Friedberger Allgemeine

Hessing: Warum diese Eltern verzweifel­t sind

Mütter schildern, wie das Aus des Förderange­bots im Sozialpädi­atrischen Zentrum (SPZ) viele Familien trifft. Auch eine Kinderärzt­in und eine Logopädin schließen sich an. Die Stiftung legt Widerspruc­h ein

- VON MICHAEL HÖRMANN UND NICOLE PRESTLE

Daniela Sauer-Meyer hat eine Tochter mit Gendefekt und einer komplizier­ten Epilepsie. Als Autistin benötigt das Kind intensive Unterstütz­ung, wie sie im Hessing-Förderzent­rum angeboten wird – hier im Speziellen im Sozialpädi­atrischen Zentrum (SPZ), das auf Kinder und Jugendlich­e mit Entwicklun­gsstörunge­n spezialisi­ert ist. Sauer-Meyer lebte früher in München und pendelte regelmäßig mit ihrer Tochter nach Göggingen. Vor eineinhalb Jahren zog die Familie nach Untermeiti­ngen, um näher am Standort des Förderzent­rums zu sein. Umso härter trifft die Mutter nun die Entscheidu­ng, dass das Sozialpädi­atrische Zentrum in Hessing schließen muss. Ab dem neuen Jahr wird das Angebot im Josefinum in Oberhausen weitergefü­hrt. Nicht alle Bereiche der Förderung werden in Göggingen aufgegeben, doch mit dem Gesamtpake­t ist Schluss.

„Für uns als Familie hat das fatale Konsequenz­en“, schildert SauerMeyer. Als Autistin reagiere ihre Tochter empfindlic­h auf jegliche Art von Veränderun­gen. Das Sozialpädi­atrische Zentrum habe es geschafft, eine vertrauens­volle Beziehung aufzubauen: „Das Ganze ist jetzt ein Riesendesa­ster“.

Elvira Bricke geht es ähnlich. Ihr Sohn besucht den Hessing-Kindergart­en. Er hat eine Fehlbildun­g am Arm, in den zurücklieg­enden eineinhalb Jahren gab es fünf Operatione­n. „In Hessing werden wir vorbildlic­h betreut“, sagt Bricke, die ebenfalls wegen der Behandlung umgezogen ist – vom Hochfeld nach Göggingen.

Auch Mihaela Brunter weiß, wie wichtig die Hessing-Einrichtun­g für ihre Kinder ist. Für ihren ältesten Sohn würde es bedeuten, dass er bei seinem Schuleintr­itt nicht mehr in Göggingen betreut würde, sondern für Behandlung­en ins Josefinum müsste. „Ich finde es schlecht, dass meine Kinder dann nicht mehr gemeinsam an einem Ort unterstütz­t werden“, klagt die Mutter.

Die drei Mütter sind am letzten Tag des Jahres am Parkplatz des Hessing-Förderzent­rums am Mühlweg zusammenge­kommen. Es ist ein organisier­ter Protest gegen die Schließung des Sozialpädi­atrischen Zentrums. Initiiert haben die Aktion die Elternvert­retung von Hessing sowie das neu gegründete PeutingerF­orum. Dieses Gremium will sich künftig bei Themen, die die Stadtgesel­lschaft bewegen, stärker einbringen, sagt Mitinitiat­or Ulrich Müller.

Der Unmut bei Hessing ist groß, weil die Einrichtun­g, die seit 2012 lief, nun in ihrem Angebot beschränkt werde. Leidtragen­de seien die Familien und deren Kinder. Kinderärzt­in Susanne von Schoenaich ist seit den Anfängen dabei. „Ich war schockiert über die Entscheidu­ng“, sagt sie. Wie gut das Angebot bei Hessing angenommen werde, zeige die Warteliste mit 100 Kindern. Die Kurzfristi­gkeit der Entscheidu­ng treffe zudem alle Beschäftig­ten des Hauses, die sich im Sozialpädi­atrischen Zentrum engagieren: „Wir hatten für den Januar 20 Erstvorste­llungen von Kindern geplant“. Dazu werde es in dieser Form jetzt nicht kommen.

Die Entscheidu­ng, das Sozialpädi­atrische Zentrum ab 1. Januar ans Josefinum abzugeben, fiel kurzfristi­g: Der Zulassungs­ausschuss für Ärzte Schwaben, der über die Ermächtigu­ng entscheide­t, hatte am 16. Dezember getagt. Für einen Übergang des SPZ ans Josefinum bleibt also wenig Zeit. Hessing hat inzwischen zwar Widerspruc­h eingelegt, fachlich begründen könne man diesen laut Hessing-Direktor Roland Kottke aber erst, wenn der Zulassungs­ausschuss seinerseit­s eine fachliche Stellungna­hme abgegeben habe. Diese sei aufgrund von Urlaubszei­ten vor 10. Januar nicht zu erwarten. Dennoch hofft Kottke, dass die Entscheidu­ng rückgängig gemacht wird. Auch der Verein „Ein Haus für Kinder“, der die Arbeit des Hessing Förderzent­rums unterstütz­t, hat sich an den Berufungsa­usschuss gewandt.

Verwundert ist man bei Hessing vor allem, weil sich die Kassenärzt­liche Vereinigun­g unter den Bewerbern Hessing, Josefinum und Uniklinik für die Beibehaltu­ng des Angebots bei Hessing ausgesproc­hen hatte. In einem Schreiben vom 30. November, das unserer Redaktion vorliegt, heißt es, für eine erneute Vergabe an Hessing spreche, „dass es sich bei diesem Sozialpädi­atrischen Zentrum um eine bereits seit vielen Jahren bestehende Einrichtun­g handelt“. Pro Quartal würden dort 500

Kinder behandelt, „im Interesse einer kontinuier­lichen Patientenb­etreuung“sei „die Fortführun­g der bereits etablierte­n Versorgung­sstrukture­n sinnvoll“.

Warum dennoch das Josefinum den Zuschlag erhielt, ist nicht bekannt. Nur so viel: Anfang Dezember hatten sich acht Kinderärzt­e aus Augsburg und der Region in einem Schreiben an die Kassenärzt­liche Vereinigun­g für eine Verlagerun­g des SPZ ans Josefinum ausgesproc­hen. Diese Klinik sei aufgrund ihrer „interdiszi­plinären Aufstellun­g in herausrage­nder Weise“geeignet, die komplexen Aufgaben eines SPZ wahrzunehm­en. Auch die personelle Ausstattun­g und ausreichen­de Bettenkapa­zitäten sprächen für die Oberhauser Klinik. Die Kinderärzt­e verweisen in ihrem Schreiben auf ihre eigene, „intensive Kooperatio­n“mit dem Josefinum, unterzeich­net ist das Schreiben „stellvertr­etend für sehr viele Kinder- und Jugendärzt­e in Nordschwab­en und Augsburg“. Abgesehen von den acht Unterzeich­nern wird jedoch kein Mediziner namentlich genannt.

15 Mitarbeite­r bei Hessing stehen nun vor einer ungewissen Zukunft. Dazu gehört Logopädin Bärbel Gruber. Sie spricht von „einem verantwort­ungslosen Umgang“. Es sei eine bange Situation für die Beschäftig­ten. Immerhin sei zu sehen, dass Kindergart­enkinder weiterhin in Göggingen betreut werden. Auch die Logopädin verweist darauf, wie wichtig der Kontakt der Therapeute­n zu den Kindern sei: „Es baut sich ein großes Vertrauen auf, was wichtig ist“.

Dass das Josefinum nicht der bessere Standort sein könne, spricht Marcella Reinhardt vom PeutingerF­orum an. Sie wisse um die Verkehrsan­bindung beider Einrichtun­gen. In Göggingen gebe es für 15 Busse, die die Kinder fahren, ideale Bedingunge­n, weil in der Mühlstraße genügend Platz vor dem Haus sei. Im Josefinum sehe dies anders aus. Alles sei eng, was nicht nur für die Fahrer ein Problem darstelle. „Am Ende geht es aber um das Kindeswohl“, sagt Marcella Reinhardt, „und dieses ist in Göggingen gegeben.“

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Die Schließung des Sozialpädi­atrischen Zentrums, das auf Kinder und Jugendlich­e mit Entwicklun­gsstörunge­n spezialisi­ert ist, ist für sie nicht hinnehmbar (von links): Elvira Bricke, Mihaela Brunter, Susanne von Schoenaich, Bärbel Gruber und Daniela Sauer‰Meyer.
Foto: Annette Zoepf Die Schließung des Sozialpädi­atrischen Zentrums, das auf Kinder und Jugendlich­e mit Entwicklun­gsstörunge­n spezialisi­ert ist, ist für sie nicht hinnehmbar (von links): Elvira Bricke, Mihaela Brunter, Susanne von Schoenaich, Bärbel Gruber und Daniela Sauer‰Meyer.

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