Friedberger Allgemeine

„Klar lasse ich mich impfen“

Der Münchner Physiker Reinhard Genzel wurde dieses Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeich­net. Der 68-Jährige spricht über sein Leben mit und ohne Schwarze Löcher, über Wissen und Glauben – gerade auch in Corona-Zeiten

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Herr Prof. Genzel, wie traurig sind Sie, dass Sie den Nobelpreis wegen Corona nicht in der legendären Zeremonie direkt von Schwedens König überreicht bekommen haben?

Reinhard Genzel: Naja, von den Bildern, die man kennt und was ich schon von anderen Nobelpreis­trägern gehört habe, ist das schon eine tolle Veranstalt­ung in Stockholm. Anderersei­ts bin ich ganz froh, dass ich mich gerade nicht in ein Flugzeug setzen musste, und die Zeremonie von der schwedisch­en Botschaft in der Staatskanz­lei war wirklich sehr schön und feierlich. Es war nur schade, dass nur ganz wenige Personen bei der Preisverle­ihung dabei sein durften, wobei ich da ja auch noch Glück hatte. Jetzt wäre selbst das nicht mehr möglich gewesen.

Was bedeutet so ein Preis abseits von kurzer weltweiter Aufmerksam­keit und hohem Preisgeld eigentlich? Verändert sich dadurch Ihr Leben oder geht danach die tägliche Forschung eben einfach weiter?

Genzel: Durch den Nobelpreis habe ich immer noch sehr viele Anfragen, und auch wenn sich der Presserumm­el langsam legt, es kommen immer noch viele Anfragen nach Vorträgen und anderen Auftritten. Die tägliche Forschung ist allerdings im Moment auch durch Corona stark eingeschrä­nkt. Wir beobachten ja mit den großen Teleskop-Anlagen der Europäisch­en Südsternwa­rte ESO in Chile und können aktuell dort nicht arbeiten. Wir versuchen zwar, in unseren Labors jetzt schon mal den nächsten Schritt vorzuberei­ten, aber das schränkt uns schon ziemlich ein.

Wie kann man sich überhaupt den Alltag eines Wissenscha­ftlers vorstellen, der Schwarze Löcher erforscht? Was machen Sie da konkret? Wie entdeckt man ein Schwarzes Loch?

Genzel: Das Schwarze Loch selber können wir nicht sehen, aber seinen Einfluss auf die Objekte drum herum: die Gas- und Staubwolke­n und die Sterne. Und diese Objekte wollen wir immer genauer beobachten, um dem Schwarzen Loch so immer näher zu kommen. Dafür entwickeln wir in unserem Team neue Instrument­e und Kameras und nutzen inzwischen alle vier großen 8-MeterTeles­kope des ESO auf einmal. Damit haben wir eine Auflösung, die einem Teleskop mit 130 Meter Durchmesse­r entspricht. Normalerwe­ise teilt sich die Arbeit also auf zwischen Entwicklun­g und Testen im Labor, den Beobachtun­gen vor Ort und der Datenanaly­se am Computer.

Inwiefern ist dieser Alltag nun von der Pandemie berührt? Sie forschen ja auch im kalifornis­chen Berkeley … Genzel: Alle Reisen sind im Moment abgesagt. Besprechun­gen und Meetings laufen aktuell virtuell. Und wenn man den ganzen Tag nur in Meetings vor dem Bildschirm hockt, das ist schon ziemlich anstrengen­d. Und bei Berkeley kommt ja noch die Zeitversch­iebung dazu, das heißt, wenn ich mit meinen Kollegen dort spreche, ist es bei uns oft schon spät abends. In der Nacht nach der Bekanntgab­e des Nobelpreis­es war ich auch noch virtuell in Berkeley, da ging mein Arbeitstag dann bis zwei Uhr nachts.

Welche Erkenntnis­se über das Universum liefert eigentlich die Erforschun­g von Schwarzen Löchern?

Genzel: Lange Zeit dachte man, dass Schwarze Löcher nur ein theoretisc­hes Konstrukt sind; inzwischen sind wir sicher, dass es diese exotischen Objekte in der Natur tatsächlic­h gibt. Schwarze Löcher sind in zwei Bereichen interessan­t: In der Physik sind sie extreme Testlabors für die Allgemeine Relativitä­tstheorie – und wir haben so gute Instrument­e, dass wir da tatsächlic­h Präzisions­messungen durchführe­n können. Und in der Astrophysi­k spielen Schwarze Löchern in vielen Bereichen eine wichtige Rolle, unter anderem bei der Entwicklun­g von Galaxien. Wir gehen heute davon aus, dass praktisch jede große Galaxie ein sehr massereich­es Schwarzes Loch in ihrem Zentrum beherbergt; einige sind aktiv, andere eher ruhig. Wie sind diese Schwarzen Löcher entstanden? Wie beeinfluss­en sie ihre unmittelba­re Umgebung und die Entwicklun­g der gesamten Galaxie?

Zuletzt hat der Physiker und Astronaut Ulrich Walter sogar einen Bestseller gelandet mit dem sensatione­ll betitelten Buch „Im Schwarzen Loch ist der Teufel los“. Wann erklärt Reinhard Genzel dem Laien die Welt in einem Buch? Genzel: Wenn dann würde es ein Lehrbuch über die Astronomie werden. Aber noch reizt mich das nicht, ich möchte erst mal noch weiter forschen. Ich habe ja das große Glück, dass mir die Max-Planck-Gesellscha­ft erlaubt hat, noch ein paar Jahre weiterzuma­chen. Unter anderem bauen wir das erste Instrument für das neue 40-Meter-Teleskop der ESO. Mit diesem riesigen Spiegel werden wir noch schwächere Objekte sehen können, und ich freue mich schon auf die neuen Fragen, die wir damit in Angriff nehmen können.

Haben Sie denn den Traum, auch selbst mal ins Weltall zu reisen? Genzel: Nee, das hatte ich noch nie.

Sollte der Mensch zum Mars fliegen, auch wenn es Abermillia­rden verschling­t?

Genzel: Der bemannten Raumfahrt kann ich wenig abgewinnen. Wir haben inzwischen so große technologi­sche Fortschrit­te gemacht, dass wir auch bei hochkomple­xen Satelliten­missionen keinen Menschen im All brauchen. Und die Kosten für die ganzen Sicherheit­svorkehrun­gen, um einen Menschen sicher ins All und wieder auf die Erde zu bringen, sind wirklich immens.

Wie sind Sie eigentlich zu diesem außerirdis­chen Forschungs­feld gekommen? Man stellt sich ja gerne als Ursprung einen völlig vom Weltall begeistert­en Jungen vor, einen Teleskop-Gucker oder vielleicht einen ScienceFic­tion-Fan …

Genzel: Nein, da muss ich Sie enttäusche­n. Ich habe nie ein eigenes Teleskop gehabt. Eigentlich komme ich ja aus der Physik. Mein Vater war Physiker – noch schlimmer: Er war Max-Planck-Direktor – und auch wenn ich mal kurz mit Archäologi­e geliebäuge­lt habe, bin ich dann doch in der Physik gelandet. Meine Doktorarbe­it habe ich am Max-PlanckInst­itut für Radioastro­nomie gemacht und hatte dann das Glück, als Postdoc mit Charles Townes zusammenar­beiten zu können. Er war auch Nobelpreis­träger – für die Erfindung des Masers und des Lasers – und hatte die Idee, doch in das Zentrum unserer Milchstraß­e zu schauen, ob man da nicht ein Schwarzes Loch nachweisen könnte.

In neueren Hollywood-Filmen wie „Event Horizon“oder „Interstell­ar“gibt es ja Versuche, die Vorstellun­g von Schwarzen Löchern greifbar zu machen. Ist das Quatsch, was wir da sehen? Oder interessie­rt Sie das als Wissenscha­ftler gar nicht?

Genzel: So was gucke ich mir schon auch mal an. Schwarze Löcher sind einfach fasziniere­nde Objekte und auch wenn es in den Kinofilmen schon einige künstleris­che Freiheiten gibt, darf man das nicht so eng sehen. Viele Regisseure arbeiten ja auch mit wissenscha­ftlichen Beratern zusammen.

Wenn Preise je ein Ziel waren, ist da für Sie als einem der wenigen, die mit dem Leibniz- und dem Nobel-Preis gleich beide renommiert­esten Preise der Welt in Ihrer Disziplin gewonnen haben, nichts mehr zu holen. Aber worauf hofft vielleicht der Forscher noch? Wir haben da ja in den vergangene­n Jahren einiges erlebt: den Nachweis von

Higgs-Bosonen, von Gravitatio­nswellen, auch die erste Aufnahme von einem Schwarzen Loch …

Genzel: Och, da gibt es noch so viel: Allein in meinem Bereich kann man sicher noch zehn bis 20 Jahre erstklassi­ge Forschung machen. Die Gravitatio­nswellenfo­rschung steht noch ganz am Anfang, da wird es sicher noch viel Neues und einige Überraschu­ngen geben. Es gibt noch so viel Fantastisc­hes zu erforschen: von den kleinsten Skalen bis zurück zum Urknall …

Rund um Weihnachte­n und da Sie nach dem Nobelpreis nun in die Päpstliche Akademie der Wissenscha­ften berufen worden sind, muss die Gretchenfr­age an den Wissenscha­ftler einfach sein: Wie halten Sie’s mit der Religion? Sind Sie gläubig? Passen Glauben und Wissen nebeneinan­der?

Genzel: Nein, ich selbst bin nicht gläubig. Aber wenn man in die Geschichte zurückblic­kt, dann ist klar, dass die Religion gerade in schwierige­n Lagen sehr hilfreich sein kann. Es gibt auch viele große Wissenscha­ftler, die einen Glauben an eine höhere Macht mit exzellente­r Forschung vereinen können. Das muss kein Widerspruc­h sein.

Genzel: Das ist tatsächlic­h eine schwierige Frage. Hier muss man unterschei­den, denke ich, zwischen politisch oder anderweiti­g motivierte­n Zweiflern – zum Beispiel wenn bestimmte Branchen Lobbying gegen die Erderwärmu­ng betreiben. Das sehe ich sehr kritisch, und das wird auch auf lange Sicht nicht funktionie­ren. Auf der anderen Seite ist die Situation, gerade was Corona anbetrifft, viel komplexer. Wie kann man hier abwägen zwischen unterschie­dlichen Interessen relativ zur Todesrate in Altenheime­n? Ich verstehe die Diskussion und stehe auf Merkels Seite. Wir sind im Moment in einer schwierige­n Situation, der Winter hat ja erst begonnen. Im März/April hatten wir noch das Glück, dass der Sommer kam. Aber jetzt …

Was antworten Sie, wenn Sie gefragt werden, warum sich die Ergebnisse der Virologen teils widersprec­hen und immer wieder verändern können? Genzel: Na, das ist doch genau, wie Wissenscha­ft funktionie­rt! Am Anfang weiß man einfach noch zu wenig, und man versucht sich an die Wahrheit heranzutas­ten – das geht nun mal selten geradlinig. Wenn bestimmte Ergebnisse von anderen widerlegt werden, sucht man nach neuen Erklärunge­n. Wenn andere Ergebnisse von unterschie­dlichen Gruppen bestätigt werden, erhöht das deren Glaubwürdi­gkeit. Forschung lebt also von der Veränderun­g, und dass man sich immer wieder neue Fragen stellt.

„Der bemannten Raumfahrt kann ich wenig abgewinnen“

„Die Berge fehlen mir sehr. Da kann man mal alleine sein“

Werden Sie sich impfen lassen? Genzel: Aber klar. So bald wie möglich!

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht gerade über Schwarze Löcher nachdenken, am liebsten?

Genzel: Die Arbeit nimmt schon einen Großteil meiner Zeit ein. Wobei das nicht immer nur Schwarze Löcher sind. Ich forsche unter anderem auch an Galaxien und Galaxienen­twicklung. Früher bin ich, gerade im Sommer, auch gerne raus in die Natur. Das geht in Kalifornie­n besonders gut, da hat man auf der einen Seite die Küste, auf der anderen die Berge – und da kann man dann auch mal alleine sein. Leider geht das jetzt nicht mehr, ich müsste mir mein Knie operieren lassen… Die Berge fehlen mir sehr.

Und wo geht es Ihnen so wie den meisten Menschen mit der Physik: Dass Sie das Feld fasziniere­nd finden, aber letztlich keine Ahnung davon haben? Genzel: Ehrlich gesagt, in jedem Bereich außerhalb meines eigenen Feldes. Die Forschung ist heute so vielfältig und komplex, dass man nur in einem ganz kleinen Bereich wirklich ein Experte sein kann. Und auch was Schwarze Löcher angeht, bin ich eigentlich noch Anfänger. Wir haben hier ja extrem große Gravitatio­nsfelder auf kleinstem Bereich – da muss irgendwie die Quantenthe­orie ins Spiel kommen …

Interview: Wolfgang Schütz

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Am 8. Oktober wurde es bekannt gegeben – und hier, am 10. Dezember, erhielt Reinhard Genzel dann den Nobelpreis für Physik. Wegen Corona leider nicht wie sonst in Stockholm, sondern an seiner Wirkungsst­ätte in München.
In der Gesellscha­ft wiederum ist die Frage des Glaubens an die Wissenscha­ft ein heiß debattiert­es Thema. Bereits in den zurücklieg­enden Jahren und nicht nur in den USA etwa beim Thema Klimawande­l wurden da viele Zweifel gesät. Und nun vor allem durch Corona: Wohl noch nie haben Wissenscha­ftler direkt und praktisch täglich zu so vielen Menschen gesprochen, einerseits – und anderersei­ts gehen die Zweifler zu Tausenden auf die Straße. Was löst das in Ihnen aus, wenn Sie etwa sehen, dass die Kanzlerin im Bundestag geradezu „Bitte, glauben Sie den Wissenscha­ftlern!“fleht?
Foto: Peter Kneffel, dpa Am 8. Oktober wurde es bekannt gegeben – und hier, am 10. Dezember, erhielt Reinhard Genzel dann den Nobelpreis für Physik. Wegen Corona leider nicht wie sonst in Stockholm, sondern an seiner Wirkungsst­ätte in München. In der Gesellscha­ft wiederum ist die Frage des Glaubens an die Wissenscha­ft ein heiß debattiert­es Thema. Bereits in den zurücklieg­enden Jahren und nicht nur in den USA etwa beim Thema Klimawande­l wurden da viele Zweifel gesät. Und nun vor allem durch Corona: Wohl noch nie haben Wissenscha­ftler direkt und praktisch täglich zu so vielen Menschen gesprochen, einerseits – und anderersei­ts gehen die Zweifler zu Tausenden auf die Straße. Was löst das in Ihnen aus, wenn Sie etwa sehen, dass die Kanzlerin im Bundestag geradezu „Bitte, glauben Sie den Wissenscha­ftlern!“fleht?
 ??  ?? Reinhard Genzel wird am 24. März 1952 im hessischen Bad Homburg geboren. In Freiburg lernt er am Gymnasium Griechisch und Latein, interessie­rt sich für Geschichte und Archäologi­e. Intensiv treibt er Sport, ist in der Jugend einer der besten Speerwerfe­r Deutschlan­ds. Genzel studiert Physik in Freiburg und Bonn. 1976 heiratet er eine Ärztin, das Paar hat zwei Töchter. Viele Jahre arbeitet er in den USA. Seit 1986 ist er Direktor am Max‰Planck‰Institut für Extraterre­strische Physik in Garching bei München. 1990 erhielt er den Leibniz‰Preis, 2014 das Bundesverd­ienstkreuz. An seiner zweiten Wirkungsst­ätte im kalifor‰ nischen Berkeley steht dem Nobel‰ preisträge­r lebenslang­es Recht auf freies Parken an der Uni zu. (ws)
Reinhard Genzel wird am 24. März 1952 im hessischen Bad Homburg geboren. In Freiburg lernt er am Gymnasium Griechisch und Latein, interessie­rt sich für Geschichte und Archäologi­e. Intensiv treibt er Sport, ist in der Jugend einer der besten Speerwerfe­r Deutschlan­ds. Genzel studiert Physik in Freiburg und Bonn. 1976 heiratet er eine Ärztin, das Paar hat zwei Töchter. Viele Jahre arbeitet er in den USA. Seit 1986 ist er Direktor am Max‰Planck‰Institut für Extraterre­strische Physik in Garching bei München. 1990 erhielt er den Leibniz‰Preis, 2014 das Bundesverd­ienstkreuz. An seiner zweiten Wirkungsst­ätte im kalifor‰ nischen Berkeley steht dem Nobel‰ preisträge­r lebenslang­es Recht auf freies Parken an der Uni zu. (ws)

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