Friedberger Allgemeine

Das Wittelsbac­her Land exportiert Strom

Im Landkreis Aichach-Friedberg wird schon seit 2014 mehr elektrisch­e Energie regenerati­v erzeugt als verbraucht. Nach Jahren mit teils enormen Zuwächsen geht’s jetzt aber nur noch leicht aufwärts. Warum die Sonne ein Lichtblick ist

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach‰Friedberg Das Wittelsbac­her Land ist dem Freistaat voraus. In Bayern wird über die Hälfte des Stroms aus erneuerbar­en Energien erzeugt. 2019 lag der Anteil laut den Zahlen des Landesamte­s für Statistik bei 51,6 Prozent. Aichach-Friedberg erzeugt sogar einen Überschuss und „exportiert­e“rund 70 Millionen Kilowattst­unden Strom. Beides ist eine Entwicklun­g seit der Jahrtausen­dwende, aber für das Land Bayern kein Novum. Schon in den 60er-Jahren lag die Stromerzeu­gung aus erneuerbar­en Energien über 50 Prozent. Damals aber noch nahezu ausschließ­lich durch Wasserkraf­twerke. In den folgenden Jahrzehnte­n stieg der Stromhunge­r und der Großteil der Flüsse war schon ausgebaut. Aktuell hat die Wasserkraf­t mit rund 15,9 Prozent fast den gleichen Anteil wie die Photovolta­ik mit 16,1. Das ist zusammen mehr als die Stromerzeu­gung durch Kernenergi­e in den zwei noch laufenden Meilern.

Die beiden großen Wasserkraf­twerke am Lech im südlichen Teil des Landkreise­s laufen seit Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre und liefern heute in etwa ein Fünftel des Stroms, der hier verbraucht wird. Die Stromwende hat der Landkreis 2014 geschafft. Das heißt, die Menge an regenerati­v erzeugter Stromenerg­ie ist mindestens so groß wie der Verbrauch. Bis dahin ging es teils rapide bergauf. Seither stagniert der Ausbau: Sonne, Biogas, Biomasse, Wasserkraf­t und Wind erzeugten 2019 aber rechnerisc­h zwölf Prozent mehr Strom, als in den 24 Kommunen im gleichen Jahr verbraucht worden ist (Tabelle).

Nicht berücksich­tigt ist dabei der Eigenverbr­auch von regenerati­v erzeugtem Strom. Wenn zum Beispiel Sonnenstro­m direkt vom Dach nahezu verlustlos in die Elektroaut­oBatterie fließt und dann auf der Straße verbraucht wird, ist das für die Energiewen­de optimal – in unserer Tabelle aber nicht sichtbar. Denn dieser Strom wird nicht mehr ins Netz eingespeis­t, sondern direkt vor Ort verwendet und von den Versorgung­sunternehm­en auch nicht erfasst. Der Eigenverbr­auchsantei­l taucht also in der Statistik nicht auf.

Der „Stromexpor­t“von rund 70 Millionen Kilowattst­unden im Jahr 2019 verändert sich dadurch aber nicht. Das bedeutet, wenn der in Kommunen gemeldete Stromverbr­auch sinkt, liegt das nicht unbedingt an Einsparung­en. Große Energiever­braucher wie Unternehme­n mit Kraft-Wärme-KopplungsA­nlagen erzeugen Strom und nutzen einen möglichst großen Anteil selbst, um Kosten zu sparen, und speisen nur den Überschuss ein. Auch Photovolta­ikanlagen, die in den vergangene­n Jahren auf privaten Dächern und Firmengebä­uden gebaut wurden, sind in der Regel auf Eigenverbr­auch ausgelegt – Batteriesp­eicher helfen. Grund: Die Einspeisev­ergütung durch das EEG-Gesetz ist deutlich gesunken.

● Wind Für große Zuwächse im Wittelsbac­her Land sorgten Mitte des Jahrzehnts vor allem elf Windräder – sechs im Blumenthal­er Forst (seit Mitte 2016), drei bei Bachern (Friedberg, seit Ende 2015) und zwei bei Baar seit 2018. Diese Anlagen liefern zusammen grob hochgerech­net rund 60 Millionen Kilowattst­unden Strom pro Jahr. Das entspricht über zehn Prozent des Stromverbr­auchs des gesamten Landkreise­s. Die Anlagen in Baar speisen nicht auf der Gemeindefl­ur ins Netz ein und tauchen deshalb nicht in der Statistik auf.

● Biogas In diesem Energieseg­ment herrscht nach Boomjahren nahezu Stillstand. Bei Biogas oder Biomasse wird eher mal eine ältere oder defekte Anlage abgeschalt­et.

● Sonne Innerhalb eines Jahres sind rund 400 neue Photovolta­ikanlagen im Landkreis dazugekomm­en. Dazu sind nach einer Baupause von fast einer Dekade wieder einige Solarparks in der Planung und zum Teil schon ans Netz gegangen wie bei Sulzbach (Aichach).

● Strombilan­z Von den 24 Kommunen im Wittelsbac­her Land sind 15 „Stromexpor­teure“. Das heißt: Dort wird mehr Strom erzeugt als verbraucht. Vor 14 Jahren schafften im nördlichen Kreis gerade mal zwei Gemeinden überhaupt und nur knapp den Sprung über die Eigenverso­rgungsgren­ze – Sielenbach und Petersdorf. Stromübers­chuss bedeutet übrigens nicht, dass das Wit- telsbacher Land stromautar­k ist. Denn durch schwankend­e Erzeugung und fehlende Speichermö­glichkeit kann der Verbrauch nicht kontinuier­lich gedeckt werden.

● Stromautar­k Es gibt im Kreis aber mittlerwei­le mehrere Kommunen, die für sich selbst stromautar­k sind. Das bedeutet: In Gemeinden wie zum Beispiel Sielenbach oder Petersdorf wäre der Eigenbedar­f theoretisc­h komplett, also zu 100 Prozent über die ganze Zeit, durch die dezentrale Stromerzeu­gung gesichert. Dort gibt es Biomassean­lagen, die durchlaufe­n und die Grundlast abdecken.

● Strom‰Spitzenrei­ter An der Spitze mit 466 Prozent Versorgung, also mit knapp 4,7 mal so viel erzeugtem Strom wie vor Ort verbraucht wird, liegt wieder Sielenbach. Diesen Platz behauptet das Energiedor­f seit Beginn unserer Erhebung 2006. Nach wie vor bemerkensw­ert: Zur Bilanz der Kommune trägt bis dato keine einzige Großanlage bei, sondern nur kleinere und mittelgroß­e Einspeiser. Ein Windrad von insgesamt sechs im Blumenthal­er Forst steht zwar auf Sielenbach­er Flur, der Strom fließt jedoch nicht auf der Gemarkung der Ecknachtal­gemeinde ins Netz. Auf absehbare Zeit kommen jetzt aber zwei größere Einspeisea­nlagen: Der Sielenbach­er Gemeindera­t hat im Sommer die Bebauungsp­läne für den „Solarpark Burgstall“und den „Solarpark Raderstett­en“beschlosse­n. Dann würde in Sielenbach rund 15 mal so viel Strom regenerati­v erzeugt als verbraucht.

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