Erdogans Reformversprechen sind wertlos
Von mehr Demokratie und Rechtsstaat spricht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, seit der Rücktritt seines Schwiegersohnes Berat Albayrak als Finanzminister ihm die wahren Ausmaße der türkischen Wirtschaftskrise vor Augen geführt hat. Das Land braucht dringend ausländische Investitionen und womöglich auch Finanzhilfen aus dem Westen. Das ist der Grund für Erdogans Reformversprechen. Doch diese sind wertlos, wie das Urteil gegen den Journalisten Can Dündar erneut zeigt.
Im türkischen Präsidialsystem, das komplett auf den Autokraten Erdogan zugeschnitten ist, gibt es keinerlei Kontrollinstanzen, die diesen Trend bremsen oder korrigieren könnten. Die Justiz des Landes arbeitet als Instrument der Regierung und verfolgt ErdoganKritiker wie Dündar mit langen Haftstrafen. Es gibt keine Anzeichen für ein Umdenken, im Gegenteil. Erdogans Regierung arbeitet an einem neuen Gesetz, mit dem sie nach Einschätzung der Opposition die Zivilgesellschaft unter staatliche Kontrolle stellen will. Im Europarat droht der Türkei ein Ausschlussverfahren.
Bisher verlässt sich Erdogan darauf, dass der Westen die Türkei am Ende nicht fallen lassen wird. Ungefähr zur selben Zeit, als das Gericht in Istanbul am Mittwoch sein Urteil gegen Dündar verkündete, sagte Präsident Erdogan in einer Rede, er wolle 2021 eine neue Seite in den Beziehungen zu den USA und zur EU aufschlagen.
Allerdings warf er Washington und den europäischen Regierungen zugleich Heuchelei vor. Der EU bescheinigte er wegen des Gasstreits im Mittelmeer „strategische Blindheit“. Das zeigt: Einen wirklichen Neustart wird es nicht geben. Zu erwarten ist, dass Erdogans Politik im neuen Jahr mindestens so aggressiv wird wie im alten.