Friedberger Allgemeine

Eine stille Nacht zum Jahreswech­sel

Ein nächtliche­r Streifzug an Silvester durch die Augsburger Innenstadt beleuchtet die Folgen der Ausgangssp­erre. Wie die wenigen Menschen, die unterwegs sind, diese Situation erleben

- VON MICHAEL HÖRMANN

Es ist der letzte Tag im Corona-Jahr 2020. Auch an Silvester gilt ab 21 Uhr eine Ausgangssp­erre. An einem Abend, an dem es die Augsburger normalerwe­ise auf die Straßen zieht, um das neue Jahr zu begrüßen, ist dieses Mal nahezu alles anders. Ein nächtliche­r Streifzug durch die Augsburger Innenstadt liefert ungewöhnli­che Einblicke.

Draußen herrschen Temperatur­en von minus einem Grad. Der Königsplat­z ist um 21 Uhr hell erleuchtet. Dieses Licht in einer ansonsten klaren, dunklen Nacht macht deutlich, wie wenig am Verkehrskn­otenpunkt los ist. Kaum Fußgänger sind im weiteren Umfeld des Königsplat­zes zu sehen, dafür ist viel Polizei vor Ort. Allein vier Fahrzeuge verteilen sich rund um den Kö. Wie angekündig­t will die Polizei intensiv kontrollie­ren, ob sich die Augsburger an die Ausgangssp­erre halten.

Als die Trams losfahren, sitzen in der Linie 2, die zum Universitä­tsklinikum fährt, sechs Fahrgäste. Wenig später rückt die Linie 1 an. 14 Fahrgäste wollen in Richtung Lechhausen. Es sind, so die Erkenntnis der nächsten drei Stunden, die Fahrten mit den wohl meisten Fahrgästen. Ab halb elf steuert kaum noch ein Fahrgast den Königsplat­z an.

Als die Trams kurz nach 21 Uhr vorbeigefa­hren sind, fährt ein Polizeiwag­en auf das AZ-Reporterte­am zu. Ein Beamter fragt: „Was machen Sie hier?“Arbeiten, lautet die Antwort, der Presseausw­eis beweist es. Für die Polizisten ist die Angelegenh­eit damit erledigt. „Wir wünschen ein gutes neues Jahr“, sagen sie vor der Weiterfahr­t. Es ist nicht die letzte Polizeikon­trolle in den Stunden vor Mitternach­t. Am Ende werden es nahezu zehn Begegnunge­n mit Polizisten sein, die stets freundlich nach dem Grund fragen, warum man sich trotz Ausgangssp­erre im Freien aufhält.

Auch vor dem Hauptbahnh­of spielt sich eine solche Szene ab. Hier kommen einige Fahrgäste gegen 21.30 Uhr an und verlassen das Gebäude. Es wird jedoch nicht jeder Reisende gefragt, welches Ziel er verfolgt. „Die Ausgangssp­erre gibt vor, dass eine Reise prinzipiel­l so zu planen ist, dass man rechtzeiti­g um 21 Uhr zu Hause ist“, erläutert eine Polizistin die Regelung. Wer jetzt

mit dem Zug ankommt, läuft gerne zum Taxistand am Hauptbahnh­of. Viel los ist an diesem Abend nicht. Sieben Taxen warten auf Fahrgäste. Zwei Fahrer stehen vor einer Bank

und rauchen. „Die Lage ist nahezu tot“, sagt einer. Er habe in den zurücklieg­enden fünf Stunden gerade mal vier Kunden gefahren.

Die Innenstadt wirkt jetzt kurz vor 22 Uhr gespenstis­ch leer. Es sind fast ausschließ­lich Polizeifah­rzeuge unterwegs, vereinzelt kommen Taxen. Andere Autos sind kaum zu sehen. In vielen Wohnungen brennt Licht. Richtig laut ist es nirgendwo, von Partystimm­ung ist nichts zu spüren. Auch dies mag Indiz dafür sein, dass sich die Augsburger zu Silvester an die Regelung halten. Zumindest etwas Leben gibt es neben dem Rathaus. Das Klimacamp ist in der Silvestern­acht mit vier Personen besetzt, was nach ihren Angaben geduldet ist. Es gibt Tee und Kürbissupp­e. „Für mich ist diese ungewöhnli­che Situation nicht weiter schlimm“, sagt Jakob Fürbacher. Er sei ohnehin keiner, der an Silvester übermäßig feiere.

Unweit vom Klimacamp fällt eine junge Frau auf. Sie trägt trotz kühler Temperatur­en einen kurzen Rock. Zwei Polizeibea­mte sprechen sie an, zumal sie keine Maske trägt. Die alkoholisi­erte Frau sagt, sie wolle Zigaretten holen. Für sie wird es ein teurer nächtliche­r Ausflug. Die Polizei nimmt die Personalie­n auf, eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Ausgangssp­erre wird folgen.

Nicht nur Polizisten und Taxifahrer arbeiten an Silvester, auch Apothekeri­n Belma Terzic gehört dazu. Die Apotheke am Vincentinu­m hat Notdienst. „Wie an anderen Tagen während der Ausgangssp­erre ist eher wenig los“, berichtet sie. Da die Notfallauf­nahme am Vincentinu­m in der Silvestern­acht geöffnet ist, kommen zumindest einige Kunden: „Schmerztab­letten und Arzneimitt­el für Kinder sind gefragt.“

Auf dem Weg zurück in die Maximilian­straße herrscht weiter gespenstis­che Stille. Vereinzelt stehen Raucher vor Häusern. Es ist kurz vor Mitternach­t. Dort, wo sich ansonsten rund um den Herkulesbr­unnen die Menschen in der Silvestern­acht zuprosten, ist es mucksmäusc­henstill. Kein Mensch steht hier. Lediglich Polizeiaut­os sind weiter auf Streifenfa­hrt. Mitternach­t naht, das neue Jahr steht an. Es beginnt mit einigen wenigen Böllern. Am nachhaltig­sten wirken in diesem Moment die lauten Glockensch­läge von St. Ulrich. 2021 hat begonnen.

 ?? Fotos: Bernd Hohlen ?? Der Vergleich zwischen Silvester 2020 (oben) und 2019 macht deutlich: So ruhig verlief der Jahreswech­sel lange nicht. Die Engel in der Maximilian­straße gaben ungestört ihr lautloses Konzert, das Vogeltor ruhte im sanften Licht der Scheinwerf­er und der Müll am Rathauspla­tz glänzte mit Abwesenhei­t.
Fotos: Bernd Hohlen Der Vergleich zwischen Silvester 2020 (oben) und 2019 macht deutlich: So ruhig verlief der Jahreswech­sel lange nicht. Die Engel in der Maximilian­straße gaben ungestört ihr lautloses Konzert, das Vogeltor ruhte im sanften Licht der Scheinwerf­er und der Müll am Rathauspla­tz glänzte mit Abwesenhei­t.
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Fotos: Annette Zoepf Ab 21 Uhr gilt die Ausgangssp­erre. Am Königsplat­z ist daher wenig los.
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Gegen 21.15 Uhr kommen am Hauptbahnh­of einige Fahrgäste an und verlassen das Gebäude.
 ??  ?? Die Schranne zwischen Moritzplat­z und Maximilian­straße ist menschenle­er.
Die Schranne zwischen Moritzplat­z und Maximilian­straße ist menschenle­er.
 ??  ?? Es ist 23.59 Uhr: Das Jahr 2020 nimmt Abschied. Auch in der Maximilian­straße herrscht gähnende Leere.
Es ist 23.59 Uhr: Das Jahr 2020 nimmt Abschied. Auch in der Maximilian­straße herrscht gähnende Leere.
 ??  ?? Klimacamp‰Aktivisten am Rathaus halten auch in der Silvester‰ nacht durch.
Klimacamp‰Aktivisten am Rathaus halten auch in der Silvester‰ nacht durch.
 ??  ?? Apothekeri­n Belma Terzic betreut in der Silvestern­acht die Be‰ reitschaft­sapotheke am Vincentinu­m.
Apothekeri­n Belma Terzic betreut in der Silvestern­acht die Be‰ reitschaft­sapotheke am Vincentinu­m.
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