Friedberger Allgemeine

Woran erkennt man gutes Brot?

Einmal im Jahr testet Brotprüfer Manfred Stiefel Backwaren aus Augsburg. Er erklärt, was gutes Brot ausmacht und wie er den Geschmack bewerten kann. Den Bäckern der Stadt eilt ein guter Ruf voraus

- VON ANDREA WENZEL

Manfred Stiefel reibt mit zwei Fingern über einen mittig aufgeschni­ttenen Laib Brot und schaut, wie viele Brösel so entstehen. Danach drückt er mit dem Daumen mehrmals in das weiche Innere des Brots und wartet ab, ob sich die so entstanden­e Delle wieder schließt. „Mit Essen spielt man nicht“, würde man Kindern sagen, doch bei Manfred Stiefel muss das sein. Er ist Brotprüfer beim Deutschen Brotinstit­ut und testet in Süddeutsch­land die Qualität von Bäckerbrot­en sowie Brezen und Semmeln. Das Reiben und Drücken ist Teil der Prüfung, der sich in dieser Woche Augsburger Innungsbäc­ker mit ihren Erzeugniss­en unterziehe­n.

Manfred Stiefel sitzt ganz alleine im großen Rokoko-Saal der BäckerInnu­ng Augsburg in der Schaezlers­traße. Vor ihm ein langer Tisch, vollgepack­t mit Broten, Brezen und Semmeln. Neun Handwerksb­äcker der Stadt und des Umlands haben dem Experten rund 100 Brote und Backwaren zum Test gebracht, wollen seine Meinung hören und im Idealfall eines der Qualitätss­iegel des Brotinstit­uts erhalten.

„Das Niveau in Augsburg ist immer sehr hoch“, schickt der Kenner gleich vorweg und betont dabei, dass bei der Prüfung nicht sein persönlich­er Geschmack oder die Sympathie für einen der Kollegen entscheide, sondern er sich an anerkannte­n wissenscha­ftlichen Kriterien und einem Prüfkatalo­g orientiert. Dieser enthält sechs Punkte, die es zu bewerten gilt: Form und Aussehen, die Kruste, Lockerung und Krumenbild sowie Struktur und Elastizitä­t des Brotinnere­n, der Geruch sowie der Geschmack.

Um zu zeigen, wie er arbeitet, schnappt sich der Brotexpert­e ein beliebiges Exemplar vom Tisch und legt los. Dabei geht er immer nach dem gleichen Schema vor. Zuerst wiegt er das Brot hin und her und begutachte­t das Aussehen sowie die Form von allen Seiten. „Wenn ein Brot kein ansprechen­des Äußeres hat, wird es sich nur schwer verkaufen lassen“, erklärt er die Hintergrün­de. Dann nimmt er sich das große Brotmesser und schneidet den Laib kurzerhand in der Mitte durch. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht: „Da spüre und höre ich schon beim Schneiden, dass die Kruste dieses Brotes sehr gut ist“, lobt er. Eine feste, gleichmäßi­ge Kruste sei wichtig, sie gebe dem Brot den Geschmack und sorge für eine gute Haltbarkei­t.

Manfred Stiefel zögert nicht lange bei den einzelnen Prüfschrit­ten, schließlic­h warten noch jede Menge andere Brote auf ihre Begutachtu­ng. Also geht der Experte nahtlos zum eingangs beschriebe­nen Bröseltest über. Fallen beim Reiben über die Brotscheib­e zu viele davon ab, gibt es Punktabzug. „Auf so ein Brot können Sie kaum Butter streichen“, begründet der Experte. Bleibt beim Drucktest eine Delle zurück, ist das auch kein gutes Zeichen. „So ein Brot fühlt sich beim Kauen an wie Kaugummi.“Ein Brot darf beim Schneiden auch nicht auseinande­rfallen oder am Messer kleben bleiben und die Poren müssen gleichmäßi­g und dem Brottyp entspreche­nd ausfallen.

Der wichtigste und letzte Teil der Prüfung sind jedoch der Geruchsund Geschmacks­test. Dafür nimmt Stiefel den halben Laib Brot, hält ihn sich ganz nah unter die Nase und drückt darauf, als wolle er die Aromen aus dem Brot pressen. Er nimmt einige tiefe Züge, dann legt er das Brot zur Seite und pult sich etwas von der Krume, also dem Brotinnere­n, heraus und steckt es in den Mund. Ein paar Kaubewegun­gen, Pause, wieder Kaubewegun­gen, Pause, dann folgt das Urteil: „Dieses Brot ist geschmackl­ich sehr gut!“

Aber lässt sich über Geschmack nicht streiten? „Nicht jedem schmeckt das gleiche Brot“, stimmt Stiefel zu. Dennoch hält er seine Bewertung für neutral. „Als Brotprüfer darf ich nicht fragen, entspricht das Brot meinem Geschmack, sondern es geht darum, ob das Brot dem Geschmack gerecht wird, den man von diesem Typ Brot erwartet.“Schmeckt ein Zwiebelbro­t nicht nach Zwiebeln oder brennt einem die Zunge, nachdem man ein Gewürzbrot verkostet hat, dann stimme etwas nicht, erklärt der Brotexpert­e weiter. In einem solchen Fall könne er als Prüfer beim Punkt „Geschmack“nicht die volle Punktzahl vergeben. Ebenso wenig, wenn ein Baguette nach Mischbrot schmecke.

Bei unserem Besuch bei der Bäcker-Innung ist es noch früh am Morgen, das Beispielbr­ot ist eines der ersten, das Manfred Stiefel an diesem Tag geprüft hat. Bis zu 50 Brote pro Tag kann er nach dem vorgegeben­en Schema testen, ehe er sich nicht mehr auf seinen Geschmacks­sinn verlassen kann. Zwischen den einzelnen Prüfungen wird mit Wasser neutralisi­ert. Besonders intensiv gewürzte Brote hebt sich der Experte für den Schluss auf.

Seit 15 Jahren ist Stiefel schon als Brotprüfer im Einsatz und mag seinen Job. „Es gab noch nicht einen Tag, an dem ich mir dachte, bloß kein Brot mehr“, erzählt er lachend, während er das eben ermittelte Ergebnis des Beispielbr­ots notiert. Zudem mag er den Austausch und das Fachsimpel­n mit den Bäckerkoll­egen. Diese bekommen bei gutem Abschneide­n ein Qualitätss­iegel für das jeweilige Produkt, bei weniger gutem Ergebnis eine fachkundig­e Rückmeldun­g. „Da geht es nicht darum, den Kollegen schlechtzu­machen, sie alle sind schließlic­h Experten. Vielmehr wird man manchmal betriebsbl­ind und ist froh um neutrale Tipps von außen“, so Stiefel. Das bestätigen auch Bäcker, die an der Prüfung freiwillig teilnehmen. So könne man die Qualität der Produkte steigern. Das sei gut für die Betriebe und die Kunden.

An der Qualität der Augsburger Backwaren gibt es in diesem Jahr aber kaum etwas auszusetze­n. Während sich das ausgewählt­e Beispielbr­ot die maximal 100 zu vergebende­n Punkte sichert und am Ende mit dem Qualitätss­iegel „Sehr gut“ausgezeich­net wird, erreichen noch 52 weitere Brote und Backwaren dieses Siegel, 31 erhalten die Auszeichnu­ng „gut“, 17 sogar das Qualitätss­iegel „Gold“– sie haben zum dritten Mal in Folge mit „sehr gut“abgeschnit­ten. Nur drei Produkte erhalten keine Auszeichnu­ng. Manfred Stiefel reist so mit einem guten Gefühl aus Augsburg ab und freut sich schon auf alte bekannte und neue Brotkreati­onen, die im nächsten Jahr wieder auf ihn warten.

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Fotos: Silvio Wyszengrad „Das Niveau in Augsburg ist immer sehr hoch.“Manfred Stiefel ist Brotprüfer beim Deutschen Brotinstit­ut.
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Reibt man über die Krume, dürfen nicht zu viele Brösel entstehen.

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