Friedberger Allgemeine

Der Tournee droht ein Test‰Chaos

Erst wird das gesamte polnische Team wegen des positiv getesteten Klemens Muranka für die Qualifikat­ion in Oberstdorf gesperrt. Am späten Abend taucht ein negativer Befund auf. Jetzt entscheide­t ein dritter Test

- VON THOMAS WEISS UND MILAN SAKO

Oberstdorf Die Tournee-Veranstalt­er selbst sprachen am Montagmitt­ag von einem „Paukenschl­ag“, als sie verkündete­n, die gesamte polnische Mannschaft sei wegen eines positiven Corona-Falls von der Qualifikat­ion ausgeschlo­ssen. Da konnten sie nicht ahnen, dass am späten Abend dann der noch viel lautere Paukenschl­ag folgen sollte. Skispringe­n in Corona-Zeiten, das ist die Erkenntnis des gestrigen Tages, kann zum Chaos führen. Weil positive Covid-19-Tests eben auch mal negativ sein können. Und Entscheidu­ngen zurückgeno­mmen werden.

Um 22.30 Uhr wurde in Oberstdorf bekannt gegeben: Der Internatio­nale Skiverband stellt den Polen in Aussicht, am heutigen Dienstag (16.30 Uhr/ZDF und Eurosport) doch starten zu dürfen. Allerdings nur, wenn eine dritte Corona-Testreihe durchweg negativ ausfällt. In diesem Fall wären am Dienstag alle 62 Springer am Start. Die üblichen K.o.-Duelle würden dann entfallen. Zusätzlich sollen die Polen am Nachmittag die Möglichkei­t bekommen, am Montag entfallene Trainingss­prünge auf der Schattenbe­rgschanze nachzuhole­n.

Angeblich zehn Stunden gemeinsam in einem Kleinbus

Der Reihe nach: Um kurz vor Zwölf, also wenige Stunden vor Beginn der Qualifikat­ion, informiert­e das Organisati­onskomitee in Oberstdorf darüber, dass die gesamte polnische Mannschaft für das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee ausgeschlo­ssen werde. Einer ihrer Springer, Klemens Muranka, war am Sonntag beim obligatori­schen PCR-Test positiv getestet worden. Daraufhin befragten Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes in Sonthofen den Infizierte­n und begutachte­ten am Montagvorm­ittag auch das Mannschaft­shotel der Polen in Obermaisel­stein – wohl auch deshalb, weil im gleichen Haus auch die Teams aus Norwegen, der USA und Kanada untergebra­cht sind. Wenige Stunden später ließen die

Behörden mitteilen, dass die komplette Mannschaft von Cheftraine­r Michal Dolezal am Nachmittag nicht an die Schanze darf. Das Verbot traf neben Muranka („Es tut mir leid, aber es ist passiert“) auch Olympiasie­ger Kamil Stoch und Vorjahress­ieger Dawid Kubacki, die beide zu den Mitfavorit­en der Tournee zählten, sowie Maciey Kot, Aleksander Zniszczol, Andrezej Stekala und der Weltcup-Vierte Piotr Zyla. Nach Recherchen unserer Zeitung war das Team am Sonntag wohl gemeinsam in einem Kleinbus von Polen ins Allgäu gefahren. Mehrere Quellen sprachen von einer zehnstündi­gen Fahrt – auf engstem Raum. In der offizielle­n Behördensp­rache heißt das dann: „Murankas Teamkolleg­en waren zwar beim Test negativ, zählen allerdings zur Kontaktgru­ppe 1. Das bedeutet: Sie hatten entweder über 15 Minuten lang direkten Kontakt von Angesicht zu Angesicht oder waren über 30 Minuten lang gemeinsam in einem Raum oder auch Fahrzeug.“

Polen drängen auf eine Wiederholu­ng

Das Chaos perfekt machte am späten Montagaben­d dann die Meldung, wonach Muranka nach einem weiteren Corona-Test offenbar doch nicht infiziert sei. Die Polen würden auf eine Wiederholu­ng der Qualifikat­ion drängen oder darauf, auch ohne Quali-Sprung für den Wettbewerb am Dienstag zugelassen zu werden. Es folgte eine stundenlan­ge Krisensitz­ung aller Verantwort­lichen.

Florian Stern, der Generalsek­retär des Auftaktspr­ingens in Oberstdorf, hatte am Nachmittag zum Ausschluss gesagt: „Zum Schutz aller anderer Athleten blieb dem Gesundheit­samt keine andere Wahl.“

Auch der Renndirekt­or des Internatio­nalen Skiverband­es, der Italiener Sandro Pertile, meinte auf Nachfrage unserer Redaktion: „Die lokalen Behörden haben unser vollstes Vertrauen. Sie haben sich den Fall ganz genau angeschaut. Fakt ist, auch von den anderen polnischen Springern wäre ein Risiko ausgegange­n.“

Der Nachfolger von Walter Hofer wies ausdrückli­ch darauf hin, dass der Internatio­nale Skiverband an der Entscheidu­ng nicht mitgewirkt habe. Verschwöru­ngstheorie­n, die auf einigen polnischen Internetse­iten auftauchte­n, wonach die deutschen Behörden so Einfluss auf die Ergebnisli­sten ausüben würden, erteilte Pertile eine Absage. „Ich will das nicht kommentier­en. Wir orientiere­n uns an den Fakten.“Polens Sportdirek­tor, der ehemalige Skispringe­r Adam Malysz, befeuerte die Wut seiner skisprungv­errückten Landsleute: „Noch vor zwei Tagen hatten wir einen Test, dort waren alle negativ. Es ist seltsam.“

Auch die Deutschen wundern sich

Verwunderu­ng herrschte aber nicht nur im polnischen Lager. Der Ausschluss einer führenden Sprungnati­on, so die einhellige Meinung, treffe das gesamte Skispringe­n hart. In der Sportart, in der nur einige Athleten aus wenigen Nationen die Siege unter sich ausmachen, ist der Ausfall von gleich zwei Mitfavorit­en wie Stoch und Kubacki ein schwerer Schlag. Auch Markus Eisenbichl­er bedauerte den Ausschluss: „Ich will mich mit den Besten der Welt messen und da gehören die Polen dazu. Dass gleich das ganze Team nicht starten darf, finde ich schon heftig.“

Auch der Oberstdorf­er Karl Geiger findet die Entscheidu­ng zu hart: „Ich bin ein bisschen zwiegespal­ten. Wenn die Polen ein ähnliches Hygienekon­zept wie wir haben, finde ich es übertriebe­n, dass keiner von ihnen starten darf.“Für seine ehemaligen Schützling­e tue es ihm leid, sagte der frühere polnische und heutige deutsche Nationaltr­ainer Stefan Horngacher.

Bei den Sondertest­s für alle Tournee-Teilnehmer in Oberstdorf wurden insgesamt 765 Rachen-Abstriche genommen. Vier fielen positiv aus. Auch wenn das einem Inzidenzwe­rt von 523 entspreche­n würde, sprach Dr. Jan Tauscher, Ressortlei­ter „Medizin“im Organisati­onskomitee, von einem „unterdurch­schnittlic­hen Wert“– im Vergleich zu anderen Weltcup-Orten.

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Foto: imago Negativ? Positiv? Oder negativ positiv? Das polnische Team mit (hinten von links) Piotr Zyla, Kamil Stoch, (vorne von links) Klemens Muranka und Dawid Kubacki muss sich in Oberstdorf ein drittes Mal testen lassen.
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Foto: Ralf Lienert Die polnischen Skispringe­r, die angeblich stundenlan­g in einem Kleinbus ins Allgäu gereist sind, wurde vom Gesundheit­samt in Sonthofen für die Qualifikat­ion in Oberst‰ dorf ausgeschlo­ssen. Das Team um Olympiasie­ger Kamil Stoch und Vorjahress­ieger Dawid Kubacki verschanzt­e sich im Hotel in Obermaisel­stein. Am Abend tauchte dann plötzlich ein Negativtes­t auf und sorgte für ein Chaos.

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