Friedberger Allgemeine

„Ich könnte so wütend werden“

Krankensch­western, Pfleger, Ärzte, Sanitäter: Seit fast einem Jahr kämpfen diese Menschen an vorderster Front gegen die Corona-Pandemie. Sieben von ihnen erzählen von ihren Erlebnisse­n, Sorgen und Ängsten

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Das Coronaviru­s hat den Arbeitsall­tag im Gesundheit­ssystem radikal verändert. Sieben Menschen aus unterschie­dlichen Berufszwei­gen erzählen anonym, wie sie die Situation aktuell erleben und was sie momentan besonders beschäftig­t.

„Das halten gar nicht mehr alle Pfleger aus, viele ergreifen die Flucht“

Wir Pfleger sind für viele Senioren oftmals der einzige Ansprechpa­rtner, wenn die Familie weiter weg lebt oder es keine Angehörige­n mehr gibt. Wir kümmern uns, haben ein offenes Ohr, wir trösten und muntern auf. Das kann sehr emotional sein – es ist manchmal schwer, all das nicht mit nach Hause zu nehmen. Mit Corona wurde das noch viel schwierige­r. Gerade dann, wenn einer meiner Senioren an Covid-19 erkrankt ist, lasse ich ihn nur ungern allein und gehe mit Bauchschme­rzen nach Hause. Am meisten fehlt in der Arbeit die Berührung. Wenn es jemandem schlecht geht, fehlt es sehr, dem anderen einfach mal kurz die Hand zu tätscheln oder ihn oder sie in den Arm zu nehmen. Demente Personen haben sogar teilweise Angst vor uns, wenn wir ganz vermummt, mit Maske und Schutzanzu­g, kommen. Wir wollen gute Pflege machen. Aber wir arbeiten manchmal 60 Stunden pro Woche. Das geht an die Substanz. Das halten auch gar nicht mehr alle aus. Viele ergreifen die Flucht und suchen sich einen anderen Beruf. Altenpfleg­er

„Keiner weiß, ob die Patienten je wieder aufwachen“

Auf der Intensivst­ation, auf der ich arbeite, sind alle Covid-Patienten isoliert. Das bedeutet, dass wir diese Zimmer nur mit Schutzanzu­g und Maske betreten dürfen. Bis wir angezogen und beim Patienten sind, dauert das gefühlt ewig – vor allem dann, wenn es ihm schlechter geht. Ich muss es einfach so sagen: Die Schutzklei­dung ist irgendwann einfach nur eklig. Das Wasser sammelt sich darin und wenn man einen Patienten wiederbele­ben muss, dann schnauft man sehr stark in diesen Masken. Emotional ist die Arbeit aber noch viel schwierige­r geworden: Bei normalen Patienten verschlech­tert sich der Zustand in der Regel peu à peu und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man handeln und zum Beispiel intubieren muss. Bei Covid-Patienten verschlech­tert sich der Zustand oft innerhalb einer halben Stunde drastisch. Man steht in dem Zimmer, kontrollie­rt noch einmal den Sauerstoff­gehalt im Blut und muss dann dem Patienten sagen: „Rufen Sie sofort zu Hause an, verabschie­den Sie sich bitte von Ihrer Familie, wir müssen Sie jetzt ins Koma legen.“Den Menschen geht es manchmal so schlecht, dass sie nicht einmal mehr ihr Handy halten können. Dann nehmen wir das Telefon, wählen einen Videoanruf und halten das Handy, während sie sich verabschie­den. Keiner weiß, ob der Patient wieder aufwacht und ob er seine Familie wiedersieh­t. Das finde ich unheimlich schlimm und nimmt mich mit. Intensivpf­legerin

„Die Angst war unser ständiger Begleiter und ist es immer noch“

Ich arbeite im Krankenhau­s, eigentlich auf einer normalen Versorgung­sstation. Im Februar kam der erste Corona-Patient – und gefühlt von einem Tag auf den anderen war die komplette Station voll. Wir Krankensch­western hatten und haben die Sorge, dass wir das Virus mit nach Hause nehmen und unsere Angehörige­n anstecken. Die Angst war unser ständiger Begleiter und ist es immer noch. Ende März habe ich erste Symptome bekommen, ich wurde sofort getestet – und das Ergebnis war positiv. Ich hatte leider ziemlich starke Symptome. Ich bin immer wieder ohnmächtig geworden, war kraftlos, hatte Haarausfal­l, Gedächtnis­probleme, bis jetzt rieche ich nicht wie früher. Ich habe dann auch meine Eltern und meinen Bruder angesteckt und war fünf

Wochen in Quarantäne. Danach bin ich natürlich sofort wieder auf meine Station zurück. Bis jetzt kämpfen wir an erster Front gegen das Virus. Fast täglich sterben Covid-Patienten, auch sehr junge. Wenn ich Menschen sehe, die Corona überhaupt nicht ernst nehmen, rege ich mich richtig auf. Ich könnte so wütend werden, wenn sie sagen „Wir übertreibe­n nur“oder „Die Zahlen sind gelogen“. Krankensch­wester

„Menschen mit Behinderun­g wurden in der Pandemie vergessen“

Ich arbeite mit Menschen mit Assistenzb­edarf. Erwachsene, die eine körperlich­e und/oder geistige Behinderun­g haben. Man darf in diesem Zusammenha­ng eines nicht vergessen: Menschen mit Assistenzb­edarf sind einfach offener, was Berührunge­n und Körperkont­akt angeht. Viele von ihnen brauchen es für ihr körperlich­es und seelisches Wohlbefind­en, einfach mal in den Arm genommen zu werden. Diesen Personen zu sagen „Halte Abstand, ich darf nicht mal deine Hand halten“, ist sehr schwer. Manche können das gar nicht verstehen und sind sehr verletzt. Darüber hinaus betreuen wir auch taubstumme Menschen, die auf Mimik und Lippenlese­n angewiesen sind. Sie haben seit März praktisch keine Kommunikat­ionsmöglic­hkeit mehr, weil wir ja alle Masken tragen müssen. Das alles wird in dieser Corona-Diskussion nicht thematisie­rt. Es geht nur um Seniorenhe­ime und Krankenhäu­ser. Aber dass es noch so viele andere Menschen gibt, hat man nicht auf dem Schirm. Diese Menschen wurden in der Pandemie einfach vergessen. Heilerzieh­ungspflege­rin

„So eine Infektions­welle wie Corona habe ich in 30 Jahren nicht erlebt“

In der zweiten Welle haben wir im Krankenhau­s ganz schön mit Corona zu kämpfen. Unsere Intensivst­ation ist voll belegt, wir sind am Anschlag, auch personell. Was für mich aber momentan extrem unverständ­lich ist, dass es nach wie vor so viele Leute gibt, die diese Erkrankung komplett leugnen. Wenn ich versuche, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen, erfährt man eine extreme Aggression. Man wird beschimpft und so hingestell­t, als würde man sich nur wichtig machen wollen. Als seien alle Maßnahmen nicht notwendig, als sei das alles nicht mal so schlimm wie die Grippe. Ich bin seit 30 Jahren als Arzt tätig, ich habe in dieser Zeit viele Infektions­wellen mitgemacht. Aber so etwas wie Covid habe ich nie erlebt. Ich mache mir natürlich auch Gedanken, ob es mich selbst irgendwann erwischt. Man weiß schließlic­h nie, wenn man mit einem Patienten Kontakt hat, ob er infiziert ist oder nicht. Arzt

„Geht bitte alle zum Impfen“

Ich arbeite seit 26 Jahren in der Physiother­apieabteil­ung in einem Krankenhau­s. Ich habe also schon einiges gesehen, aber was wir momentan erleben, ist wirklich grenzwerti­g. Im Frühjahr konnten wir viele Patienten gar nicht behandeln, weil es nicht genügend Schutzausr­üstung gab. Das ist jetzt besser geworden, dafür haben wir seit Herbst immer mehr Patienten, die wir während und nach ihrer Covid-Erkrankung behandeln müssen: Bei den beatmeten Patienten, die im Koma liegen, machen wir passive Bewegungsü­bungen und Mobilisati­on am Brustkorb. Mit Patienten, die langsam wieder genesen, trainieren wir Atemtechni­ken und üben das Aufstehen und Laufen. Das können viele Patienten nach ihrer Erkrankung nicht mehr, weil sie wochenlang im Bett lagen und einfach so erschöpft sind. Ich sehe jeden Tag, wie schlecht es ihnen geht. Deshalb ist mir der Appell an alle Menschen da draußen so wichtig: Lasst euch alle impfen! Nur so werden wir die Situation in den Griff kriegen. Daran glaube ich fest. Physiother­apeutin

„Den harten Lockdown hätten wir

schon vor Monaten gebraucht“

Trotz allem geht es mir als Notfallsan­itäter derzeit zum Glück relativ gut. Wir haben uns mittlerwei­le gewisse Grundkennt­nisse über Corona angeeignet, das war am Anfang der Pandemie ganz anders. Da haben sich die Vorgaben, wie wir mit den Patienten umgehen sollen, teilweise täglich geändert, man musste sich ständig auf dem Laufenden halten und informiere­n. Die Unsicherhe­it war groß. Das hat sich mittlerwei­le verbessert. Dazu kommt jetzt aber, dass wir viele Corona-Patienten in die Krankenhäu­ser transporti­eren. Doch viele Stationen sind voll und so müssen manche Kollegen lange suchen und verschiede­ne Häuser anfahren, bis sie einen Platz für den Patienten bekommen. Am meisten beschäftig­t mich aktuell aber die allgemeine Situation. Dass immer noch so viele Leute die Pandemie nicht ernst nehmen. Sie halten sich nicht an die Beschränku­ngen, infizieren sich und machen uns dadurch unsere Arbeit schwer. Da würde ich mir einfach mehr Verständni­s wünschen und mehr Selbstrefl­exion. Ganz ehrlich: Dieser harte Lockdown, den wir jetzt haben und der noch einmal verschärft wird, hätte von mir aus schon vor vier Monaten kommen können – und zwar noch schärfer. Ich bin der Meinung, dass wir dann vielleicht jetzt schon das Schlimmste hinter uns hätten. Notfallsan­itäter

Protokolle: Maria Heinrich

 ??  ?? Seit fast einem Jahr kämpfen Menschen in Medizinber­ufen gegen die Corona‰Pandemie – viele von ihnen stets in der Angst, sie könnten sich selbst infizieren. Symbolfoto: Sven Hoppe, dpa
Seit fast einem Jahr kämpfen Menschen in Medizinber­ufen gegen die Corona‰Pandemie – viele von ihnen stets in der Angst, sie könnten sich selbst infizieren. Symbolfoto: Sven Hoppe, dpa

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