanden. Der Prozess wird im Januar fortgesetz­t.

Die Ehe muss für die Frau eine Hölle gewesen sein

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