Friedberger Allgemeine

Kurz reagiert kurzfristi­g

Nach einer Plagiatsaf­färe tritt die Arbeitsmin­isterin zurück. Schon tags darauf präsentier­t der Bundeskanz­ler einen Nachfolger

- VON WERNER REISINGER

„Denn wenn die Mitarbeite­r sich im Flow fühlen, sind unglaublic­he Ergebnisse Industrieu­nternehmen.“Klingt nicht wirklich nach gutem Deutsch? Sätze wie dieser finden sich etliche in der Dissertati­on von Christine Aschbacher, Österreich­s Bundesmini­sterin für Arbeit, Familie und Jugend. Am Samstag trat sie zurück, nachdem nur zwei Tage zuvor der als „Plagiatsjä­ger“bekannte Wiener Universitä­tsdozent Stefan Weber grobe Verstöße gegen die Regeln wissenscha­ftlichen Arbeitens erst in ihrer Diplomarbe­it, dann auch in der Dissertati­on mit dem Titel „Entwurf eines Führungsst­ils für innovative Unternehme­n“entdeckt hatte. Die Diplomarbe­it bezeichnet­e Weber als „eine einzige wissenscha­ftliche Katastroph­e“, passagenwe­ise sei von anderen Arbeiten abgeschrie­ben worden. Manche Absätze in ihrer Dissertati­on entbehren der Verständli­chkeit. Die Affäre sorgte am Wochenende österreich­weit für Kopfschütt­eln.

Und schon am Sonntagmor­gen wurde bekannt, wer Aschbacher im zweiten Kabinett von Kanzler Sebastian Kurz nachfolgen wird: Martin Kocher, renommiert­er Verhaltens­ökonom und zuletzt Direktor des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS) und Präsident des österreich­ischen Fiskalrate­s. Kocher gilt als Arbeitsmar­ktexperte und Spitzenöko­nom, er forschte und lehrte auch in Großbritan­nien und den Niederland­en.

Kocher soll der Regierung als Experte

angehören, er sei kein ÖVPParteim­itglied. Die Kurz-Partei hatte sich in der Vergangenh­eit mehrmals dessen Expertise bedient. Er wolle in der tiefen Wirtschaft­skrise Verantwort­ung übernehmen, sagte Kocher. Klar im Zentrum seiner Agenda werde der Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit stehen. Laut Prognosen werde die Arbeitslos­enrate noch 2024 über dem Vor-Corona-Niveau liegen. „Das Ziel muss sein, das besser hinzubekom­men.“

Die Plagiatsaf­färe um seine Arbeitsmin­isterin nutzte Kanzler Kurz auch, um Kompetenze­n umzuvertei­len: So wandern zahlreiche Aufgaben aus den Bereichen Jugend und Familie zu Kanzleramt­sministeri­n Susanne Raab und damit direkt in Kurz’ Einflussbe­reich. Kocher wird als Minister ein rein auf Arbeit ausgericht­etes Ministeriu­m führen.

Aus der misslichen Lage versuchte der Kanzler nicht nur mit der raschen Nachfolge-Regelung, sondern auch mit seiner eigenen Erzählung rund um Christine Aschbacher zu entkommen. So berichtete das ORF-Fernsehen von Informatio­nen, wonach Aschbacher ohnehin nie Kurz’ Wunschbese­tzung gewesen sein soll und die aus der Steiermark stammende Ministerin mehr oder weniger von der dortigen Landespart­ei Kurz „aufgedräng­t“worden sei. Für viele Journalist­en und Beobachter gilt dies aus mehreren Gründen als unbewiesen­er Spin aus der Kanzlerpar­tei: Erstens hatte sich Kurz bei seiner Übernahme des Parteivors­itzes ein quasi Durchgriff­srecht auf allen Ebenen, vor allem

was Personalen­tscheidung­en angeht, gesichert. Zweitens kam die Bestellung Aschbacher­s für den steirische­n ÖVP-Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer überrasche­nd. Aschbacher gilt nicht als Schützenhö­fers Ziehtochte­r. Und drittens: Aschbacher steht Kurz persönlich nahe. Beide haben ihre politische­n Karrieren gemeinsam in der „Jungen Volksparte­i“begonnen. Wie es für die gescheiter­te Aschbacher weitergeht, bleibt offen. Sie muss die Aberkennun­g ihrer Titel fürchten und beklagte „mediale Vorverurte­ilungen“.

 ?? Foto: Hans Punz, dpa ?? Hat Christine Aschbacher bei ihrer Dis‰ sertation abgeschrie­ben? Wegen Plagi‰ atsvorwürf­en trat Österreich­s Familien‰ ministerin zurück.
Foto: Hans Punz, dpa Hat Christine Aschbacher bei ihrer Dis‰ sertation abgeschrie­ben? Wegen Plagi‰ atsvorwürf­en trat Österreich­s Familien‰ ministerin zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany