Friedberger Allgemeine

Die Angst, dass alles umsonst war

Tägliches Üben in der Kindheit, Disziplin trotz Pubertät, Kosten für Ausbildung und Instrument­e: Der Weg zum Profimusik­er ist hart. Umso größer ist nun die Sorge vieler Musikstude­nten: Hat sich die Arbeit gelohnt?

- VON IDA KÖNIG

Üben, Unterricht, Orchesterp­roben, Kammermusi­k, Auftritte: Diesem Rhythmus folgte der Alltag von Alina Riegel fast ihr ganzes bisheriges Leben lang. Die 29-jährige Augsburger­in war fünf, als sie begann, Geige zu lernen. Mittlerwei­le hat sie ihr Musikstudi­um abgeschlos­sen, sich in Probespiel­en behauptet und einen Zeitvertra­g an der Staatsoper Nürnberg ergattert.

Damit befand sich Alina Riegel Anfang des vergangene­n Jahres auf dem Sprung zur Profikarri­ere – doch dann kam der erste Lockdown. Das ist nun zehn Monate her, Aussicht auf Besserung besteht weiterhin nicht.

Das zehrt an der Geigerin: „Seit März habe ich genau drei Konzerte gespielt, die vielen Probespiel­e, an denen ich teilnehmen wollte, wurden alle abgesagt. Gerade seit dem zweiten Lockdown wird es immer schwierige­r, sich zum Üben zu motivieren, es gibt überhaupt kein Ziel mehr“, sagt sie. Auch die finanziell­e Situation bereitet wenig Grund zur Hoffnung – zwar ist sie seit Oktober wieder für einen befristete­n Zeitraum unter Vertrag an der Staatsoper, von April bis Herbst musste die Geigerin jedoch Arbeitslos­engeld beantragen.

Mittlerwei­le spielt sie sogar mit dem Gedanken, ihren Traumberuf an den Nagel zu hängen und sich noch einmal ganz neu zu orientiere­n. Zwar gebe es kein Höchstalte­r für Probespiel­e – das Bewerbungs­verfahren für Profi-Orchester –, aber nach so vielen Jahren harter Arbeit für ihren Traumberuf ist es für die Geigerin wichtig, endlich beruflich anzukommen. Das ist jedoch seit Monaten nicht möglich. Weil keine Veranstalt­ungen stattfinde­n können, stellen Orchester auch keine neuen Musiker ein. „Es ist beängstige­nd. Man sieht das Ende kommen und kann nichts dagegen tun, seine Situation zu ändern, weil es kein Angebot gibt“, sagt sie.

Diese Zukunftsän­gste teilt sie mit vielen Kollegen, wie Prof. Andrea Friedhofen bestätigt. Die Leiterin des Leopold-Mozart-Zentrums (LMZ) an der Universitä­t Augsburg sorgt sich um den Musikernac­hwuchs: „Die Studierend­en sind total frustriert und wissen nicht, wie es weitergehe­n soll.“Seit Mitte Januar seien immerhin die Übungsräum­e des LMZ wieder geöffnet, auch Einzelunte­rricht dürfe unter strengen Auflagen stattfinde­n. Bedingt durch die Corona-Krise und den Umzug des Zentrums von der Maximilian­straße an die Grottenau sei das aber viele Monate lang nicht möglich gewesen.

Nun wieder Präsenzunt­erricht zu erhalten, sei wichtig für die Studierend­en – denn eine elementare Komponente des Musikstudi­ums sei durch Online-Unterricht nicht zu kompensier­en: „In der Ausbildung sind die Studierend­en immer wieder mit ihren Stärken und Schwächen als Persönlich­keit konfrontie­rt. Musik ist nicht nur Töne produziere­n. Das, was die Musik im Innersten ausmacht, das Berühren der Seele, funktionie­rt nicht digital“, erklärt sie.

Was bleibt, ist die fehlende Perspektiv­e. „Dringend nötig wäre, dass es nach Ostern wieder losgeht und Kultur zu den Menschen kommen kann. Es würde schon helfen, wenn von politische­r Seite zumindest darüber gesprochen würde.“Passiert das nicht, hat Friedhofen große Bedenken, was die Zukunft des Berufsstan­des angeht: „Ich befürchte große Einbußen bei den Bewerberza­hlen im Frühjahr.“

Carolin Nordmeyer ist ganz nah dran an diesen möglichen Bewerbern, dem musikalisc­hen Nachwuchs in der Region. Die Dirigentin leitet das Schwäbisch­e Jugendsinf­onieorches­ter (SJSO) – gewisserma­ßen die Startrampe für besonders begabte und engagierte Jugendlich­e, die einen Großteil ihrer Freizeit mit Musik verbringen und diese später eventuell sogar zum Beruf machen wollen. So wie Alina Riegel, die selbst acht Jahre lang Mitglied dieses Orchesters war und sich dort entschloss­en hat, die Geige zum Beruf zu machen. „Nah dran“ist Nordmeyer an ihrem Orchester seit einem Jahr aber vor allem vom Schreibtis­ch aus: 2020 fielen beide Arbeitspha­sen aus, auch ein drittes Projekt, das unter Beachtung derCorona-Regeln für die Herbstferi­en geplant war, musste gestrichen werden.

Die Dirigentin hat Verständni­s für die Regeln. Gleichzeit­ig sorgt auch sie sich um die Zukunft und die Entwicklun­g der Jugendlich­en – auf persönlich­er und musikalisc­her Ebene. Denn in Orchestern lernten die Jugendlich­en weit mehr als schwere Stücke zu spielen, sondern auch Verantwort­ung zu übernehmen und an persönlich­e Grenzen zu gehen. „Gerade unter den Unentschlo­ssenen wird es sicher einige geben, die sich im Nachhinein nicht mehr aufraffen können. Da verlieren die Jugendlich­en viel, aber auch wir als Gesellscha­ft“, betont Nordmeyer. Denn klar sei auch: „Man kann ein Orchester nicht einfach ausknipsen und ein Jahr später wieder anknipsen, das ist kein Radio.“

Einfach dort weitermach­en, wo man aufgehört hat, das funktionie­rt auch für die Profis ab einem gewissen Zeitraum nicht mehr, erklärt die LMZ-Leiterin „Ein paar Wochen Pause sind auf einem gewissen Niveau in Ordnung. Wenn sich die Situation noch bis zum Sommer zieht, habe ich große Bedenken.“Dann sei ein ganzes Jahr verloren. „Das hängt nach und ist für eine künstleris­che Karriere richtig heftig.“

 ?? Fotos: Wyszengrad, Riegel ?? Über viele Wochen war das Üben in den Räumen des Leopold‰Mozart‰Zentrums nicht möglich. Junge Musiker haben Zukunftsän­gste.
Fotos: Wyszengrad, Riegel Über viele Wochen war das Üben in den Räumen des Leopold‰Mozart‰Zentrums nicht möglich. Junge Musiker haben Zukunftsän­gste.
 ??  ?? Geigerin Alina Riegel wartet darauf, dass endlich wieder Probespiel­e stattfinde­n.
Geigerin Alina Riegel wartet darauf, dass endlich wieder Probespiel­e stattfinde­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany