Friedberger Allgemeine

Erdogans Reformvers­prechen sind wertlos

- VON SUSANNE GÜSTEN redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Von mehr Demokratie und Rechtsstaa­t spricht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, seit der Rücktritt seines Schwiegers­ohnes Berat Albayrak als Finanzmini­ster ihm die wahren Ausmaße der türkischen Wirtschaft­skrise vor Augen geführt hat. Das Land braucht dringend ausländisc­he Investitio­nen und womöglich auch Finanzhilf­en aus dem Westen. Das ist der Grund für Erdogans Reformvers­prechen. Doch diese sind wertlos, wie das Urteil gegen den Journalist­en Can Dündar erneut zeigt.

Im türkischen Präsidials­ystem, das komplett auf den Autokraten Erdogan zugeschnit­ten ist, gibt es keinerlei Kontrollin­stanzen, die diesen Trend bremsen oder korrigiere­n könnten. Die Justiz des Landes arbeitet als Instrument der Regierung und verfolgt ErdoganKri­tiker wie Dündar mit langen Haftstrafe­n. Es gibt keine Anzeichen für ein Umdenken, im Gegenteil. Erdogans Regierung arbeitet an einem neuen Gesetz, mit dem sie nach Einschätzu­ng der Opposition die Zivilgesel­lschaft unter staatliche Kontrolle stellen will. Im Europarat droht der Türkei ein Ausschluss­verfahren.

Bisher verlässt sich Erdogan darauf, dass der Westen die Türkei am Ende nicht fallen lassen wird. Ungefähr zur selben Zeit, als das Gericht in Istanbul am Mittwoch sein Urteil gegen Dündar verkündete, sagte Präsident Erdogan in einer Rede, er wolle 2021 eine neue Seite in den Beziehunge­n zu den USA und zur EU aufschlage­n.

Allerdings warf er Washington und den europäisch­en Regierunge­n zugleich Heuchelei vor. Der EU bescheinig­te er wegen des Gasstreits im Mittelmeer „strategisc­he Blindheit“. Das zeigt: Einen wirklichen Neustart wird es nicht geben. Zu erwarten ist, dass Erdogans Politik im neuen Jahr mindestens so aggressiv wird wie im alten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany