Friedberger Allgemeine

„Wir nehmen unsere Füße kaum wahr“

Schmerzen, Wunden und Überlastun­gen sind Probleme, mit denen sich viele Menschen herumplage­n. Höchste Zeit also, einen Fuß-Check zu machen. Der Physiother­apeut und Fußexperte Ulrich Betz hat Tipps

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Herr Dr. Betz, warum ist es wichtig, auf gesunde Füße zu achten?

Ulrich Betz: Die Füße sind die Region im Bewegungss­ystem, die nach dem Rücken am häufigsten von Schmerzen betroffen ist. Das wird gar nicht so richtig wahrgenomm­en. Wirbelsäul­enschmerze­n sind in aller Munde, aber dass die Füße auch so große Probleme machen, ist weniger ein Thema.

Woran liegt das?

Betz: Teil des Problems ist, dass wir unsere Füße nur wenig wahrnehmen. Sie stecken von Kindesbein­en an in Schuhen. Jetzt im Winter sehe ich meine Füße sowieso kaum: In der Frühe ziehe ich Strümpfe drüber und ziehe sie erst wieder aus, wenn es dunkel ist. Füße sind in der Wahrnehmun­g also weit weg. Dort können Dinge passieren, die wir uns an den Händen nie gefallen ließen, also Fehlstellu­ngen, Schwielen, schiefe Zehen und so weiter. Viele nehmen das auch deshalb kaum wahr, weil es lange nicht wehtut. Viele Fehlstellu­ngen entwickeln sich erst einmal schmerzfre­i. Das kann zehn, zwanzig Jahre lang gut gehen.

Sollte man die Füße also öfter mal auspacken?

Betz: Das wäre der erste Schritt, um langfristi­g gut mit den Füßen zurechtzuk­ommen: einfach mal nach ihnen zu schauen und sie zu pflegen, also mal ein Fußbad zu machen und sie eincremen. Es ist unwahrsche­inlich, wie viele Menschen mit Schwielen unter den Füßen zu uns kommen und an diesen Stellen natürlich auch Schmerzen entwickeln. Das ist ja so, wie wenn Sie eine Linse in den Schuh stecken würden.

Oft wird Barfußlauf­en empfohlen. Ist das wirklich so gesund?

Betz: Das kann einem gesunden Fuß guttun. Bei einem Fuß, der erkrankt, ist das anders. Wenn man Füße hat, die dafür eigentlich nicht geeignet sind, kann man sich durch Barfußlauf­en schnell Schmerzen und Wunden holen. Beim diabetisch­en Fuß kann es sogar gefährlich sein, weil dabei Verletzung­en entstehen können, die nicht mehr heilen. Es gibt auch Fußfehlfor­men wie Senk-, Spreiz- oder Hohlfüße, die durch Barfußlauf­en schnell überlastet werden.

Woher weiß ich, ob meine Füße geeignet sind? Muss ich vor jedem Barfußlauf­en meinen Arzt fragen ...?

Betz: Ach nein. Wichtig ist, dass man ein grundsätzl­iches Wissen über seine Füße und ihren Zustand hat. Nur wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich einen Hohlfuß habe, weiß ich auch, wie ich mit meinem Fuß umgehen sollte. Wenn dieses grundlegen­de Wissen in der Gesellscha­ft besser verbreitet wäre, könnten viele Fußschmerz­en vermieden werden.

Wie gelangt man an dieses Wissen? Betz: Es gibt viele Publikatio­nen zu

Füßen, sowohl im Internet als auch in Form von Büchern. Wir hier in Mainz haben eine Fußschule, wo Wissen zum Fuß vermittelt wird. Und zwar vor allem zu Fußfehlfor­men und was man aktiv dagegen machen kann. Bisher sind als Behandlung­smöglichke­iten ja hauptsächl­ich die Einlagen und, wenn die nicht mehr funktionie­ren, die Operatione­n im Bewusstsei­n. Den Menschen sollte aber klar werden, dass der Fuß genauso wie die Wirbelsäul­e ein durch Muskulatur gesteuerte­s Bewegungss­ystem ist und daher auch beeinfluss­t werden kann. Wenn ich einen Hallux valgus, also Ballenzeh, oder einen Knick-, Spreiz- oder Senkfuß habe, dann habe ich auch Muskeln, mich dagegen zu wehren. Das sind ja nur Haltungsab­weichungen. Bei einer schlechten Haltung der Wirbelsäul­e käme auch niemand auf die Idee, ein Korsett zu verschreib­en, sondern man würde sagen: Bewege dich! Trainiere deine Muskeln! Am Fuß macht man es aber genau anders herum. Da verschreib­t man sozusagen das Korsett, indem man eine Einlage in den Schuh legt und der Fuß passiv in die Korrekturs­tellung gebracht werden soll. Die Idee der Fußschule ist, Wissen zu vermitteln, die Wahrnehmun­g für den Fuß zu entwickeln und dann Übungen zu erlernen, die der Patient selber machen kann, um genau diese natürliche­n Funktionen des Fußes wieder zu erlernen.

Kommen die Leute erst, wenn sie Schmerzen haben?

Betz: Viele ja, aber wir haben auch Prävention­skurse. Es ist immer leichter, an solchen Haltungspr­oblemen zu arbeiten, wenn keine akuten Schmerzen da sind.

Was könnte darauf hindeuten, dass sich etwas entwickelt?

Betz: Ich finde es gut, wenn die Leute so eine Art Fuß-Check bei sich machen. Das ist ganz einfach. Erstens: Wenn man sich hinstellt und einem jemand von hinten auf die Füße guckt, dann müssen die Fersen senkrecht stehen. Das Zweite: Wenn man die Innenseite des Fußes anschaut, dann muss ein deutlicher Längsbogen von der Ferse hin zum Vorfuß zu sehen sein. Das Dritte sind die Zehen. Sie sollten in Verlängeru­ng des Mittelfuße­s gerade nach vorne zeigen und nicht wie beim Hallux valgus nach außen. Außerdem sollten sie nicht gekrümmt, sondern flach ausgestrec­kt sein. Wenn man sich bei der Einschätzu­ng unsicher ist, sollte man sich bei einem Fußspezial­isten vorstellen.

Welche Übungen kann jeder daheim machen?

Betz: Das ist eine schwierige Frage, weil es immer darauf ankommt, was man für einen Fuß hat. Bei einem Hohlfuß sollte man andere Übungen machen als bei einem Senkfuß. Die leichteste Übung, bei der man nicht viel falsch machen kann, geht so: Wenn Sie in Rückenlage die Füße aufstellen, kann man die Fußsohlen platt auf den Boden legen. Lässt man die Knie auseinande­rfallen, so heben normalerwe­ise die Innenseite­n der Füße ab. Versuchen Sie mal, dies zu vermeiden und die Vorfüße am Boden stehen zu lassen, wenn Sie die Knie auseinande­rbewegen. Durch diese Übung wird der Fuß sozusagen in sich verwrungen, Rückfuß gegen Vorfuß, wie ein Handtuch. Dadurch wird das Längsgewöl­be aufgericht­et. Das ist die Schlüsselk­orrektur, die man in der Fußschule lernt. Das machen wir anschließe­nd auch im Sitzen und im Stand.

Ist es denn sinnvoll, ab und zu mit einem sogenannte­n Igel- oder Faszienbal­l zu rollern?

Betz: Ja, ich halte das für absolut sinnvoll. Bei Faszienbäl­len und -rollen kommt hinzu, dass sie auch die Durchblutu­ng fördern, vielleicht auch die Muskulatur etwas entspannen. Gerade bei Hohlfußpat­ienten ist das eine gute Sache. Aber all diese Dinge sind kein Training, sondern Wahrnehmun­gsübungen. Wer die Füße besser wahrnimmt, spürt auch eher, wenn die Schuhe nicht passen.

Welche Tipps haben Sie für den Schuhkauf?

Betz: Wir legen in der Fußschule die Füße auf ein Blatt Papier und umfahren den Fuß mit einem Stift. Dann sieht man, welche Fläche der Fuß bedeckt. Wenn man das ausschneid­et und auf die Fläche der Schuhe legt, sieht man, dass der Fuß oft viel mehr Platz braucht, als der Schuh bietet. Das heißt, der Schuh zwängt den Fuß in seine Form ein und die ist nicht unbedingt die, die der Fuß eigentlich gern hätte. Nach vorne werden die Schuhe oft schmaler. Eigentlich sollen die Zehen gerade nach vorne zeigen, das ist aber in den meisten Schuhen schlicht nicht möglich. Die Form des Fußes muss zur Form des Schuhs passen. Außerdem sind gerade günstige Schuhe oft sehr hart, sodass sich der Fuß nicht richtig bewegen kann. Ein Schuh muss in sich beweglich sein.

Interview: Angela Stoll

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Foto: Magdalena Rodziewicz, dpa Eine besondere Wohltat für die Füße ist ein Bad. Angereiche­rt mit ein paar Tropfen ätherische­m Öl oder Milch wirkt es noch bes‰ ser. Außerdem kann man so mal genau gucken, ob alle Zehen gesund aussehen.
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Dr. Ulrich Betz, 57, leitet das Institut für Physikali‰ sche Therapie, Prävention und Rehabilita­tion an der Unimedizin Mainz.

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