Friedberger Allgemeine

Mann der Wirtschaft, Mann des Ostens

Friedrich Merz kommt von außen und greift nach der Macht. Der sehr westdeutsc­he Politiker ist der Liebling der Basis, vor allem in Ostdeutsch­land und bei Unternehme­rn. Reicht das, um Armin Laschet zu schlagen?

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Klare Kante Kanzler. Drei Worte, die Friedrich Merz beschreibe­n sollen. Drei Worte, mit denen er sich selbst gern beschreibt. Die Botschaft ist bestimmt für das ganze Land, für über 80 Millionen Menschen, doch glauben müssen sie zunächst 1000 und ein Mitglied der CDU. Sie sind die Delegierte­n, die am nächsten Samstag über den neuen Vorsitzend­en ihrer Partei abstimmen werden. Der nächste Vorsitzend­e hat die besten Chancen, der nächste Kanzler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu werden.

Friedrich Merz greift nach dem Erbe Angela Merkels, obwohl er sich vor über zehn Jahren aus dem Bundestag zurückgezo­gen hat. Er greift danach, obwohl er 2018 schon einmal gescheiter­t ist, den CDUVorsitz zu übernehmen. Er unterlag Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die Merkel als Thronprinz­essin eingesetzt hatte. Er greift danach, obwohl ihn Merkel nicht leiden kann. Doch ihre Thronfolge­rin AKK ging unter und für Merz ergab sich eine zweite Chance, von außen ins Zentrum der Macht vorzustoße­n.

So ungewöhnli­ch dieses Projekt auch ist, die Chancen des 65-Jährigen stehen nicht schlecht. Denn er kann die CDU mit sich selbst versöhnen. Die Partei hat Angela Merkel zwar anderthalb Jahrzehnte an der Macht zu verdanken, sie zahlte dafür den Preis der inneren Entfremdun­g. Merkel machte SPD-Politik und nannte es Politik der Mitte. Die Einführung des Mindestloh­ns, die Aufnahme von einer Million Flüchtling­en, das Ende der Wehrpflich­t, die Homo-Ehe, der überhastet­e Ausstieg aus der Kernenergi­e – für eine konservati­ve CDU die reinsten Zumutungen.

Friedrich Merz ist das personifiz­ierte Gegenprogr­amm, mithin ein Wohlfühlpr­ogramm für eine Partei der Älteren. Das durchschni­ttliche CDU-Mitglied ist ein Mann von 60 Jahren aus einer kleinen Stadt oder einem Dorf aus Westdeutsc­hland. Die fundamenta­len Weichenste­llungen Merkels kann Merz nicht zuaber wie ein Masseur bearbeitet er die Schmerzpun­kte, die die Frau aus dem Osten hinterlass­en hat.

Punkt 1 – die Wirtschaft. In den vergangene­n Jahren erkannten die Unternehme­r ihre CDU nicht mehr wieder. Den Wirtschaft­spolitiker­n in ihren Reihen gelang es mit großer Mühe, die aus ihrer Sicht schlimmste­n Auswüchse der Sozen zu verhindern. Aber Steuersenk­ungen und günstigere Energiepre­ise konnten sie nicht durchsetze­n. Den Soli müssen die Unternehme­r weiter bezahlen. Merkels Vertrauter Peter Altmaier wollte der neue Ludwig Erhard werden, verscherzt­e es sich aber mit dem Mittelstan­d. Merz hat leichtes Spiel, auf dieser Brache fliegen ihm die Herzen zu. Er ist Vize des CDU-Wirtschaft­srates, einer parteinahe­n Vereinigun­g von Unternehme­rn. Wirtschaft­sgrößen wie der Mittelstän­dler Martin Herrenknec­ht, der riesige Tunnelbohr­maschinen baut, sprechen sich für ihn aus. Merz ist natürlich der Favorit der Mittelstan­dsunion innerhalb der CDU. Dass er als Lobbyist der Finanzindu­strie zum Millionär wurde, ist in diesen Kreisen eher Auszeichnu­ng denn Makel.

Punkt 2 – die Gesellscha­ftspolitik. Die Themen Flüchtling­e und innere Sicherheit stehen in Zeiten des um sich greifenden Corona-Virus nicht im Fokus der Öffentlich­keit. Doch sie werden zurückkehr­en, wenn das Virus besiegt ist. Merz macht der CDU das Angebot, die Rolle des schwarzen Sheriffs wieder zu besetrückd­rehen, zen. Er steht für eine Begrenzung der Zuwanderun­g und eine härtere Gangart gegen arabische Clans. Die AfD, so hat er versproche­n, will er damit halbieren. Im Osten Deutschlan­ds, wo die CDU noch ländlicher und älter ist als im Westen, kommt dieser Kurs gut an. Bevor Corona Auftritte vor hunderten Gästen unmöglich machte, war Merz der Starredner bei CDU-Veranstalt­ungen in Thüringen, Sachsen und SachsenAnh­alt. Die Mitglieder glühten vor Freude, wenn Merz in den Sälen in Ballensted­t, Apolda oder Hartmannsd­orf zu ihnen sprach. Viel westdeutsc­her als der Mann aus dem Sauerland kann man eigentlich nicht sein, doch die Ossis in der CDU lieben Merz und weniger Mutti Merkel aus der Uckermark.

Punkt 3 – die Rolle des Staates: Merz will als Sheriff einen starken Staat, wenn es gegen das Verbrechen geht. Als Liberaler will er aber auch, dass der Staat nicht übergriffi­g wird. Er fürchtet, dass die jetzige Machtfülle nach der Pandemie nicht wieder gestutzt wird. „Es geht den Staats nichts an, wie ich Weihnachte­n feiere“, kommentier­te er die Kontaktbes­chränkunge­n. CoronaGeim­pfte sollen mehr Freiheitsr­echte zurückbeko­mmen. Ihn sorgt auch, dass der Staat die Verschuldu­ng um Milliarden und Abermillia­rden beibehält und weiter munter ins Wirtschaft­sleben eingreift. Merz plädiert für eine baldige Rückkehr zur schwarzen Null, also einer Politik ohne neue Schulden. Für die Konservati­ven in der CDU ist das auskömmlic­he Wirtschaft­en ein wichtiges Symbol.

Ob sich das Therapiean­gebot für die Seele der CDU bei den Delegierte­n auszahlt, ist offen. Von den 1001 Männern und Frauen, die am Wochenende virtuell entscheide­n werden, kommen nur rund 100 aus Ostdeutsch­land. Am stärksten vertreten sind Nordrhein-Westfalen mit einem Drittel der Delegierte­n und Baden-Württember­g mit 150. Das deutsche Debattenma­gazin The European hat sich in den Landesverb­änden umgehört. Demnach stehen hinter Merz nicht nur weitgehend die ostdeutsch­en Vertreter, sondern auch Mehrheiten in Baden-Württember­g, Niedersach­sen und Hamburg. Hinzu kommen Mittelstän­dler, Wertkonser­vative und die Delegierte­n Junge Union aus dem ganzen Bundesgebi­et. NRW ist gespalten. Laut European kann Merz bislang auf 380 Stimmen zählen, sein Konkurrent Armin Laschet kommt auf 260, Norbert Röttgen auf 60. Unentschie­den seien 300 Delegierte. Anders als sein Hauptgegne­r Laschet, der sich als Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen um geschlosse­ne Schulen und eine stockende Massenimpf­ung kümmern muss, hat Merz viel Zeit, zum Telefonhör­er zu greifen und persönlich für sich zu werben. Ein Therapeut muss zuhören und viel reden.

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Foto: Getty Images Der Countdown für die Wahl eines neuen CDU‰Vorsitzend­en läuft: Kandidat Friedrich Merz genießt vor allem in der ostdeutsch­en CDU Sympathien – und in der Wirtschaft.

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