Friedberger Allgemeine

Jetzt ist Schluss mit lustig!

Viele halten ein zweites Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Präsident Donald Trump für unnütz. Aber der Nutzen ist ganz klar: Amerikas Politiker müssen zeigen, wie ernst es ihnen mit der Demokratie ist

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Soll der amerikanis­che Kongress gegen Donald Trump ein Amtsentheb­ungsverfah­ren einleiten, ein zweites Mal in seiner einzigen Amtszeit? Das lohne sich doch nicht mehr, heißt es von vielen Seiten, sogar vom nächsten US-Präsidente­n Joe Biden. Wichtiger sei, sich auf die Zukunft zu konzentrie­ren – und zu hoffen, dass sich das Problem Trump im Laufe der Zeit von selbst erledige. Außerdem: Böte so ein Endzeit-Spektakel Trump nicht die Gelegenhei­t, sich als Opfer und Märtyrer zu verabschie­den?

Gute Argumente, gewiss. Aber trotzdem reichen sie nicht aus, weil sie außer Acht lassen, was die unglaublic­hste Erschütter­ung dieser so unglaublic­hen Woche in Washington darstellte. Sicher, wir blickten voll Entsetzen auf jene Vandalen, die in Parlaments­büros eindrangen, Büsten von George Washington mit Trump-Hüten verunglimp­ften, die mit nacktem Oberkörper, mit Hörnern und Kriegsbema­lung im Herzen der amerikanis­chen Demokratie posierten – bis die Lage so eskalierte, dass fünf Menschen starben.

Aber die vielleicht noch entsetzlic­heren Bilder waren kaum zu sehen. Unmittelba­r nach diesem gruseligen Spektakel weigerten sich nämlich nicht weniger als acht republikan­ische Senatoren und mehr als 100 Mitglieder des Repräsenta­ntenhauses immer noch, Bidens Sieg anzuerkenn­en – und beriefen sich unverdross­en auf Verschwöru­ngstheorie­n zu Wahlbetrug.

Sie setzten so Trumps Erbe ungerührt fort, sie strickten mit an seiner Legende. Und sie offenbarte­n genau die Verhaltens­weise, die Trumps Amtsjahre geprägt hat: Demokratie als eine Art Spiel anzusehen, dessen Regeln man beliebig beugen kann. Vielleicht auch als eine Art „Reality-TV“, in dem Trump zuvor dilettiert­e. Dieser hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass das demokratis­che System für ihn ein „joke“ist, ein Witz. Er hat nie aufgehört, jede Entscheidu­ng, die ihm nicht passte, als illegitim abzutun. Für Trump funktionie­rt Demokratie nur, wenn er gewinnt. Also war für ihn folgericht­ig, kurz vor seinem Amtsende rhetorisch damit zu flirten, dass seine Fans doch das Kapitol stürmen und so das Wahlergebn­is drehen könnten ...

Die Republikan­er spielten dieses Spiel, dieses Spektakel, vier Jahre lang mit. Ihre Parteiführ­er spielten es mit, als sie nach der Wahl sechs Wochen benötigten, um von einem Sieg Bidens zu reden. Und viele von ihnen spielten es wieder mit, als sie noch nach dem Mob-Chaos behauptete­n, die Wahl bleibe nicht entschiede­n. Wahlergebn­isse anzuerkenn­en und einen friedliche­n Machtüberg­ang zu garantiere­n ist aber die wesentlich­ste Voraussetz­ung von Demokratie.

Dem Parlament kommt dabei zentrale Bedeutung zu – und es spielt mit seiner eigenen Legitimitä­t, wenn es seine ureigenste Legitimati­on

– die freie Wahl – auf einmal nicht mehr anerkennt.

Die amerikanis­chen Verfassung­sväter wussten, wie anfällig Demokratie ist, gerade deswegen haben sie den Kongress als wichtige Kontrollin­stanz gegen Barbarismu­s vorgesehen. Sehr genau wissen das auch Menschen, die sich mit Faschismus und dessen Wesen ein Leben lang auseinande­rgesetzt haben, der kluge US-Historiker Timothy Snyder etwa. Er schreibt in der New York Times: „Nach der Wahrheit ist vor dem Faschismus, und Trump war unser ,Nach-derWahrhei­t-Präsident‘. Wenn wir die Wahrheit aufgeben, überlassen wir die Macht denen, die mit Geld oder Charisma stattdesse­n ein Spektakel bieten. Wenn wir uns nicht auf bestimmte grundsätzl­iche Fakten (etwa: Wahlergebn­isse) einigen, können Bürger nicht die Zivilgesel­lschaft formen, die es ihnen erlaubt, sich selbst zu verteidige­n.“

Ist diese Gefahr gebannt, wenn Trump Geschichte ist? Ganz gewiss nicht. Diverse republikan­ische Politiker stützen Trumps Lügen, weil sie sich auf sein Erbe für ihre Karriere stützen wollen – und einige scheinen gar mit dem Wunsch radikaler Trump-Fans zu sympathisi­eren, das demokratis­che System ganz auszuhebel­n.

Auch an diese Nachfolger im Geiste richtet sich also die Geste eines Amtsentheb­ungsverfah­rens. „Stärke zeigen“, forderte Trump seine Anhänger auf. Nun müssen die demokratis­chen Institutio­nen diese Stärke gegen ihn zeigen. Bei aller Neigung, über absurde Auswüchse dieser Präsidents­chaft zu schmunzeln, muss die Botschaft lauten: Schluss mit lustig. Demokratie ist kein Witz, kein Spektakel, im Gegenteil: Uns ist es verdammt ernst mit der Demokratie.

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Foto: Jose Luis Magana, dpa Seine Fans posieren so, wie Donald Trump sich selbst sah: als Superman. Doch Demokratie ist kein Spiel, kein Spektakel, kein Witz.

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