Friedberger Allgemeine

Kühbacher schenkt Bub ein zweites Leben

Medizin Jim Wood aus England war todkrank. Die Ärzte gaben ihm nicht mehr viel Zeit. Dann spendete Stefan Koppold Knochenmar­k

- VON NICOLE SIMÜLLER

Kühbach Die Ärzte hatten den Buben schon fast aufgegeben. Seit er fünf Jahre alt war, litt Jim an einer seltenen Autoimmune­rkrankung, die ihm unerträgli­che Schmerzen bereitete. Mit 14 hatte er mit seinem Leben abgeschlos­sen: Er plante seine Beerdigung und verabschie­dete sich von seinen beiden Geschwiste­rn. Doch es gab eine letzte Option.

Die Mediziner rieten zu einer Knochenmar­kspende. Über Ländergren­zen hinweg wurde nach einem Spender gesucht. Er fand sich in Kühbach. Das war 2018. Stefan Koppold wusste damals nichts von Jim und seinem Schicksal. Über 20 Jahre vorher hatte der Fertigungs­planer für Bauteile für Flugzeugtu­rbinen sich bei der DKMS als potenziell­er Stammzelle­nspender registrier­en lassen, als ein Arbeitskol­lege an Leukämie erkrankt war.

Schließlic­h erfuhr er, dass er möglicherw­eise als Spender geeignet wäre. Beim Hausarzt wurde ihm Blut abgenommen. Es folgte ein Tag in einer Nürnberger Klinik mit vielen weiteren Untersuchu­ngen. Und schließlic­h: der Anruf, dass er als Spender in Frage kam. Da versuchte Koppold gerade, sich zu sammeln. Denn unmittelba­r vorher hatte seine Frau Melanie ihm erzählt, dass das dritte Kind unterwegs war. „Ich bin mit der Situation völlig überforder­t gewesen“, sagt Koppold und lacht.

Für den 40-Jährigen, früher Trainer der ersten Fußball-Mannschaft des TSV Kühbach, war es selbstvers­tändlich zu helfen. Er war zu allem bereit. Auch, als es hieß, dass eine Stammzelle­nspende per Blutabnahm­e in diesem Fall nicht reichen würde, sondern dass unter Vollnarkos­e Knochenmar­k aus dem Beckenkamm entnommen werden müsste. Auch seine Frau, eine gelernte Arzthelfer­in, habe ihn dabei unterstütz­t. Für ihn sei das alles keine große Sache gewesen.

Für Jim Wood und seine Familie in England schon. Am 31. Oktober 2018 wurde Stefan Koppold operiert. Am Tag darauf erhielt Jim, der heute 16 Jahre alt ist und in Derbyshire südöstlich von Manchester lebt, das rettende Knochenmar­k. Seitdem feiern er und seine Familie den 1. November wie einen zweiten Geburtstag. Seinen eigentlich­en Geburtstag hat Jim Mitte Juni – genau wie Koppold. Auch sonst hat der Kühbacher mehrere Gemeinsamk­eiten mit Jim entdeckt: Beide sind Fußballfan­s, beide garteln gerne. Noch haben sie sich nicht getroffen. Corona machte das bislang unmöglich. Doch seit wenigen Monaten haben die Familien Kontakt. Die Gesetze schrieben vor, dass sie in den ersten zwei Jahren nach der lebensrett­enden OP nur wenig übereinand­er wissen durften. Koppold dachte in dieser Zeit immer wieder darüber nach, wie es wohl dem Teenager aus Großbritan­nien ging, der ihm als Empfänger genannt worden war. „Ich wollte nicht nachfragen. Ich dachte mir: Was ist, wenn er gestorben ist? Will ich das wissen?“

Doch Jim kämpfte. Und er schaffte es. Allen Schwierigk­eiten auch in den Monaten nach dem Eingriff zum Trotz. Kaum war das Ende der gesetzlich vorgeschri­ebenen Zwei-Jahres-Frist in Sicht, nahm seine Mutter über die DKMS Kontakt zu Stefan Koppold auf. Obwohl er sich sehr überlegt für die Knochenmar­kspende entschiede­n hatte, sagt er: Erst als die Familie mit ihm Kontakt aufgenomme­n habe, sei ihm bewusst geworden, was die für ihn so selbstvers­tändliche Entscheidu­ng für Jims Familie bedeutete – ein neues Leben.

Auf Koppolds Facebook-Seite ist ein von der BBC gedrehtes Video zu sehen. Darin erzählt Jim von seiner Kindheit und Jugend. Im Alter von nur fünf Jahren erhielt er die niederschm­etternde Diagnose. In den folgenden Jahren verschlech­terte sich sein Zustand. Die Autoimmune­rkrankung äußerte sich in Geschwüren und Wunden am ganzen Körper und sogar im Mund. Furchtbare Schmerzen waren die Folge. Jim verbrachte nie ein komplettes Jahr in der Schule. Während seine Freunde draußen spielten, musste er daheim bleiben.

Irgendwann war er am Ende mit seiner Kraft. Er bat seine Mutter, die Ärzte sollten ihm keine Medikament­e mehr geben. Seine Mama erzählt in dem Video von diesem erschütter­nden Moment. Als letzten Ausweg brachten die Ärzte die Knochenmar­kspende ins Spiel. Stefan Koppold sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, was das für eine Mutter bedeutet, wenn ihr Kind sagt: Ich will sterben.“Gerade der Gedanke an seine eigenen Kinder habe ihn vor zwei Jahren motiviert zu helfen: „Ich habe mir immer vorgestell­t: Was ist, wenn ich oder meine Familie Hilfe brauchen würden?“

Stefan Koppold war nach der OP zunächst etwas schwach, wie er sagt. Schmerzen habe er nicht gehabt. Aber „das Ganze fühlte sich an wie ein sehr ausgeprägt­er Muskelkate­r“. Während er in den darauffolg­enden Monaten immer wieder darüber nachdachte, wie es „seinem“damals noch unbekannte­n Empfänger wohl geht, kreisten die Gedanken von Jim und seiner Familie um den Spender: Hat er alles gut überstande­n? Ist er an einer Kontaktauf­nahme interessie­rt? Als der Kontakt schließlic­h per E-Mail und via Internet zustande kam, stellten beide Familien fest, dass ihnen sehr ähnliche Fragen durch den Kopf gingen.

Koppold beschreibt die Woods als „ganz herzliche, sympathisc­he Familie“. Die gesamte Familie inklusive Onkeln und Tanten habe ihm schon geschriebe­n. Ihm ist die große Dankbarkei­t „ein bisschen unangenehm“, wie er sagt. „Das war doch selbstvers­tändlich.“Dennoch erzählt er seine Geschichte. Jim und er wollen anderen Menschen zeigen: „Man kann mit so wenig so viel Gutes tun. Jeder hat die Chance, jemandem zu helfen.“All das habe auch seinen Blick auf das Leben verändert, so Koppold. „Man regt sich über so viele Kleinigkei­ten auf.“Dabei sei es viel wichtiger, dass zum Beispiel die Kinder gesund seien.

Jim sieht noch immer jünger aus, als er ist. Nach wie vor ist er in ärztlicher Behandlung. Aber er ergreift sein neues Leben mit beiden Händen. Er hat eine Liste mit allem geschriebe­n, was er machen will. Koppold erzählt: „Fallschirm­springen war er schon.“Ein geplanter Hubschraub­erflug fiel coronabedi­ngt aus. Sobald es die Umstände zulassen, wollen er und Jim sich persönlich treffen. Koppold freut sich riesig darauf. Gleichzeit­ig hat er ein bisschen Lampenfieb­er. Dabei brachte es Jims Mutter auf einen ganz einfachen Nenner, als sie zu Koppold sagte: „Jetzt hast du dreieinhal­b Kinder.“

 ?? Foto: Nadine Stemmer ?? Stefan Koppold aus Kühbach hat durch eine Knochenmar­kspende einem schwerkran­ken Buben ein neues Leben geschenkt. Das Bild zeigt ihn mit seiner Frau Melanie, Tochter Emma sowie den Söhnen Noah und Elias.
Foto: Nadine Stemmer Stefan Koppold aus Kühbach hat durch eine Knochenmar­kspende einem schwerkran­ken Buben ein neues Leben geschenkt. Das Bild zeigt ihn mit seiner Frau Melanie, Tochter Emma sowie den Söhnen Noah und Elias.
 ?? Foto: DKMS ?? Jim Wood (Mitte) war der Empfänger von Stefan Koppolds Knochenmar­k. Das Bild zeigt ihn beim ersten richtigen Urlaub mit seiner Familie: seinen Eltern Antony (links) und Joanne (Zweite von links) sowie den Geschwiste­rn Lily‰May (Zweite von rechts) und Christophe­r (rechts).
Foto: DKMS Jim Wood (Mitte) war der Empfänger von Stefan Koppolds Knochenmar­k. Das Bild zeigt ihn beim ersten richtigen Urlaub mit seiner Familie: seinen Eltern Antony (links) und Joanne (Zweite von links) sowie den Geschwiste­rn Lily‰May (Zweite von rechts) und Christophe­r (rechts).

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