„Quälerei dauert ein Jahr länger“
Kanuslalom Hannes Aigner war bereits für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 qualifiziert. Dann folgten Corona und die Verschiebung auf 2021. Seinen Fokus auf das sportliche Highlight hat der Augsburger aber beibehalten
Es ist ein trüber Wintermorgen am Augsburger Eiskanal. Die Temperaturen liegen im Minusbereich. Über Nacht hat es geschneit, Bäume und Sträucher sind mit einer Frostschicht überzogen, die Wege an manchen Stellen vereist, an anderen matschig. Das Wasser ist eiskalt, ohne Neopren-Kleidung und Handschuhe, im Fachjargon „Paddelpfötchen“genannt, geht es nicht. Es gäbe sicher optimalere Bedingungen für einen Slalomkanuten, der sich gerade auf die Olympischen Spiele vorbereitet. Doch Hannes Aigner stört das nicht.
Sechsmal die Woche, teils zweimal am Tag auf dem Wasser, trainiert der Athlet des Augsburger Kajak Vereins (AKV). Nicht auf dem olympischen Eiskanal, der im Winter sowieso nicht ausreichend Wasser führt, sondern auf der Jugendstrecke. Hier sind die Slalomstangen gehängt, hier feilt Aigner an Technik, Athletik, Koordination und Präzision im Bewegungsablauf.
Als Mitglied des A-Kaders darf der Augsburger wie seine Kaderkollegen trotz Lockdowns unter Beachtung der Hygieneregeln weitertrainieren. Den widrigen Witterungsbedingungen trotzen die Kanuten mit der geschulten Disziplin eines Leistungssportlers. Ihre Hoffnung, die eher unkomfortablen Wintermonate noch ein wenig abzukürzen, scheint sich zu erfüllen. „Im Februar können wir wohl doch zweieinhalb bis drei Wochen zum Warmwasser-Trainingslager nach La Réunion ins französische Überseegebiet fliegen. Dieser Plan ist relativ konkret“, berichtet Aigner.
La Réunion liegt im Indischen Ozean, rund 760 Kilometer östlich von Madagaskar, fast 10000 Kilometer entfernt vom Mutterland Frankreich, weshalb die Insel aber auch zur Europäischen Union zählt. Dort gibt es derzeit kaum Covid19-Beschränkungen und die schon länger ausgebaute Kanuslalomstrecke ist vergleichbar mit Markkleeberg oder Cardiff. Ideale Bedingungen für das deutsche Team um Chef- Bundestrainer Klaus Pohlen.
Die Insel habe sich bisher nicht als Trainingszentrum etabliert, weil die Fluganbindung für europäische Sportler nicht so ideal ist, erzählt Aigner. „In diesem Jahr ist es aber die einzige Option, die man hat, weil sich Aufenthalte wie bisher in Australien oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit der vorgeschriebenen zweiwöchigen Quarantäne nicht lohnen. Mit der Familie zu Hause wäre das ein zu großes Risiko, dass man dann irgendwo festsitzt. Und es kann auch schnell teuer werden“, sagt Aigner.
Während er sich der Trainingsgruppe nach La Réunion anschließen will, hat sich sein Kaderkollege Sideris Tasiadis (Kanu Schwaben Augsburg) dagegen entschieden.
Canadierfahrer Tasiadis steht noch nicht im Olympia-Aufgebot, kann sich bei der Europameisterschaft in London im Mai aber noch für Tokio qualifizieren.
Trotz der Baustelle auf der Olympiaanlage am Eiskanal, die gerade für die Kanuslalom-Weltmeisterschaft 2022 umgebaut wird, fühlen sich die Augsburger Kader-Athleten auf ihrer Heimatanlage nicht behindert. „Vom Umbau haben wir eher im Sommer was gemerkt, weil die Olympiastrecke doch eine ziemliche Baustelle war. Im Winter sind wir sowieso immer auf der Jugendstrecke unterwegs“, berichtet Aigner. Er ist zufrieden mit seinen Trainingseinheiten. „Insgesamt kann ich nicht meckern, denn momentan ist hier wesentlich weniger los als die Jahre zuvor, weil eben nur die Kadersportler auf dem Kanal unterwegs sein dürfen.“
Im Kraftraum des Kanuleistungszentrums sei er dann nicht mehr ganz so flexibel. Da gebe es vorgeschriebene Zeiten fürs Einzeltraining, damit die Infektionsschutzmaßnahmen dort entsprechend umgesetzt werden können. Und sie scheinen zu greifen. Seines Wissens sei man bisher im Leistungszentrum von Corona-Fällen verschont geblieben.
Kein Spitzenathlet möchte sich sehenden Auges der Gefahr einer Covid-19-Infektion aussetzen. Schon gar nicht, wenn er einen Start bei den Olympischen Spielen vor Augen hat. „Ich will nicht rausfinden, wie schlimm es wirklich ist. Ich kenne Athleten, die von einem ziemlichen Rückschlag berichten. Das will ich nicht am eigenen Leib erfahren. Ich bin schon sehr vorsichtig, was soziale Kontakte angeht“, sagt Aigner. Er müsste sich ja nicht einmal selbst anstecken, schon allein eine mögliche Quarantäne würde ihn als Spitzensportler extrem zurückwerfen. „Schon zwei Wochen Trainingsausfall würden wehtun, eine längere Krankheit umso mehr“, betont Aigner.
An zwei Olympischen Spielen hat der 31-Jährige bereits teilgenommen. 2012 holte er im Kajak Einer der Männer in London Bronze, 2016 fuhr er bei den Spielen in Rio de Janeiro, Brasilien, mit Platz vier knapp am Podium vorbei. Sein größter sportlicher Erfolg war bisher der Gewinn des Weltmeistertitels 2018. Diese Olympia-Vorbereitung ist selbst für einen Routinier wie ihn ungewöhnlich. Die Verschiebung der Spiele in Tokio auf 2021 sei anfangs mental schwierig gewesen. „Es dauert alles ein Jahr länger und bedeutet damit auch ein Jahr länger eine Quälerei.“
Aigner gesteht, dass bei ihm nach der Olympia-Verschiebung mitunter nicht mehr „ganz so viel Trainingsehrgeiz da war wie in einem unmittelbaren Olympiajahr“. Doch nach einer kleinen Pause im November laufe es im Wintertraining sehr gut. Er sagt schmunzelnd: „Ich habe hohe Trainingsumfänge. Und ich bin froh, dass ich mich weiter quälen kann.“
Glaubt er daran, dass die Olympischen Spiele vom 23. Juli bis 8. August wirklich stattfinden werden? „Eigentlich schon. Es wird sicher eine andere Atmosphäre sein als bei meinen bisherigen Spielen. Trotz der ganz anderen Umsetzung wird es sicher trotzdem ein aufregendes Erlebnis werden.“Schade sei es natürlich für diejenigen, die zum ersten oder einzigen Mal die Spiele erleben. „Ich habe mich auch auf etwas anderes gefreut, aber es werden auf alle Fälle Spiele sein, an die man sich erinnern wird“, sagt Aigner mit unerschütterlichem Optimismus.