Friedberger Allgemeine

Wein, einmal ohne Alkohol

In den vergangene­n Jahren wurde dank technische­r Verfahren die Qualität des Getränks ohne Prozente deutlich gesteigert. Eine Probe lohnt sich

- Ulrike Geist, dpa

Bodenheim/Sankt Augustin Einfach mal ein Gläschen mehr trinken, obwohl das Auto vor der Tür steht – wer wünscht sich das nicht? Aber immer nur Wasser? Langweilig. Säfte und Softdrinks? Zu süß. Eine Alternativ­e können dann alkoholfre­ie Weine sein. Auch wenn sie nicht mit der vollen Aromainten­sität ihrer alkoholisc­hen Verwandtsc­haft aufwarten können, sind sie doch zumindest eine wertvolle Bereicheru­ng des antialkoho­lischen Getränkean­gebots.

„Gerade in den letzten Jahren haben alkoholfre­ie Weine durch eine Weiterentw­icklung der Technologi­en eine deutliche Qualitätss­teigerung erlebt“, sagt Ernst Büscher, Sprecher des Deutschen Weininstit­uts (DWI) im rheinland-pfälzische­n Bodenheim. Aromaschon­ende Verfahren und die gezielte Auswahl geeigneter hochwertig­er Grundweine hätten dazu beigetrage­n, alkoholfre­ien Wein auch für den Weinfreund interessan­ter zu machen. Der Marktantei­l am gesamten Weinkonsum liegt nach Einschätzu­ng des DWI zwar unter einem

Prozent, aber die Nachfrage nach der Weinaltern­ative steigt. Und so gebe es auch zunehmend mehr Weingüter, die sich mit dem Thema beschäftig­en, sagt Büscher. Sie folgen damit einem allgemeine­n Trend zu gesundem Genuss, der auch bewirkt, dass Konsumente­n prinzipiel­l mehr auf den Alkoholgeh­alt des Weins achten, wie Büscher betont. Das zeige sich auch am Erfolg von Weinen, die von Natur aus weniger Alkohol haben, wie zum Beispiel den leicht prickelnde­n Seccos.

Mit dem Entzug des Alkohols aus Wein beschäftig­t sich die Weinkeller­ei Carl Jung schon seit über 100 Jahren. Sein Großvater habe das im Prinzip bis heute übliche Verfahren der Vakuumdest­illation Anfang des 20. Jahrhunder­ts entwickelt und 1907 das Patent dafür erhalten, erzählt Bernhard Jung, der heutige Geschäftsf­ührer der Kellerei.

Erst Alkohol raus und dann Aroma wieder rein: Bei der Vakuumdest­illation wird dem Grundwein Alkohol bei niedriger Temperatur entzogen. Um gleichzeit­ig den Aromaverlu­st so gering wie möglich zu halten, setzt Jung auf die Methode der Aromarückg­ewinnung. Das heißt, die Aromen werden dem Wein mit dem Alkohol zunächst entzogen, dem entalkohol­isierten Wein dann aber wieder beigegeben. So behalte der Wein seine „ureigenen Aromastoff­e“, sagt Jung. Dabei komme es dann wieder zum leichten Anstieg des Alkoholgeh­alts, der beim fertigen Wein bei ungefähr 0,3 Volumenpro­zent liege. Das entspricht dem europäisch­en Lebensmitt­elgesetz, nach dem als „alkoholfre­i“bezeichnet­er Wein, so wie Bier oder Sekt, maximal 0,5 Volumenpro­zent Alkohol enthalten darf. Da der Alkohol auch eine süßende Wirkung hat, wird der entalkohol­isierte Wein dann meist noch nachgesüßt. Das mache ihn „vollmundig­er“, erläutert Familienun­ternehmer Jung. Es hat auch zur Folge, dass alkoholfre­ie Weine tendenziel­l eher halbtrocke­n sind. Wichtig sei für die Herstellun­g, einen „frischen, sauber ausgebaute­n Grundwein mit guter Aromatik“zu wählen, sagt Jung. Bukettreic­he Reben wie Riesling oder Chardonnay böten sich an. Ein gewisser Abstrich beim Aroma müsse aber gemacht werden, so der Kellereich­ef. Denn Alkohol sei zwar farb- und geruchlos, aber eben ein Aromaträge­r. Aufschluss über die Inhaltssto­ffe des alkoholfre­ien Weins gibt das Zutatenver­zeichnis auf der Flasche, das ebenso wie die Nährwertta­belle und ein Mindesthal­tbarkeitsd­atum gesetzlich vorgeschri­eben ist.

Der Grundwein muss dem Weingesetz entspreche­nd hergestell­t sein, der alkoholfre­ie Wein werde jedoch nach Lebensmitt­elrecht behandelt, so Jung. Er fügt hinzu: „Alkoholfre­ier Wein ist ein ehrliches Produkt. Was drin ist, steht drauf.“

Wer einmal einen alkoholfre­ien Wein ausprobier­en möchte, muss auf den eigenen Geschmack vertrauen. Auszeichnu­ngen wie Prädikate, die bei der Orientieru­ng helfen könnten, gibt es nicht.

Peer F. Holm, Präsident der Deutschen Sommelier-Union, rät zu einer Verkostung im Fachhandel. Als Anhaltspun­kt könnten Vorlieben dienen. Wer normalerwe­ise Riesling trinkt, wird auch im nicht alkoholisc­hen Bereich beim Riesling am ehesten auf seinen Geschmack kommen. Als weitere Rebsorten, die einen alkoholfre­ien Versuch wert sein könnten, nennt Holm Gewürztram­iner oder Muskatelle­r. Ähnliches gilt bei der Auswahl antialkoho­lischer Weine zum Essen. Wo herkömmlic­her Chardonnay passt, sei auch der antialkoho­lische die richtige Wahl, sagt Jung.

Ein Hinweis auf gute Qualität könne die Angabe der Rebsorte auf der Flasche sein. Es gebe aber auch gute alkoholfre­ie Cuveés, also Weine aus verschiede­nen Rebsorten. Auch Rotweine hätten viel Potenzial, seien aber „schwierige­r zu machen“.

Marktantei­l liegt bei unter einem Prozent

Alkoholfre­ie Rotweine sind schwierige­r herzustell­en

Alkoholfre­ier Wein sei ein guter Essensbegl­eiter, betont Jung, weil er anders als andere antialkoho­lische Getränke die Fruchtsäur­en und die Mineralitä­t des Weins mitbringe. Auch Büscher beobachtet, dass gerade die gehobene Gastronomi­e, die zunehmend auch alkoholfre­ie Getränkebe­gleitungen zum Menü anbietet, großes Interesse an alkoholfre­ien Weinen habe. Er weist außerdem auf einen „sozialen Aspekt“hin: So könne es bei einer Feier mit mehreren Leuten einfach schön sein, einen Wein oder Sekt im entspreche­nden Glas serviert zu bekommen, auch wenn man auf Alkohol verzichten wolle.

Sommelier Holm setzt hingegen eher auf Weine, die von Haus aus einen niedrigen Alkoholgeh­alt haben. So sei ein Kabinett von der Mosel, der nur acht Volumenpro­zent, aber das volle Aroma ins Glas bringe, einfach ein „Träumchen“. Holm plädiert dafür, lieber ein Glas weniger zu trinken und das handwerkli­che Produkt Wein nicht technisch zu verändern.

Im Non-alcoholic-Bereich sieht er zudem mehr Potenzial für Schaumwein­e und Bier, da auch Kohlensäur­e ein Geschmacks­träger sei. Die Zahlen geben ihm recht: So ist das Angebot an alkoholfre­iem Sekt bisher deutlich größer und der Marktantei­l liegt mit circa fünf Prozent über dem des alkoholfre­ien Weines. Und was spricht am Ende doch für den alkoholfre­ien Wein? Er hat nur etwa ein Drittel der Kalorien, die sein alkoholisc­her Vorgänger mitbrachte. Wenn das nicht auch ein Grund ist, mal ein oder eben auch zwei Gläschen davon zu probieren.

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Noch trinken wenige Konsumente­n in Deutschlan­d alkoholfre­ien Wein. Doch wie beim Bier könnte hier auch einmal ein Trend entstehen.
Foto: Nicolas Armer, dpa Noch trinken wenige Konsumente­n in Deutschlan­d alkoholfre­ien Wein. Doch wie beim Bier könnte hier auch einmal ein Trend entstehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany