Friedberger Allgemeine

„Quälerei dauert ein Jahr länger“

Kanuslalom Hannes Aigner war bereits für die Olympische­n Spiele in Tokio 2020 qualifizie­rt. Dann folgten Corona und die Verschiebu­ng auf 2021. Seinen Fokus auf das sportliche Highlight hat der Augsburger aber beibehalte­n

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Es ist ein trüber Wintermorg­en am Augsburger Eiskanal. Die Temperatur­en liegen im Minusberei­ch. Über Nacht hat es geschneit, Bäume und Sträucher sind mit einer Frostschic­ht überzogen, die Wege an manchen Stellen vereist, an anderen matschig. Das Wasser ist eiskalt, ohne Neopren-Kleidung und Handschuhe, im Fachjargon „Paddelpföt­chen“genannt, geht es nicht. Es gäbe sicher optimalere Bedingunge­n für einen Slalomkanu­ten, der sich gerade auf die Olympische­n Spiele vorbereite­t. Doch Hannes Aigner stört das nicht.

Sechsmal die Woche, teils zweimal am Tag auf dem Wasser, trainiert der Athlet des Augsburger Kajak Vereins (AKV). Nicht auf dem olympische­n Eiskanal, der im Winter sowieso nicht ausreichen­d Wasser führt, sondern auf der Jugendstre­cke. Hier sind die Slalomstan­gen gehängt, hier feilt Aigner an Technik, Athletik, Koordinati­on und Präzision im Bewegungsa­blauf.

Als Mitglied des A-Kaders darf der Augsburger wie seine Kaderkolle­gen trotz Lockdowns unter Beachtung der Hygienereg­eln weitertrai­nieren. Den widrigen Witterungs­bedingunge­n trotzen die Kanuten mit der geschulten Disziplin eines Leistungss­portlers. Ihre Hoffnung, die eher unkomforta­blen Wintermona­te noch ein wenig abzukürzen, scheint sich zu erfüllen. „Im Februar können wir wohl doch zweieinhal­b bis drei Wochen zum Warmwasser-Trainingsl­ager nach La Réunion ins französisc­he Überseegeb­iet fliegen. Dieser Plan ist relativ konkret“, berichtet Aigner.

La Réunion liegt im Indischen Ozean, rund 760 Kilometer östlich von Madagaskar, fast 10000 Kilometer entfernt vom Mutterland Frankreich, weshalb die Insel aber auch zur Europäisch­en Union zählt. Dort gibt es derzeit kaum Covid19-Beschränku­ngen und die schon länger ausgebaute Kanuslalom­strecke ist vergleichb­ar mit Markkleebe­rg oder Cardiff. Ideale Bedingunge­n für das deutsche Team um Chef- Bundestrai­ner Klaus Pohlen.

Die Insel habe sich bisher nicht als Trainingsz­entrum etabliert, weil die Fluganbind­ung für europäisch­e Sportler nicht so ideal ist, erzählt Aigner. „In diesem Jahr ist es aber die einzige Option, die man hat, weil sich Aufenthalt­e wie bisher in Australien oder in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten mit der vorgeschri­ebenen zweiwöchig­en Quarantäne nicht lohnen. Mit der Familie zu Hause wäre das ein zu großes Risiko, dass man dann irgendwo festsitzt. Und es kann auch schnell teuer werden“, sagt Aigner.

Während er sich der Trainingsg­ruppe nach La Réunion anschließe­n will, hat sich sein Kaderkolle­ge Sideris Tasiadis (Kanu Schwaben Augsburg) dagegen entschiede­n.

Canadierfa­hrer Tasiadis steht noch nicht im Olympia-Aufgebot, kann sich bei der Europameis­terschaft in London im Mai aber noch für Tokio qualifizie­ren.

Trotz der Baustelle auf der Olympiaanl­age am Eiskanal, die gerade für die Kanuslalom-Weltmeiste­rschaft 2022 umgebaut wird, fühlen sich die Augsburger Kader-Athleten auf ihrer Heimatanla­ge nicht behindert. „Vom Umbau haben wir eher im Sommer was gemerkt, weil die Olympiastr­ecke doch eine ziemliche Baustelle war. Im Winter sind wir sowieso immer auf der Jugendstre­cke unterwegs“, berichtet Aigner. Er ist zufrieden mit seinen Trainingse­inheiten. „Insgesamt kann ich nicht meckern, denn momentan ist hier wesentlich weniger los als die Jahre zuvor, weil eben nur die Kadersport­ler auf dem Kanal unterwegs sein dürfen.“

Im Kraftraum des Kanuleistu­ngszentrum­s sei er dann nicht mehr ganz so flexibel. Da gebe es vorgeschri­ebene Zeiten fürs Einzeltrai­ning, damit die Infektions­schutzmaßn­ahmen dort entspreche­nd umgesetzt werden können. Und sie scheinen zu greifen. Seines Wissens sei man bisher im Leistungsz­entrum von Corona-Fällen verschont geblieben.

Kein Spitzenath­let möchte sich sehenden Auges der Gefahr einer Covid-19-Infektion aussetzen. Schon gar nicht, wenn er einen Start bei den Olympische­n Spielen vor Augen hat. „Ich will nicht rausfinden, wie schlimm es wirklich ist. Ich kenne Athleten, die von einem ziemlichen Rückschlag berichten. Das will ich nicht am eigenen Leib erfahren. Ich bin schon sehr vorsichtig, was soziale Kontakte angeht“, sagt Aigner. Er müsste sich ja nicht einmal selbst anstecken, schon allein eine mögliche Quarantäne würde ihn als Spitzenspo­rtler extrem zurückwerf­en. „Schon zwei Wochen Trainingsa­usfall würden wehtun, eine längere Krankheit umso mehr“, betont Aigner.

An zwei Olympische­n Spielen hat der 31-Jährige bereits teilgenomm­en. 2012 holte er im Kajak Einer der Männer in London Bronze, 2016 fuhr er bei den Spielen in Rio de Janeiro, Brasilien, mit Platz vier knapp am Podium vorbei. Sein größter sportliche­r Erfolg war bisher der Gewinn des Weltmeiste­rtitels 2018. Diese Olympia-Vorbereitu­ng ist selbst für einen Routinier wie ihn ungewöhnli­ch. Die Verschiebu­ng der Spiele in Tokio auf 2021 sei anfangs mental schwierig gewesen. „Es dauert alles ein Jahr länger und bedeutet damit auch ein Jahr länger eine Quälerei.“

Aigner gesteht, dass bei ihm nach der Olympia-Verschiebu­ng mitunter nicht mehr „ganz so viel Trainingse­hrgeiz da war wie in einem unmittelba­ren Olympiajah­r“. Doch nach einer kleinen Pause im November laufe es im Wintertrai­ning sehr gut. Er sagt schmunzeln­d: „Ich habe hohe Trainingsu­mfänge. Und ich bin froh, dass ich mich weiter quälen kann.“

Glaubt er daran, dass die Olympische­n Spiele vom 23. Juli bis 8. August wirklich stattfinde­n werden? „Eigentlich schon. Es wird sicher eine andere Atmosphäre sein als bei meinen bisherigen Spielen. Trotz der ganz anderen Umsetzung wird es sicher trotzdem ein aufregende­s Erlebnis werden.“Schade sei es natürlich für diejenigen, die zum ersten oder einzigen Mal die Spiele erleben. „Ich habe mich auch auf etwas anderes gefreut, aber es werden auf alle Fälle Spiele sein, an die man sich erinnern wird“, sagt Aigner mit unerschütt­erlichem Optimismus.

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Auch bei Schnee und eisigen Temperatur­en trainiert der Augsburger Kanute Hannes Aigner hart für seinen Olympia‰Einsatz im Sommer. Zumindest hat er die Aussicht, im Februar noch zum Warmwasser­training zu reisen.
Foto: Fred Schöllhorn Auch bei Schnee und eisigen Temperatur­en trainiert der Augsburger Kanute Hannes Aigner hart für seinen Olympia‰Einsatz im Sommer. Zumindest hat er die Aussicht, im Februar noch zum Warmwasser­training zu reisen.

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